Verlust an Pflanzenvielfalt führt zu weniger komplexen Ökosystemen

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern der Universitäten Göttingen und Jena hat zum ersten Mal die Auswirkungen von Artensterben auf ein komplettes Ökosystem untersucht. In aufwändigen Freilandexperimenten über einen Zeitraum von acht Jahren konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich der Artenverlust offenbar quasi „von unten nach oben“ in der Nahrungskette fortsetzt. So zieht der Verlust einer Pflanzenart schneeballartig das Aussterben weiterer Arten nach sich. Dieser Prozess kann das gesamte Ökosystem destabilisieren. Die Ergebnisse sind am Mittwoch, 27. Oktober 2010, in der Online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature erschienen.

Wenn Pflanzenarten lokal aussterben, dann sterben als nächstes diejenigen Organismen aus, die direkt auf Pflanzennahrung angewiesen sind. Erst danach trifft es Organismen, die weiter oben in der Nahrungskette stehen, wie zum Beispiel räuberische Käfer. Bisher ging man davon aus, dass das Artensterben vor allem die empfindlichen Arten an der Spitze der Nahrungskette betrifft. „Wenn auch nur eine einzige Pflanzenart ausstirbt, dann gehen mit ihr oft eine ganze Menge weiterer Arten verloren“, erläutert der Göttinger Agrarökologe Dr. Christoph Scherber. „Die Studie ermöglicht auch, Artensterben vorherzusagen und abzuschätzen, welche Tiergruppen am empfindlichsten darauf reagieren.“ Beispielweise tritt die Reaktion von Organismen, die im Boden leben, verzögert auf und fällt schwächer aus als die von oberirdisch lebenden Tieren.

Weiterhin konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich eine große Artenvielfalt der Pflanzen fast immer positiv auf die Artenzahl anderer Gruppen von Organismen auswirkt und damit auch wichtige ökologische Funktionen wie den Blütenbesuch durch Bestäuber und die Kontrolle von Pflanzenfressern fördert. Außerdem unterdrückt Artenvielfalt das Wachstum von Unkräutern und den Pilzbefall von Pflanzen. „Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass die Pflanzenvielfalt vor allem Arten und Funktionen fördert, die für den Menschen wichtig und erhaltenswert sind“, so Dr. Scherber und Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie der Universität Göttingen.

Die Welt verliert zurzeit Tier- und Pflanzenarten mit einer rasanten Geschwindigkeit: Vor allem durch die Zerstörung von Lebensräumen sind heute etwa 30 Prozent aller Arten gefährdet. An der Studie waren über 40 Wissenschaftler aus Europa und Nordamerika beteiligt. Die Untersuchungen wurden im Rahmen des so genannten Jena-Experiments durchgeführt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.


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