Verlässliche Bürger

Alles ist vorbereitet, alles ist aufgetischt: Der Reichstag ist als potenzielles Terrorziel auserkoren, die Bahnen werden stichpunktartig und präventiv aufgehalten und durchsucht, "seltsam aussehende Menschen" dürfen zum Fanal neuen GeStaPo-ismus herhalten - "Melde gehorsamst, ich kenne da einen...", dabei Hacken zusammengeschlagen und gravitätische Miene vortragend; alles im wohligen Gefühl verrichteter, notdürftiger Bürgerpflicht. Alles läuft rund, alles ist gut strukturiert: Menschen fürchten sich, Behörden sorgen sich, Medien überbieten sich gegenseitig! Der Terroranschlag ist in aller Munde, in allen Köpfen, läßt in alle Hosen machen. Bürger bibbern in Kameraobjektive, Minister sprengen selbige mit ihren herrisch zur Schau gestellten und geballten Fachkompetenzen, Reporter wittern in jedem verwaisten Schulrucksack Atomsprengköpfe und den chemischen Overkill.
Man berät sich öffentlich über sinnvolle Anschlagsziele. Reichstag oder Parteizentralen, Merkels Frisierkommode oder Westerwelles Gentlemen's club? Sinnvoll wäre es, berichten Fachleute, einen Koffer oder eine Discountertasche mit explosiver Füllung in einen ICE zu verstauen. Wer solcherlei Ideen noch nicht hatte: jetzt hat er sie! Haarklein erläutert man, wie so ein richtig bombastischer Anschlag aussehen könnte. Explodierende Einkaufszentren, einstürzende Häuserschluchten, Marktplätze die in Feuersbrünste getaucht werden! Abgerissene Glieder, herauslappende Gedärme, heraussickerndes Blut: darüber spricht man jedoch weniger, man will den Terror eher steril ins Wohnzimmer installieren. So steril, wie die ganzen Apparatschiks und Funktionäre, die zur Terrorgefahr monotone Phrasen verschleudern.

Kurzum: die Hysterie ist serviert, das terroristische Biotop kultiviert, das nötige Milieu ausstaffiert. Was jetzt noch fehlt, das sind zuverlässige Terroristen, langbemäntelte, langbebärtete Männer mit bösem Blick und tiefem Hass. Die Bundesregierung und ihre teilhabenden Medienanstalten rufen daher zur Audition, zum Casting! Es bedarf keines großen Talentes, man kann sich quasi ins bereitete Nest hocken, die gesellschaftlichen Prämissen sind geschaffen, die Stimmung stimmt, die Furcht lähmt - jetzt fehlt nur noch der Terrorist, ein zuverlässiger Guerilla. Das ist der eigentliche Skandal: dass sich niemand findet, der das, wovon seit Tagen in dieser Republik gewarnt und gezittert wird, unter Eigeninitiative ausführt. Wo ist der verantwortungsbewusste Bundesbürger, der sich zum Wohle aller dazu emporschwingt, ein bisschen Terror zu verbreiten? Wie soll das mit der Vorratsdatenspeicherung klappen? Wie mit der gezielteren Überwachung? Wir werden niemals mehr in den Genuss spießelnder Blockwarte gelangen, wenn es nicht endlich auch kracht - sehnsuchtsvolles Berichten und Beschwören reicht einfach nicht aus.
Verlässliche Bundesbürger braucht die Nation. Verlässlich ängstlich, verlässlich hysterisch, verlässlich auf Überwachung getrimmt - und verlässlich gewaltbereit, wenn der Muselmann nicht mitspielt. Sein Land zu lieben, kann manchmal auch bedeuten, sein Land mit Gewalt zu überziehen: wenn danach auf Vorrat Daten gehortet und Kameras aufgestellt werden dürfen, dann wohnt auch jeder Gewalttat ein schöner Anfang inne. Ein Bundesbürger, der was auf seine Staatspflicht hält, der läßt sich nun einen Bart stehen, konvertiert oberflächlich zum Islam hinüber, stößt undefinierbare Kehlkopflaute aus und bündelt die Bosheit in seinem Blick, und vielleicht hatte er auch schon von Geburt an eine Krummnase, die sein räuberisches Antlitz rahmt - dann kauft er sich eine Tasche und eine Sprengstoffattrappe und erfüllt den sehnlichsten Wunsch der Berliner Falken und ihrer berichtenden Spatzen...

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