Von Stefan Sasse
Ich habe mich ja schon öfter über das geärgert, was dieser Tage als Emanzipations- oder Gleichstellungspolitik durchgeht. Durch zwei tagesaktuelle Ereignisse kriegt das Thema gerade aber wieder einen Aktualitätsbezug, den man keinesfalls unkommentiert stehen lassen möchte. Das eine ist die Frage nach der Elternzeit von Sigmar Gabriel, das andere ist das Wohl und Wehe der "Schlecker-Frauen", wie die BILD-kompatible Zuschreibung der nun arbeitslosen 11.000 Schlecker-Beschäftigten ist. Beide Themen unterliegen einer merkwürdigen Schieflage. Zur Erinnerung: Sigmar Gabriel, der diesen Sommer zum zweiten Mal Papa wird, wurde als Zielobjekt einer prinzipiell wohlmeinenden und angebrachten Kampagne erwählt. In einem offenen Brief wurde er aufgefordert, doch einige Monate Elternzeit zu nehmen und damit ein Signal zu senden und etwas für die berufliche Gleichstellung von Müttern und Vätern zu tun. Gleichzeitig landen die 11.000 ehemaligen Schlecker-Beschäftigten, die zu einem überwältigenden Teil weiblich sind auf der Straße, ohne dass eine Feministin öffentlich besonders darüber echauffiert wäre (eine Ausnahme). Es ist eine Debatte, die nicht stattfindet.
Zuerst zum Thema Sigmar Gabriel. Dass ins öffentliche Bewusstsein gerückt wird, dass auch Männer häufig in ihren Karrierepositionen keine Chance haben, sich eine Auszeit für die Kindeserziehung zu nehmen, ist ein ernsthaftes und wenig thematisiertes Problem. Leider aber schafft die Kampagne hier nicht, gerade dafür Aufmerksamkeit zu erzeugen. Stattdessen wirkt sie eher wie eine kleine Racheaktion: schau her, Sigmar, jetzt musst auch du leiden! Dabei wäre es wesentlich angebrachter, auf das gigantische Problem hinzuweisen, dass eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade in der höher dotierten, karriereorientierteren Branche nicht auch nur im Ansatz gegeben ist - weder für Männlein noch für Weiblein. Häufig bleibt deswegen immer noch die Frau zuhause oder verzichtet ganz darauf, in diese Berufe einzusteigen - oder sie verzichtet auf Kinder. Beides ist absolut nicht gut. Gleichzeitig verzichten Männer in praktisch allen Fällen darauf, eine Auszeit für ihre Kinder zu nehmen. Das ist ein Problem für beide Geschlechter. Vielleicht muss man es eine große Lebenslüge des von mir so oft kritisierten "Karriere-Feminismus" à la Thea Dorn oder Barbara Bierach nennen, wahrscheinlich die Lebenslüge dieser ganzen neuen Familienpolitik: ist eine hervorgehobene Karrierestellung wie Minister, Parteivorsitzender, Aufsichtsratsvorsitzender oder Unternehmensvorstand überhaupt mit Kindern vereinbar, ob man Mann oder Frau ist? Oder könnte es vielmehr sein, dass wir hier einer Chimäre nachjagen? Teilzeit-CEOs oder 400-Euro-Basis-Parteivorsitzende wird es auch in Zukunft nicht geben, diese Jobs verlangen eine ungeheure Arbeitsbelastung. Führen wir hier vielleicht eine Schattendiskussion?
Eine Diskussion, die merkwürdigerweise überhaupt nicht geführt wird ist dagegen die um das Schicksal der so genannten "Schlecker-Frauen". Auch das ist ein Punkt, den ich schon öfter angesprochen und kritisiert habe: der moderne Feminismus interessiert sich für die Leiden der sozial niedrig stehenden Frauen überhaupt nicht und ist zu einer reinen Privilegiengenerierungsmaschine für die wenigen Frauen, die Karriere machen wollen, verkommen. Warum arbeiten bei Schlecker, einem Unternehmen, dessen katastrophale Arbeitsbedingungen wahrlich oft genug thematisiert wurden, praktisch nur Frauen? Warum ist deren Schicksal, Spielball eines gefühllosen Patriarchen zu sein, kein Thema für Schwarzer, Dorn und Co? Männer, deren soziale Stellung mit der der "Schlecker-Frauen" vergleichbar ist, schuften meist auf dem Bau, fahren irgendwelche LKW oder stehen am Band, während die Frauen häufig ausbeuterische Bedingungen im Einzelhandel ertragen müssen. Das ist ein Thema, zu dem man von den Feministinnen überhaupt nichts hört, und auch die Quotenvorkämpferin Ursula von der Leyen im von ihr geführten Arbeitsministerium ist vollständig still. Der blinde Fleck des Feminismus für die Lage dieser Frauen (und übrigens auch Männer) ist so bezeichnend wie beschämend. Der Erfolg der Emanzipation steht und fällt in der gesamten Gesellschaft. Die große Mehrheit der Menschen, ob Mann oder Frau, wurde aber offensichtlich aufgegeben. Und am Ende wundert man sich dann darüber, warum die traditionellen Rollenbilder sich so persistent halten können. Hier liegt die Antwort, meine Damen! Genau hier, in den geschlossenen Schlecker-Läden. Klaus Stuttmann hat es wunderbar zusammengefasst. Seht seine Karikatur als Schlusswort.