„Meine Oma war jung, hübsch. Eine junge Mama.“ Judit Kéri erzählt in einem Fauteuil, abseits der Drehbühne, mitten im Publikum sitzend, einen Teil ihrer Familiengeschichte. Berichtet darüber, wie ihre Großmutter am Ende des Krieges ihren Vater auf die Welt brachte und kurz danach von russischen Soldaten in einem Wald vergewaltigt und ermordet wurde. Während sie spricht, entwirrt sie ein rotes Knäuel Wolle. Spinnt im übertragenen Sinn einen Blutsfaden, der sich durch die Generationen bis zu ihr zieht, den sie aber dabei ist, zu entwirren und neu zu formen. Ein schönes Eingangsbild für eine unversöhnliche Geschichte, die Kéri jedoch zwei Generationen später versucht, aufzulösen.
judit-keri-the-queen-and-the-eggs-c-daniel-szandtnerNicht nur eine Familiengeschichte
In der „Off White box“ des Off-Theaters in der Kirchengasse präsentiert die aus Ungarn stammende Tänzerin ihr neues Stück „The Queen and The Eggs“. Es ist die zweite Arbeit aus einer Trilogie. Mit „The King and the Pillowcase“, das am Beginn der Serie stand, beschäftigte sie sich hauptsächlich mit Machtverhältnissen. Die neue Arbeit gab ihr die Möglichkeit, sich mit den Themen Körper/liquid body, Sexualität, Geburt, Mutterschaft, Transgression, Vergänglichkeit, Kraft, Verlust und Tod auseinanderzusetzen.
judit-keri-the-queen-and-the-eggs-c-daniel-szandtnerWie sie selbst bei einem Gespräch betonte, sei „The Queen and The Eggs“ aber kein Stück über ihre Großmutter. Wobei man hier relativieren muss. Selbstverständlich ist es ein Stück über ihre Großmutter, aber nicht nur. Das Schicksal, das Zsófia kurz nach dem Krieg erlebte, ist das von Millionen von Frauen auf der Welt. Von Frauen, die Opfer von männlicher Gewalt wurden. Es steht aber in Kéris kreativer Aufarbeitung auch für die Möglichkeit, mit dieser erlebten Gewalt im Nachhinein Frieden zu schließen.
Videoprojektionen entlang der Jahreszeiten
Als Kéri nach ihrer Eingangserzählung hinter dem Vorhang verschwindet und ein zweites Mal auf die Bühne kommt, trägt sie ihr Haar kunstvoll hochgesteckt. Das beinahe bodenlange, goldene Kleid und die braun-goldene Stola verleihen ihr, die nun barfuß auf der Drehbühne mitten im Raum steht, ein mondänes Aussehen. Die tänzerische Umsetzung der Lebensgeschichte kann nun schon in viel größerem Ausmaß symbolhaft als in der reinen Erzählung zuvor gedeutet werden. Die Freude am eigenen Sein, die Freude, das Leben mit einem Mann zu teilen, Lust zu erfahren und ein Kind auf die Welt zu bringen, wird von ihr in einer fließenden, ruhigen Choreografie umgesetzt. Die Stola wird zum Sinnbild eines Geliebten, eines Partners, der umschmeichelt wird, aber die junge Frau auch begehrt. Die Beziehung, die Judit Kéri hier zeigt, ist eine harmonische. Die klangliche Begleitung vom Band stammt von Samu Gryllus, live-musikalisch agiert Szabolcs Vereb neben der Bühne. Zu Beginn sind es zart getupfte Töne, die sich wie die konzentrischen Ringe im Wasser, hervorgerufen durch einen Steinwurf, mehrfach leise wiederholen. Als die Tänzerin in einen Part übergeht, in dem die Gewalt überhandnimmt, verändert sich auch das Klangbild zusehends ins Raue.
Auch die Videoprojektion (Peter Vella), anfangs ein Waldboden, auf dem Ameisen krabbeln, verändert sich. Plätscherndes Wasser und eine Szene am Meer werden sich abwechseln. Ein See, über den Nebelschwaden ziehen, steht am Schluss der Performance.
Die Kraft des Weiblichen steht im Mittelpunkt
Es sind keine plakativen Gesten, keine illustrierenden Bewegungsmuster, die Kéri in ihrer Choreografie benutzt. Vielmehr agiert die Tänzerin feinfühlig, spürt offenkundig tief in ihr Inneres. Auffallend ist die Intensität, mit der sie auch kleine, intime Bewegungen ausführt. Nach einem intensiven Part, in dem Schrittfolgen wiederholt werden und eine rasche Rhythmik Ekstase markiert, kehrt Ruhe ein. Kérie sitzt dabei am Boden und wiederholt wie ein Mantra „I am bleeding a river for you“. Zwar kann die Aussage an dieser Stelle noch schicksalsbezogen hin zu ihrer Großmutter interpretiert werden. Zugleich öffnet sie hier aber auch die Idee, die Menses der Frauen in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen.
judit-keri-the-queen-and-the-eggs-c-daniel-szandtner„Ich habe mich sehr viel mit Postfeminismus beschäftigt. Einem Feminismus, bei dem nicht der Kampf gegen die Männer im Vordergrund steht. Es geht dabei vielmehr um ein Empowerment der Frauen und auch um ein Zurückgreifen auf uraltes Wissen. Wissen, das verloren gegangen ist“, beschrieb sie die Idee zum dritten und vierten Teil ihrer Performance in einem kleinen Publikumsgespräch. „Das Leben an sich, aber auch der weibliche Zyklus folgt dem Rhythmus der Jahreszeiten. Frühling, Sommer, Herbst und Winter.“ Und so legte sie auch die Choreografie an. Anmutige Bewegungen stehen am Beginn, ein Öffnen und eine energetische Konzentration folgen – ein Zurückziehen und eine Konzentration auf das eigene Ich, den eigenen Körper stehen am Schluss.
Judit Kéri eignet sich in „The Queen and The Eggs“ einerseits durch Transformation die Person ihrer Großmutter an, setzt ihr Schicksal in ihre eigene Körpersprache um. Durch die Idee, die Kraft des Weiblichen schlechthin in den Mittelpunkt der Performance zu stellen, schafft sie andererseits aber auch eine Diskussionsfläche rund um das Thema des ewig Weiblichen. Zu sehen noch bis inklusive 9. Oktober.
Ab dem 14. Oktober zeigt das Off-Theater eine weitere Tanzperformance mit Leonie Wahl. Gemeinsam mit dem bildenden Künstler Robert Fleischhanderl macht sich die Tänzerin in einem engen Glaskubus auf die Suche nach ihrer Identität.