Im Folgenden finden sich einige interessante Artikel über die ich in letzter Zeit gestoßen bin sowie einige Anmerkungen dazu. Zur besseren Bezugnahme in den Kommentaren sind die Artikel durchnummeriert. Der jeweilige Kommentar von mir setzt voraus, dass die verlinkten Artikel gelesen wurden.
1) LSD im Trinkwasser // Emotionale Kriegsführung
Die Salonkolumnisten haben etwas zu Hans-Ulrich Jörges letzter Kolumne, in der dieser frei heraus darüber spekuliert, ob nicht vielleicht die Ukraine den Skripal-Anschlag oder Israel den syrischen Gasangriff als False-Flag-Anschläge konstruiert hätten. Man muss Jörges zugute halten dass er eine wasseridchte Beweislage hat, folgert er doch messerscharf, dass weder Syrien noch Russland angesichts zu erwartender Kritik aus dem Westen ein Interesse daran hätten das zu tun. Potzblitz! Das ist natürlich eine harte Datenlage. Es handelt sich hier um ein weiteres Beispiel dafür, wie die Leitmedien selbst wahrlich genug zur Verbreitung von Fake News und der Radikalisierung des Diskurs' beitragen, ohne die sozialen Medien zu brauchen. Der zweite verlinkte Artikel untersucht diese Art der Argumentation etwas genauer ohne das konkrete Beispiel Jörges.
2) Diese Empörung ist wichtig
Sascha Lobo setzt einen ungeheuer relevanten Akzent zur Debatte um die Empörungsmechanismen in den Sozialen Netzwerken. Nur weil sich die Community leicht empöhrt heißt das nicht, dass Empörung nicht manchmal angebracht ist. Im konkreten Fall geht es um die unsägliche MDR-Talkshow, in der die hier schon öfter kritisierte Normalisierung des rechten Diskurses betrieben und die Frage "Darf man denn noch Neger sagen?" als debattenwürdige Fragestellung in den Raum geworfen und mit Frauke Petry eine Diskussion um Fluch und Segen des Rassismus geführt wird. Was kommt als Nächstes? "War am Holocaust nicht alles schlecht?" Es ist dies einmal mehr ein Beispiel dafür, dass es gerade die etablierten Leitmedien sind, die der Radikalisierung und Polarisierung Vorschub leisten, und dass die Sozialen Medien in diesem Fall eine wertvolle Korrektivfunktion einnehmen können (auch wenn sie in den meisten Fällen nicht gerade das Adjektiv "wertvoll" verdienen).
3) Tweethread von Nate Silver zu Clintons Chancen und Comeys Annahmen
Bekanntlich war einer der wenigen Journalisten, die 2016 ein gutes Verhältnis zum Thema Wahrscheinlichkeiten eines Trump-Siegs hatten, Nate Silver von 538. Auf Twitter legte er noch einmal mit seinem Hauptärgernis gegenüber seinen Kollegen nach: dass diese Clinton als eine sichere Bank betrachteten, was die Umfragen schlicht nicht hergaben, und danach genau diese Umfragen kritisierten. Der erste Teil seiner Kritik ruft bei mir auch immer einen Phantomschmerz hervor, denn ich war ja auch der Überzeugung, dass Clintons Sieg ausgemachte Sache war. Seinen Ärger darüber, dass die Ursachen für diese Fehlannahme in keinster Weise aufgearbeitet wurden, kann ich allerdings nur teilen. Die absolute Weigerung seiner Kollegen, Konsequenzen aus dem Debakel von 2016 zu ziehen, ist atemberaubend - und umfasst auch nicht nur Journalisten. Man kann ein sehr gutes Argument dafür konstruieren, dass ohne diese falsche Sicherheit eines Clintonsiegs sie ziemlich sicher gewonnen hätte, so paradox das klingen mag; das allerdings werde ich einem zukünftigen Artikel noch einmal genauer thematisieren, genauso wie diese Umfragengeschichte.
4) Planet Earth gets a ground game
In einem ausführlichen Hintergrundartikel wird hier beschrieben, wie ein Klimaaktivist versucht, die Abgeordneten der Democrats zu einer höheren Priorisierung des Klimawandels zu bringen beziehungsweise Abgeordnete zu wählen, für die er eine hohe Priorität ist. Kurzgefasst ist die Idee die, die Wahlbeteiligung unter Leuten zu erhöhen, für die Klimawandel eine hohe Priorität ist. Das sind nicht viele Leute, aber die Zahl ist auch nicht null. Die Strategie ist sicherlich der richtige Weg das anzugehen. Die Republicans haben schließlich vorgemacht, wie einzelne Lobbys eine komplette Partei dominieren können, obwohl das jeweilige Thema bei der Wählerschaft eigentlich keine große Rolle spielt - man sehe sich nur die Waffenfrage an.
Was im Artikel allenfalls am Rande vorkommt ist die Frage warum das eigentlich überhaupt so funktioniert, deswegen sei das hier kurz nachgeschoben. Gerade in linken Kreisen liest man oft irgendwelche Umfragen zu einzelnen policy-Fragen, die eine scheinbar überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung für eine Position zum Ausdruck bringen, die von den meisten Parteien nicht geteilt wird. Die LINKE etwa machte jahrelang viel daraus, dass je rund 75% der Deutschen den Abzug aus Afghanistan und die Einführung des Mindestlohns unterstützten. Nur, was bei dieser Art Umfragen immer nicht bedacht wird ist die Salienz des jeweiligen Themas, oder einfach gesagt: wie wichtig es den Leuten ist. Ins Blaue hineingefragt sind auch die meisten Leute irgendwie für Klimaschutz, aber geht es dann konkret um das Fahrverbot für Diesel nehmen andere Themen schnell den Fahrersitz ein (Wortwitz!). Was ein Aktivist, gegebenenfalls auch innerhalb der Partei, erreichen muss ist also eine höhere Salienz für das Thema. Und da haben Klimaaktivisten noch viel zu tun.
5) What we get wrong about the racial wealth gap
Diese schöne Studie zeigt die vielen Mythen, die im Zusammenhang mit dem racial wealth gap gerne gelaubt werden. Der racial wealth gap ist die Differenz im Nettovermögen zwischen weißen und schwarzen Haushalten in den USA (eine Messung ähnlich dem gender pay gap, und ähnlich umstritten). Und der ist beachtlich. Eines der größten Probleme im Umgang mit der Lücke ist, dass es immer einige Overachiever gibt, die öffentlichkeitswirksam das Bild verzerren, worauf die Studie auch genauer eingeht. Es gibt die Neigung - auch hier analog zum Gender Pay Gap - die Differenz auf persöhnliche Fehlentscheidungen zu schieben. Das sehen wir ja hier im Blog auch immer wieder ("Müssen die Frauen halt aufhören in den Öffentlichen Dienst zu gehen"). Und die hält sich hartnäckig. Dabei werden systemische Faktoren aber einfach völlig ignoriert.
Ein großer Teil des racial pay gap kommt zudem von der Problematik, dass Wohlstand sich vor allem durch Erben von Immobilien und anderen Vermögenswerten akkumuliert. Der gigantische Vermögensaufbau der weißen Mittelschicht in den Wirtschaftswunderjahren aber ließ die Schwarzen außen vor (keine Bange, ausführlicher Artikel zu DEM Thema ist auf der To-Do-Liste ;)), woran sie bis heute leiden. Am relevantesten aber, es sei erneut gesagt, sind die systemischen Faktoren, und die betreffen auch Minderheiten in Deutschland. So fällt es zum Beispiel gerade Flüchtlingen ungeheur schwer, ein Konto zu eröffnen, weil die systemischen Regeln gegen sie arbeiten. Ohne Zugriff auf diese elementare Infrastruktur aber ist ein Leben über Subsistenzlevel häufig kaum machbar, und ein ähnliches Problem hat die Schwarzen in den USA auch lange Zeit im Würfegriff gehalten.
Die Studie mag daher zwar vor allem relevant für die Situation in den USA sein; grundsätzlich aber lassen sich viele der Problemfaktoren und systemischen Brüche auch auf Deutschland übertragen und sind sicherlich eine Debatte wert (die auch bald ihren eigenen Artikel kriegt).
6) The merging of misoginy and modern medical technology
Es ist ein altbekanntes Thema, dass technische Fortschritte nutzneutral sind - sie können zum Guten wie zum Bösen verwendet werden. Viele Ergebnisse der pränatalen Medizin zeigen ihre dunkle Seiten etwa für bekennende Christen schon seit Jahrzehnten in der einfachen Verfügbarkeit von Abtreibung. Eine düstere Wendung bekommt diese spezifische Anwendung, wenn man in die großen Schwellenländer wie China oder Indien blickt. In diesen Kulturen werden männliche Babies deutlich mehr wertgeschätzt als weibliche, und es besteht eine mehrere Millionen starke Lücke, die sich nur durch die Ermordung weiblicher Embryos erklären lässt. Doch selbst diese düstere Wendung kann noch eine Stufe weiter gedreht werden: der obige Artikel geht nämlich nicht darauf ein, dass diese Vorliebe und die daraus folgende Konsequenz auch historisch verbürgt sind, und zwar wahrlich nicht nur für Asien. Da in früheren Zeiten das Geschlecht des Kindes erst bekannt war, nachdem es geboren wurde, ist die Folge davon leicht zu durchschauen: massenhafter, normalisierter Mord von Baby-Mädchen.
Wir erkennen die beeindruckenden Fähigkeiten früherer Gesellschaften bei der Geburtenkontrolle übrigens bis weit in die Antike zurück; so haben Forscher etwa nachgewiesen, dass in ökonomisch knappen Zeiten deutlich weniger Kinder (und anteilig mehr männliche) "offiziell" geboren werden als in ökonomisch wohlhabenden Zeiten, und die mangelnde heute verfügbare Technik lässt nur den Schluss zu, dass freizügig Kindesmord getrieben wurde. Was im Übrigen eine in den Textquellen durchaus Indizien hervorbringende Annahme ist, denn die schreibenden Autoritätspersonen - im mittelterlichen Europa vor allem der Klerus - mussten schon sehr aktiv wegsehen. Sachverhalte wie dieser werden in den Geschichtsbüchern gerne übergangen, weil sie äußerst unangenehme Tehmen sind. Aber man sollte sich durchaus allen dunklen Seiten der Vergangenheit und der menschlichen Natur stellen, und Misoginie ist eine verbreitete Konstante der menschlichen Geschichte.
7) The political uses of the anti-anti-Confederacy
In einem weiteren Beispiel für die Nutzung toxischer rechter identity-politics beschreibt dieser Artikel, wie republikanische Politiker in den Südstaaten, etwa in Alabama, Gedenktage für die CSA nutzen, um gegen ihre politischen Gegner mobil zu machen. So haben mehrere republikanisch dominierte Staatenparlamente Gestze erlassen, die eine Beseitigung der neo-konföderalistischen Monumente für Kriegsverbrecher und Sklavenhalter unmöglich machen sollen. Die Stadt Mobile in Alabama etwa, die (wie die meisten Großstädte von den Democrats regiert) jüngst einige der widerlichsten dieser Monumente beseitigte, bekam vom Staatenparlament das Budget für ihre 200-Jahr-Feier drastisch gekürzt.
Diese Art der Kriegführung gegen den politischen Gegner ohne Rücksicht auf die Menschen, die auch mit abweichenden Ansichten unter den Amtseid fallen, ist typisch für die polarisierte Stimmung in den USA. Bislang ist diese Art der Kriegführung auch unilateral. Während etwa die massiven Steuerkürzungen und Handelseinschränkungen Trumps mit Laserpräzision darauf zugeschnitten sind, den eigenen Wahlkreisen zu helfen und denen der Democrats zu schaden, zielten die letzten Maßnahmen der Democrats, allen voran Obamacare, auf die Bevölkerung gerade der Staaten, in denen sie nicht gewählt werden - auf Kosten ihrer eigenen Bastionen im reichen Norden.
Davon einmal abgesehen ist es wieder und wieder erschreckend, wie offen in den Südstaaten die CSA verherrlicht und jede Aufarbeitung der Vergangenheit unterdrückt werden. Es ist, als ob Deutschland überall Statuen von Reinhard Heydrich, Heinrich Himmler und Amon Göth aufstellen, Hakenkreuzfahnen über den Landtagen aufziehen und regelmäßige Feste zum Gedenken an das Dritte Reich feiern würde, während man sich darüber wundert, warum um Gottes Willen die Juden es in dem Staat zu nichts bringen. Der Schaden, den diese Partei an ihrem Land anrichtet, ist gigantisch.
8) Tweetthread über die "free speech crisis" an amerikanischen Unis
Eines der Lieblingsargumente, das sich von der moderaten Linken (Jonathan Chait!) bis zur extremen Rechten zieht, ist die Kritik der Proteste an den amerikanischen Unis, wo linke und linksradikale studentische Aktivisten immer wieder Auftritte von Personen aus dem rechten und rechtsradikalen Spektrum behinderten und verhinderten. So nervig diese infantilen Proteste auch sind, sie werden gerne in einem Anfall von Bothsiderism aufgeblasen, um eine Äquidistanz für die Gefährdung der Meinungsfreiheit durch links und rechts herstellen zu können. Nicht ungestört einen Vortrag auf dem Campus halten zu können ist aber bei weitem nicht so problematisch wie ein Staat, der nestimmte Meinungen unterdrückt.
9) Unbezahlte Arbeit - Frauen leisten mehr
Noch immer leisten Frauen, auch bei Vollzeitjobs, deutlich mehr unbezahlte Hausarbeit als Männer. Tatsächlich gibt es nur ein Feld, auf dem Männer mehr Arbeit leisten, und das ist das Reparieren von allerlei Haushaltsgerät und Fortbewegungsmitteln. Da der Kram im Normalfall aber nicht so häufig kaputt geht, bleibt die Ungleichheit weiter vorhanden. Der oben verlinkte Artikel impliziert zudem, dass diese Verteilung ein weiterer Faktor dafür ist, dass Frauen eher in Teilzeitberufe gehen oder in solche, deren Arbeitszeiten deutlich abschätzbar sind - alles Faktoren, die beruflichem Erfolg und Karriere im Weg stehen. Der dafür offensichtlichste Indikator ist, dass in Familien mit Kindern die Männer MEHR arbeiten statt weniger, während die Frauenerwerbstätigkeit mit Kindern deutlich abfällt.
Dieses Problem habe ich hier im Blog schon öfter thematisiert, und es steht auf zwei Beinen. Auf der einen Seite stehen systemische Ursachen - etwa der Mangel an attraktiven Teilzeitmöglichkeiten (wobei hier in letzter Zeit legislativ viel passiert ist und es die Pflicht der Wirtschaft wäre, endlich die entsprechenden Realitäten zu schaffen) - und auf der anderen Seite sehen gesellschaftsmentale Ursachen, etwa die Nonchalance vieler Männer, dieses Problem überhaupt anzuerkennen und es einfach zu einer Vorliebe von Frauen zu erklären, sich auf die Hausarbeit zu konzentrieren, am besten mit irgendeiner verschwurbelten biologistischen Erklärung. An beiden Standbeinen muss gesägt werden, wenn dieses Problem - und um ein solches handelt es sich zweifellos - jemals beseitigt werden soll.
10) 48 Stunden und 18 Minuten - so viel arbeiten Lehrer im Schnitt
Die Arbeitszeit kaum eines Berufsstands ist so umstritten wie die der Lehrer. Da viel dieser Arbeit zuhause erledigt wird und keiner geregelten Aufsicht unterliegt, sind harte Zahlen naturgemäß wesentlich schwieriger zu bekommen als in Bereichen, wo Angestellte ein- und ausstempeln. Die GEW, die in diesem Zusammenhang mit Sicherheit keine neutrale Quelle ist, hat eine Studie erstellt, die auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden und 18 Minuten kommt. Diese Zahl ist natürlich wenig aussagekräftig, wenn man versucht, die "typische" Lehrerarbeitswoche zu rekonstruieren. Lehrer arbeiten sehr viel am Wochenende und periodisch sehr wenig (Ferien!), so dass die wöchentliche Arbeitszeit Schwankungen im Bereich von 20, 30 Arbeitsstunden unterworfen ist. Zudem kommt das altbekannte Problem hinzu, dass manche Leute sich den Allerwertesten abarbeiten und 120% geben, während andere nur Dienst nach Vorschrift leisten und auch im Schnitt sicherlich keine 38-Stunden-Woche erreichen. Aber diese Probleme werden sich wahrscheinlich nie komplett beseitigen lassen, und von daher ist der Wert der GEW wenigstens ein grober Anhaltspunkt.
1) LSD im Trinkwasser // Emotionale Kriegsführung
Die Salonkolumnisten haben etwas zu Hans-Ulrich Jörges letzter Kolumne, in der dieser frei heraus darüber spekuliert, ob nicht vielleicht die Ukraine den Skripal-Anschlag oder Israel den syrischen Gasangriff als False-Flag-Anschläge konstruiert hätten. Man muss Jörges zugute halten dass er eine wasseridchte Beweislage hat, folgert er doch messerscharf, dass weder Syrien noch Russland angesichts zu erwartender Kritik aus dem Westen ein Interesse daran hätten das zu tun. Potzblitz! Das ist natürlich eine harte Datenlage. Es handelt sich hier um ein weiteres Beispiel dafür, wie die Leitmedien selbst wahrlich genug zur Verbreitung von Fake News und der Radikalisierung des Diskurs' beitragen, ohne die sozialen Medien zu brauchen. Der zweite verlinkte Artikel untersucht diese Art der Argumentation etwas genauer ohne das konkrete Beispiel Jörges.
2) Diese Empörung ist wichtig
Sascha Lobo setzt einen ungeheuer relevanten Akzent zur Debatte um die Empörungsmechanismen in den Sozialen Netzwerken. Nur weil sich die Community leicht empöhrt heißt das nicht, dass Empörung nicht manchmal angebracht ist. Im konkreten Fall geht es um die unsägliche MDR-Talkshow, in der die hier schon öfter kritisierte Normalisierung des rechten Diskurses betrieben und die Frage "Darf man denn noch Neger sagen?" als debattenwürdige Fragestellung in den Raum geworfen und mit Frauke Petry eine Diskussion um Fluch und Segen des Rassismus geführt wird. Was kommt als Nächstes? "War am Holocaust nicht alles schlecht?" Es ist dies einmal mehr ein Beispiel dafür, dass es gerade die etablierten Leitmedien sind, die der Radikalisierung und Polarisierung Vorschub leisten, und dass die Sozialen Medien in diesem Fall eine wertvolle Korrektivfunktion einnehmen können (auch wenn sie in den meisten Fällen nicht gerade das Adjektiv "wertvoll" verdienen).
3) Tweethread von Nate Silver zu Clintons Chancen und Comeys Annahmen
Bekanntlich war einer der wenigen Journalisten, die 2016 ein gutes Verhältnis zum Thema Wahrscheinlichkeiten eines Trump-Siegs hatten, Nate Silver von 538. Auf Twitter legte er noch einmal mit seinem Hauptärgernis gegenüber seinen Kollegen nach: dass diese Clinton als eine sichere Bank betrachteten, was die Umfragen schlicht nicht hergaben, und danach genau diese Umfragen kritisierten. Der erste Teil seiner Kritik ruft bei mir auch immer einen Phantomschmerz hervor, denn ich war ja auch der Überzeugung, dass Clintons Sieg ausgemachte Sache war. Seinen Ärger darüber, dass die Ursachen für diese Fehlannahme in keinster Weise aufgearbeitet wurden, kann ich allerdings nur teilen. Die absolute Weigerung seiner Kollegen, Konsequenzen aus dem Debakel von 2016 zu ziehen, ist atemberaubend - und umfasst auch nicht nur Journalisten. Man kann ein sehr gutes Argument dafür konstruieren, dass ohne diese falsche Sicherheit eines Clintonsiegs sie ziemlich sicher gewonnen hätte, so paradox das klingen mag; das allerdings werde ich einem zukünftigen Artikel noch einmal genauer thematisieren, genauso wie diese Umfragengeschichte.
4) Planet Earth gets a ground game
In einem ausführlichen Hintergrundartikel wird hier beschrieben, wie ein Klimaaktivist versucht, die Abgeordneten der Democrats zu einer höheren Priorisierung des Klimawandels zu bringen beziehungsweise Abgeordnete zu wählen, für die er eine hohe Priorität ist. Kurzgefasst ist die Idee die, die Wahlbeteiligung unter Leuten zu erhöhen, für die Klimawandel eine hohe Priorität ist. Das sind nicht viele Leute, aber die Zahl ist auch nicht null. Die Strategie ist sicherlich der richtige Weg das anzugehen. Die Republicans haben schließlich vorgemacht, wie einzelne Lobbys eine komplette Partei dominieren können, obwohl das jeweilige Thema bei der Wählerschaft eigentlich keine große Rolle spielt - man sehe sich nur die Waffenfrage an.
Was im Artikel allenfalls am Rande vorkommt ist die Frage warum das eigentlich überhaupt so funktioniert, deswegen sei das hier kurz nachgeschoben. Gerade in linken Kreisen liest man oft irgendwelche Umfragen zu einzelnen policy-Fragen, die eine scheinbar überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung für eine Position zum Ausdruck bringen, die von den meisten Parteien nicht geteilt wird. Die LINKE etwa machte jahrelang viel daraus, dass je rund 75% der Deutschen den Abzug aus Afghanistan und die Einführung des Mindestlohns unterstützten. Nur, was bei dieser Art Umfragen immer nicht bedacht wird ist die Salienz des jeweiligen Themas, oder einfach gesagt: wie wichtig es den Leuten ist. Ins Blaue hineingefragt sind auch die meisten Leute irgendwie für Klimaschutz, aber geht es dann konkret um das Fahrverbot für Diesel nehmen andere Themen schnell den Fahrersitz ein (Wortwitz!). Was ein Aktivist, gegebenenfalls auch innerhalb der Partei, erreichen muss ist also eine höhere Salienz für das Thema. Und da haben Klimaaktivisten noch viel zu tun.
5) What we get wrong about the racial wealth gap
Diese schöne Studie zeigt die vielen Mythen, die im Zusammenhang mit dem racial wealth gap gerne gelaubt werden. Der racial wealth gap ist die Differenz im Nettovermögen zwischen weißen und schwarzen Haushalten in den USA (eine Messung ähnlich dem gender pay gap, und ähnlich umstritten). Und der ist beachtlich. Eines der größten Probleme im Umgang mit der Lücke ist, dass es immer einige Overachiever gibt, die öffentlichkeitswirksam das Bild verzerren, worauf die Studie auch genauer eingeht. Es gibt die Neigung - auch hier analog zum Gender Pay Gap - die Differenz auf persöhnliche Fehlentscheidungen zu schieben. Das sehen wir ja hier im Blog auch immer wieder ("Müssen die Frauen halt aufhören in den Öffentlichen Dienst zu gehen"). Und die hält sich hartnäckig. Dabei werden systemische Faktoren aber einfach völlig ignoriert.
Ein großer Teil des racial pay gap kommt zudem von der Problematik, dass Wohlstand sich vor allem durch Erben von Immobilien und anderen Vermögenswerten akkumuliert. Der gigantische Vermögensaufbau der weißen Mittelschicht in den Wirtschaftswunderjahren aber ließ die Schwarzen außen vor (keine Bange, ausführlicher Artikel zu DEM Thema ist auf der To-Do-Liste ;)), woran sie bis heute leiden. Am relevantesten aber, es sei erneut gesagt, sind die systemischen Faktoren, und die betreffen auch Minderheiten in Deutschland. So fällt es zum Beispiel gerade Flüchtlingen ungeheur schwer, ein Konto zu eröffnen, weil die systemischen Regeln gegen sie arbeiten. Ohne Zugriff auf diese elementare Infrastruktur aber ist ein Leben über Subsistenzlevel häufig kaum machbar, und ein ähnliches Problem hat die Schwarzen in den USA auch lange Zeit im Würfegriff gehalten.
Die Studie mag daher zwar vor allem relevant für die Situation in den USA sein; grundsätzlich aber lassen sich viele der Problemfaktoren und systemischen Brüche auch auf Deutschland übertragen und sind sicherlich eine Debatte wert (die auch bald ihren eigenen Artikel kriegt).
6) The merging of misoginy and modern medical technology
Es ist ein altbekanntes Thema, dass technische Fortschritte nutzneutral sind - sie können zum Guten wie zum Bösen verwendet werden. Viele Ergebnisse der pränatalen Medizin zeigen ihre dunkle Seiten etwa für bekennende Christen schon seit Jahrzehnten in der einfachen Verfügbarkeit von Abtreibung. Eine düstere Wendung bekommt diese spezifische Anwendung, wenn man in die großen Schwellenländer wie China oder Indien blickt. In diesen Kulturen werden männliche Babies deutlich mehr wertgeschätzt als weibliche, und es besteht eine mehrere Millionen starke Lücke, die sich nur durch die Ermordung weiblicher Embryos erklären lässt. Doch selbst diese düstere Wendung kann noch eine Stufe weiter gedreht werden: der obige Artikel geht nämlich nicht darauf ein, dass diese Vorliebe und die daraus folgende Konsequenz auch historisch verbürgt sind, und zwar wahrlich nicht nur für Asien. Da in früheren Zeiten das Geschlecht des Kindes erst bekannt war, nachdem es geboren wurde, ist die Folge davon leicht zu durchschauen: massenhafter, normalisierter Mord von Baby-Mädchen.
Wir erkennen die beeindruckenden Fähigkeiten früherer Gesellschaften bei der Geburtenkontrolle übrigens bis weit in die Antike zurück; so haben Forscher etwa nachgewiesen, dass in ökonomisch knappen Zeiten deutlich weniger Kinder (und anteilig mehr männliche) "offiziell" geboren werden als in ökonomisch wohlhabenden Zeiten, und die mangelnde heute verfügbare Technik lässt nur den Schluss zu, dass freizügig Kindesmord getrieben wurde. Was im Übrigen eine in den Textquellen durchaus Indizien hervorbringende Annahme ist, denn die schreibenden Autoritätspersonen - im mittelterlichen Europa vor allem der Klerus - mussten schon sehr aktiv wegsehen. Sachverhalte wie dieser werden in den Geschichtsbüchern gerne übergangen, weil sie äußerst unangenehme Tehmen sind. Aber man sollte sich durchaus allen dunklen Seiten der Vergangenheit und der menschlichen Natur stellen, und Misoginie ist eine verbreitete Konstante der menschlichen Geschichte.
7) The political uses of the anti-anti-Confederacy
In einem weiteren Beispiel für die Nutzung toxischer rechter identity-politics beschreibt dieser Artikel, wie republikanische Politiker in den Südstaaten, etwa in Alabama, Gedenktage für die CSA nutzen, um gegen ihre politischen Gegner mobil zu machen. So haben mehrere republikanisch dominierte Staatenparlamente Gestze erlassen, die eine Beseitigung der neo-konföderalistischen Monumente für Kriegsverbrecher und Sklavenhalter unmöglich machen sollen. Die Stadt Mobile in Alabama etwa, die (wie die meisten Großstädte von den Democrats regiert) jüngst einige der widerlichsten dieser Monumente beseitigte, bekam vom Staatenparlament das Budget für ihre 200-Jahr-Feier drastisch gekürzt.
Diese Art der Kriegführung gegen den politischen Gegner ohne Rücksicht auf die Menschen, die auch mit abweichenden Ansichten unter den Amtseid fallen, ist typisch für die polarisierte Stimmung in den USA. Bislang ist diese Art der Kriegführung auch unilateral. Während etwa die massiven Steuerkürzungen und Handelseinschränkungen Trumps mit Laserpräzision darauf zugeschnitten sind, den eigenen Wahlkreisen zu helfen und denen der Democrats zu schaden, zielten die letzten Maßnahmen der Democrats, allen voran Obamacare, auf die Bevölkerung gerade der Staaten, in denen sie nicht gewählt werden - auf Kosten ihrer eigenen Bastionen im reichen Norden.
Davon einmal abgesehen ist es wieder und wieder erschreckend, wie offen in den Südstaaten die CSA verherrlicht und jede Aufarbeitung der Vergangenheit unterdrückt werden. Es ist, als ob Deutschland überall Statuen von Reinhard Heydrich, Heinrich Himmler und Amon Göth aufstellen, Hakenkreuzfahnen über den Landtagen aufziehen und regelmäßige Feste zum Gedenken an das Dritte Reich feiern würde, während man sich darüber wundert, warum um Gottes Willen die Juden es in dem Staat zu nichts bringen. Der Schaden, den diese Partei an ihrem Land anrichtet, ist gigantisch.
8) Tweetthread über die "free speech crisis" an amerikanischen Unis
Eines der Lieblingsargumente, das sich von der moderaten Linken (Jonathan Chait!) bis zur extremen Rechten zieht, ist die Kritik der Proteste an den amerikanischen Unis, wo linke und linksradikale studentische Aktivisten immer wieder Auftritte von Personen aus dem rechten und rechtsradikalen Spektrum behinderten und verhinderten. So nervig diese infantilen Proteste auch sind, sie werden gerne in einem Anfall von Bothsiderism aufgeblasen, um eine Äquidistanz für die Gefährdung der Meinungsfreiheit durch links und rechts herstellen zu können. Nicht ungestört einen Vortrag auf dem Campus halten zu können ist aber bei weitem nicht so problematisch wie ein Staat, der nestimmte Meinungen unterdrückt.
9) Unbezahlte Arbeit - Frauen leisten mehr
Noch immer leisten Frauen, auch bei Vollzeitjobs, deutlich mehr unbezahlte Hausarbeit als Männer. Tatsächlich gibt es nur ein Feld, auf dem Männer mehr Arbeit leisten, und das ist das Reparieren von allerlei Haushaltsgerät und Fortbewegungsmitteln. Da der Kram im Normalfall aber nicht so häufig kaputt geht, bleibt die Ungleichheit weiter vorhanden. Der oben verlinkte Artikel impliziert zudem, dass diese Verteilung ein weiterer Faktor dafür ist, dass Frauen eher in Teilzeitberufe gehen oder in solche, deren Arbeitszeiten deutlich abschätzbar sind - alles Faktoren, die beruflichem Erfolg und Karriere im Weg stehen. Der dafür offensichtlichste Indikator ist, dass in Familien mit Kindern die Männer MEHR arbeiten statt weniger, während die Frauenerwerbstätigkeit mit Kindern deutlich abfällt.
Dieses Problem habe ich hier im Blog schon öfter thematisiert, und es steht auf zwei Beinen. Auf der einen Seite stehen systemische Ursachen - etwa der Mangel an attraktiven Teilzeitmöglichkeiten (wobei hier in letzter Zeit legislativ viel passiert ist und es die Pflicht der Wirtschaft wäre, endlich die entsprechenden Realitäten zu schaffen) - und auf der anderen Seite sehen gesellschaftsmentale Ursachen, etwa die Nonchalance vieler Männer, dieses Problem überhaupt anzuerkennen und es einfach zu einer Vorliebe von Frauen zu erklären, sich auf die Hausarbeit zu konzentrieren, am besten mit irgendeiner verschwurbelten biologistischen Erklärung. An beiden Standbeinen muss gesägt werden, wenn dieses Problem - und um ein solches handelt es sich zweifellos - jemals beseitigt werden soll.
10) 48 Stunden und 18 Minuten - so viel arbeiten Lehrer im Schnitt
Die Arbeitszeit kaum eines Berufsstands ist so umstritten wie die der Lehrer. Da viel dieser Arbeit zuhause erledigt wird und keiner geregelten Aufsicht unterliegt, sind harte Zahlen naturgemäß wesentlich schwieriger zu bekommen als in Bereichen, wo Angestellte ein- und ausstempeln. Die GEW, die in diesem Zusammenhang mit Sicherheit keine neutrale Quelle ist, hat eine Studie erstellt, die auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden und 18 Minuten kommt. Diese Zahl ist natürlich wenig aussagekräftig, wenn man versucht, die "typische" Lehrerarbeitswoche zu rekonstruieren. Lehrer arbeiten sehr viel am Wochenende und periodisch sehr wenig (Ferien!), so dass die wöchentliche Arbeitszeit Schwankungen im Bereich von 20, 30 Arbeitsstunden unterworfen ist. Zudem kommt das altbekannte Problem hinzu, dass manche Leute sich den Allerwertesten abarbeiten und 120% geben, während andere nur Dienst nach Vorschrift leisten und auch im Schnitt sicherlich keine 38-Stunden-Woche erreichen. Aber diese Probleme werden sich wahrscheinlich nie komplett beseitigen lassen, und von daher ist der Wert der GEW wenigstens ein grober Anhaltspunkt.