© Stefan Scherer
Predigttext in leichter Sprache
Jesus ist zu einem Essen eingeladen
Einmal war Jesus zu einem Essen eingeladen. Das Essen war bei einem Religions-Gelehrten. Der Religions-Gelehrte hieß Simon. Simon wusste gut über Gott Bescheid. Simon wollte mit Jesus über Gott reden.
Auf einmal kam eine Frau in das Haus von Simon. Die Frau kannte Jesus und wollte bei ihm sein. Die Frau ging zu Jesus. Die Frau weinte. Die Tränen vom Weinen fielen bei Jesus auf die Füße. Jesus bekam davon nasse Füße. Die Frau hatte kein Handtuch. Aber die Frau hatte lange Haare. Die Frau machte die Füße mit den langen Haaren trocken. Außerdem hatte die Frau eine große Flasche Parfüm. Die Frau goss das Parfüm auf die Füße von Jesus. Das ganze Haus duftete nach Parfüm.
Simon ärgerte sich über Jesus. Und über die Frau. Simon dachte heimlich: Was die Frau tut, das gehört sich nicht. Die Frau ist eine schlechte Frau. Jesus muss die Frau wegschicken. Jesus hat keine Ahnung von der Frau. Jesus weiß nicht über die Menschen Bescheid. Und Jesus weiß nicht über Gott Bescheid. Jesus ist dumm.
Aber Jesus war überhaupt nicht dumm. Jesus wusste sogar, was Simon heimlich dachte. Jesus sagte zu Simon: Simon, ich möchte dir etwas erklären. Simon sagte: Ja, bitte. Jesus erzählte dem Simon eine Geschichte.
Jesus sagte: Einmal waren 2 Männer. Die beiden Männer brauchten Geld. Die beiden Männer gingen zu einem reichen Mann. Der reiche Mann hat den beiden Männern Geld geliehen. Später sollten die beiden Männer das Geld zurückgeben. Der eine Mann brauchte 100 Euro. Der andere Mann brauchte 10 000 Euro. Nach einiger Zeit wollte der reiche Mann das Geld zurück haben. Aber die beiden Männer hatten immer noch zu wenig Geld. Die beiden Männer konnten das Geld nicht zurückgeben. Der reiche Mann war gut. Der reiche Mann sagte zu den beiden Männern: Ihr könnt das Geld behalten. Ich schenke euch das Geld.
Jesus fragte Simon: Was meinst du? Wer war mehr froh? Der Mann mit den 100 Euro? Oder der Mann mit den 10 000 Euro?
Simon sagte: Ich glaube, der Mann mit den 10 000 Euro war mehr froh. Weil 10 000 Euro viel mehr Geld ist als 100 Euro.
Jesus sagte: Das ist richtig, Simon. Wenn einer viel geschenkt bekommt, freut der sich viel. Wenn einer wenig geschenkt bekommt, freut der sich nur wenig.
Dann sagte Jesus zu Simon: Guck dir diese Frau an. Diese Frau freut sich wie der Mann mit den 10 000 Euro. Diese Frau freut sich, weil ich da bin. Und weil ich von Gott komme. Die Frau weint vor Freude. Die Frau will für mich alles gut und schön machen. Die Frau macht sogar meine Füße mit ihren Haaren trocken. Die Frau hat vor Freude eine Flasche Parfüm ausgegossen. Simon, bei dir ist das anders. Du bist wie der Mann mit den 100 Euro. Du hast mich eingeladen. Aber du freust dich gar nicht, weil ich dich besuche.
Dann sagte Jesus zu der Frau: Gott hat dich sehr, sehr lieb. Gott freut sich über dich. Gott freut sich, weil du so lieb zu mir bist. Gott sieht in dein Herz. Gott macht alles gut bei dir. Du darfst froh nach Hause gehen.
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Als vor kurzem die deutsche gegen die norwegische Fussballnationalmannschaft spielte, erwähnte der Reporter mehrfach, wie freundlich ihn doch die Norweger aufgenommen hätten… ein Gefühl, dass viele Deutsche nach Auslandsreisen haben: in vielen Ländern sind die Menschen viel freundlicher, nicht so unhöflich wie in Deutschland.
Unsere bürokratisch verwaltete deutsche Gesellschaft ist nicht nur an ihren Rändern, sondern auch in ihrer Mitte „lieblos“ geworden. Wie oft erlebe ich das „Platz da, jetzt komm ich…“, wie oft schlägt mir in Geschäften oder Verwaltungen schlichtes Desinteresse an meinem Anliegen entgegen. Es ist eine Mentalität, die ich eher in einer Mangelgesellschaft erwarten würde: „Geht nicht – kann ich nicht – hab‘ ich nicht… Gibt’s hier nicht.“
Damit will ich nicht sagen, dass es nicht auch sehr viel soziales Engagement gibt, fürsorgliche Nachbarschafts- und Flüchtlingshilfe und eine Kultur des Helfens. Ich würde den vielen Initiativen und sozialen Vereinen nicht gerecht, die es zwischen Integrationsgruppen, Tafel-Bewegung, Hospizarbeit und ehrenamtlicher Sozialarbeit gibt.
Es gibt viele Menschen, die Anderen Gutes tun und so wie die Frau in der Erzählung aus dem Lukasevangelium die geplagten Füße des Nächsten mit Tränen benetzen und mit Öl salben. Eine moderne Gesellschaft ist eben komplexer und in sich vielgestaltig und weist immer parallel verlaufende Tendenzen auf.
Aber im Grossen und Ganzen kann ich mich des Eindrucks eines gewissen Lebensfrustes trotz des vordergründigen Lärms auf Hunderten von Feuerwehr-, Gemeinde- oder Stadtsommerfesten mit Bier, Musik und Trallala nicht erwehren: mir scheint, dass zuweilen die äußere Dekadenz mit einer inneren Leere einhergeht.
Das sind für mich die äußeren Anzeichen einer „Ego-Gesellschaft“, die den Verlust der bürgerlichen Mitte ausmachen.Auch wenn wir die Rede vom „Verlust der Werte“ immer häufig mit dem Holzhammer durch unsere Dörfer treiben, man kann es nicht überhören, der „Umgang“ miteinander hat sich von einem wohlwollenden zu einem aggressiven Unterton gewandelt.
Ob im beruflichen Alltag, wo Kommunikationsprobleme, Mobbing und Burn out Menschen oftmals an ihre Grenzen führen oder bei alltäglichen Begegnungen findet sich eine Spur nörgelnder Missmutigkeit, die sich oft auch in den Gesichtern der Vorbeigehenden oder mir flüchtig Begegnenden zu finden ist. Das „Für-Einander-Sein“, d.h. dem Anderen Gutes zu wollen, bleibt immer öfter auf der Strecke.
Und so geschieht es oft, dass dem anderen eine „böse“ Absicht des Handelns unterstellt wird und nicht mehr die Suche nach gemeinsamen Lösungen im Vordergrund steht. Die meisten Menschen werden diese Erfahrung vermutlich aus dem eigenen Lebensalltag kennen – und gerade vor Kirche macht dieser Unkultur des persönlich Beleidigtsein nun wirklich keinen Halt.
Gibt es hierfür Gründe oder Ursachen? Schauen wir doch einmal in die Erzählung von Jesu Salbung durch die Sünderin.
Sie hat zwei Teile, in deren Mitte das eine Thema der Vergebung steht: „wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“ – oder, in leichter Sprache: „ Wenn einer wenig geschenkt bekommt, freut der sich nur wenig.“ Spannend schon an dieser Stelle, dass vom Übersetzer in die leichte Sprache das Wort „Vergebung“ mit dem des „Geschenks“ gleichgesetzt wird – aber dies nur am Rand.
Für Jesus von Nazareth gibt es jedenfalls einen inneren Zusammenhang zwischen dem Geschenk der Vergebung und dem der Liebe, im Reich Gottes ist es die Vergebung Gottes, die durch den stellvertretenden Tod Christimöglich geworden ist, sie ermöglicht den Menschen ihre Fähigkeit zu lieben. Martin Luther hat das mal deftig auf den Punkt gebracht – und im Lateinischen versteckt: „pecca fortiter, sed fortiter fide“ – „sündige kräftig, aber noch kräftiger glaube“. Denn Glaube macht Vergebung und Vergebung macht Liebe erst möglich.
Ich gebe zu, schon sehr dick aufgetragen, denn natürlich gibt es auch andere Erklärungen für die Natur der Liebesfähigkeit nicht zu – zB. humanistische oder allgemein ethische.
Aber trotzdem, denken wir es heute mal „christlich“ zu Ende und kommen zum Kerngedanken: fehlt es am Glauben, dann fehlt es an Vergebung, und dann nimmt die Fähigkeit zu lieben ab – denn wo keine Vergebung mehr existiert, verkommt das Zusammenleben von Menschen in Lieblosigkeit.
Und schauen wir mit dieser Einsicht doch einmal auf unser Zusammenleben: Lässt sich auf die Gesellschaft von heute das vor gut 50 Jahren von dem Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter in der Situation einer Verweigerung zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit geprägte Wort von der „Unfähigkeit zu trauern“ umprägen auf die Vermutung, dass wir heutzutage an der „Unfähigkeit zu vergeben“ leiden?
Basiert also die überall zu findende Unterstellung, der Andere habe nur „Böses“ im Sinn, auf der Unfähigkeit zur Vergebung? Ist die „Lieblosigkeit“ eine Folge der Unlust zu vergeben?
Tatsächlich, Konflikte im beruflichen und zwischenmenschlichen Umfeld beruhen oft darauf, dass Menschen nicht bereit sind zuzugeben, eigene Fehler zu machen und dann dem Anderen auch Fehler zugestehen können.
Die Sünderin im Lukasevangelium, also diejenige, die Fehler gemacht hat, sie hat dagegen viel Liebe gegeben. Ihre Haltung Jesu von Nazareth gegenüber spiegelt die Erkenntnis, dass ihr vergeben wurde. Die Grundlage ihres eigenen Verhaltens ist die „Spiegelung“ des Verhaltens Jesu. Seine Haltung , sie anzunehmen und zu lieben, bildet die Basis ihres liebenden Verhaltens.
Die Erzählung beginnt ja damit, dass sie in das Haus des Pharisäers geht und dabei ein Glas Salböl mitbringt – offensichtlich einem inneren Impuls folgend. Das ist eine Geste, die im jüdischen Alltagszusammenhang dem Gast eine besondere Aufmerksamkeit entgegenbringt und ihm „Ehre“ erweist.
Und sie beginnt zu weinen, aber keine Tränen der Reue, sondern vielmehr Freudentränen. Denn wie das Lachen so können auch Tränen eine innere Erkenntnis ausdrücken: In Jesus von Nazareth begegnet der Sünderin die Vergebung, die Vergebung als Liebe wird für sie bei Jesus gegenwärtig.
Jesus besteht dabei nicht auf der „Sündhaftigkeit“ der Frau (worin diese auch immer bestanden haben mag), er vergibt ihr nicht nur ihre Schuld, sondern begegnet ihr in würdevollem Umgang mit Respekt und in einer Kultur der Anerkennung. Willkommenskultur in reiner Form; grossartig, oder?
Vielleicht hat die gepredigte Theologie auf den Kanzeln der protestantischen Volkskirche es seit dem Ende der großen Theologie im 20. Jahrhundert verlernt, die elementaren Prozesse von Vergebung und Rechtfertigung aus der Mitte des Lebens zu predigen; „gelebte“ Rechtfertigung in unserer Kirche? Eher nicht, oder?
Denn stattdessen lese und höre ich in langweilender Eintönigkeit kirchenamtliches Gefasele von „Spiritualität“. Gemeint ist damit – wenn es überhaupt inhaltlich durchdrungen wird – die Empfindung einer transzendenten Wirklichkeit meint und die bewusste Hinwendung und aktive Praktizierung einer als richtig erkannten Religion oder Philosophie. Da bleibt nicht viel Raum für den Anderen, für Vergebung, Hinwendung oder gar Liebe.
Religiosität hingegen bedeutet die Ehrfurcht vor der Ordnung und Vielfalt in der Welt – und eben auch das Anerkennen von Vergebung und Liebe im Sinne von Jesus Christus.
Wie aber erwächst nun die Liebe als Quelle des erneuerten Lebens, wenn in der Kirche nur noch am Rande von Gnade und Rechtfertigung die Rede ist?
Die Erzählung im Lukasevangelium verdeutlicht wie viele andere Geschichten in der Bibel die positive Sprengkraft der Vergebung: Sie öffnet Herzen, wo vermuteter Missgunst dem Anderen immer Böses unterstellt.
Schließe ich die Augen und stelle ich mir die Begegnung zwischen Jesus und der Sünderin vor, so zeigt sich mir der lebensbejahende Zusammenhang von Vergebung und Liebe: aus der Vergebung heraus begegne ich dem anderen Menschen einfach anders. Ich schaue auf ihn, wie er ist, und so, wie er ist, liebe ich ihn.
Wer im 21. Jahrhundert an die Reformation erinnern will – und das haben wir ja vor, wenn ich mir den Hype um Luther und die Reformation ansehe, der noch einmal verstärkt werden wird in den nächsten Monaten mit Festen und Trallala, der kommt an dem Zusammenhang zwischen Vergebung und Liebe nicht vorbei. Und dann versteht er auch sehr schnell, dass dies nicht allein ein protestantisches oder christliches Erbe ist, sondern einen tiefen inneren Zusammenhang von Judentum – Christentum – Islam darstellt, denn in allen drei Religionen wird die Liebe zum Nächsten aus der Gottesbeziehung heraus möglich.
Eine Gesellschaft, die dieses religiöse Erbe wach hält – in welchem Glaubenskontext auch immer, vielleicht sogar in welchem philosophischen Kontext auch immer – kann der Gefahr entgehen, „lieblos“ zu werden und zu einer Gesellschaft von persönlichen und gesellschaftlichen „spirituellen Egomanen“ zu degenerieren.
Durch Liebe in Liebe… das heisst mit der Erzählung aus dem Lukasevangelium gesprochen: hinschauen und sich einüben in eine Kultur gegenseitiger Anerkennung und Achtsamkeit! Tägliche Willkommenskultur in der Form, die uns Jesus von Nazareth lehrt!
Amen!
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen!
http://predigten.evangelisch.de/predigt/durch-liebe-liebe-predigt-zu-lukas-7-36-50-von-ralf-hoburg