Herr Mayer wollte sich eigentlich nur die Galle rausnehmen lassen. Sonst war Herr Mayer eigentlich ganz gesund und die OP gerade am Laufen, da beschloss ich, es sei an der Zeit, eine neue Vermarktungsstrategie für unser Buch zu erproben. Ich rückte näher an das Ohr des schlafenden Herrn Mayers. “Herr Mayer… ich weiß, dass Sie mich hören können… Ich lese Ihnen jetzt etwas aus einem Buch vor. Es heißt Balthasar und die Kunst des Heilens und die ISBN ist 9783842364103. Es hat 208 Seiten und kostet 11,95. Sie können es bei Amazon oder Libri bestellen, wenn Sie das möchten. Ich werde Ihnen jetzt mal den Anfang des ersten Kapitels vorlesen…” Ich sah mich um, um sicherzugehen, dass mich keiner beobachtete, dann zog ich ein Exemplar des Buches aus meiner Kitteltasche. Ich räusperte mich und beugte mich noch weiter zu Herrn Mayer hinunter. Dann schlug ich das erste Kapitel auf und begann vorzulesen:
“Wer Niederlümmelbach nicht kennt, hat nichts verpasst. Genau eine Straße führt dorthin und diese Straße führt glücklicherweise auch wieder weg. Zu sehen gibt es dort nichts. Wer das Ortseingangsschild passiert, drückt fest aufs Gaspedal, um schnell weiterzukommen. Genau darauf haben die Einheimischen gewartet: gut versteckt hinter einer Kurve wurde nach einstimmigem Beschluss des Gemeinderates ein Blitzkasten aufgestellt. Und so finden zahlreiche Autofahrer wenige Tage nach ihrem kurzen Besuch ein kleines Andenken im Briefkasten.
Der Verkauf dieses Souvenirs ist eine wichtige Stütze der lokalen Wirtschaft. Fast so wichtig wie der Puff, dem Niederlümmelbach seinen Namen verdankt. Seitdem die Uschi vor ein paar Jahren in einer kleinen Seitenstraße ihre diskrete Oase der käuflichen Liebe eröffnet hat, erinnert sich kaum noch jemand daran, dass der Ort auf Landkarten und Straßenschildern eigentlich als Niederlummerbach verzeichnet ist. Der Puff hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Seitdem die örtliche Fabrik geschlossen wurde, kommen fast nur noch die Jungs von der Giftmülldeponie hierher, die neben dem Blitzkasten der einzige Wirtschaftsfaktor des Ortes ist.”
“Was sabbeln Sie da eigentlich die ganze Zeit?” fragte Oberarzt Aufschneider etwas genervt von der anderen Seite der Blut-Hirn-Schranke. Ich sprang erschrocken auf uns schlug mir dabei den Kopf am Metallständer an.
“Ich lese aus meinem Buch vor!” sagte ich stolz, nachdem sich der Chor der Engelein wieder aus meinem Kopf verflüchtigt hatte. “Ich habe ein Buch geschrieben, wissen Sie? Zusammen mit Medizynicus!”
“Das ist mir völlig Latte, was Sie da geschrieben haben, ich möchte jetzt in Ruhe arbeiten und nicht von irgendwelchen Geschichten aus Niederlümmelbach in meiner Konzentration gestört werden! Es ist ja traurig genug, dass Sie anscheinend Narkose machen können, ohne dabei einmal auf den Monitor zu schauen!”
Ich blickte verschämt auf den Boden. “Aber gucken Sie sich doch wenigstens mal das Cover an…” versuchte ich es noch einmal und reckte das Buch in die Höhe und über den Vorhang. Dabei verhedderte sich mein Ärmel allerdings in einer der Tuchklemmen, was zur Folge hatte, dass die Aufwärtsbewegung meiner Hand abrupt gestoppt wurde und das Buch in einem hohen Bogen aus meiner Hand geschleudert wurde – unter den entsetzten Augen der Chirurgen landete es genau auf dem Bauch des Patienten. Das Cover dankenswerter Weise oben… Glücklicherweise wurde die OP in Schlüsselllochtechnik durchgeführt, so dass das Buch selbst nicht mit einer Wunde des Hern Mayer in Kontakt kam. Nichtsdestotrotz waren das gesamte laparoskopische Besteck, Herr Mayer selbst und zwei Chirurgen jetzt unsteril, was die OP-Schwester zu einem lauten und entsetzten Schrei veranlasste. Ich selbst starrte erschrocken auf das Buch, unfähig, mich zu rühren. Oberarzt Aufschneider und sein willenloser Assistent sagten auch nichts. Langsam löste Oberarzt Aufschneider seine Hand von einem der Instrumente und griff nach dem Buch. Dann schlug er mir wortlos mehrfach mit demselben auf den Kopf und warf es dann mit einer sehr aggressiven Bewegung in den Mülleimer, welcher laut schepperte.
“Ich würde Ihnen das Exemplar jetzt natürliche schenken?” sagte ich schließlich.
Die Antwort von Oberarzt Aufschneider möchte ich an dieser Stelle lieber nicht zitieren…
Später rief ich Medizynicus an. ”Noch ein Fehlschlag…” verkündete ich. Er bat mich, doch bitte mit der Vermarktung des Buches aufzuhören…