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Der Bundesgerichtshof war im Jahre 2008 zu einer abweichenden Bewertung der ehelichen Lebensverhältnisse im Unterhaltsrecht gekommen: die nach Scheidung entstandenen Unterhaltsverpflichtungen – insbesondere die gegenüber der neuen Ehefrau - wurden nun als ebenfalls eheprägend angesehen, und damit reduzierten sich die Unterhaltsansprüche der Ex-Ehefrau erheblich.
Diese Rechtsprechung des BGH, und zwar einschliesslich der sogenannten Drittellösung (nach der der Pflichtige und seine beiden (Ex-)Ehepartner denselben Bedarf haben) wurde durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2011 (Az. 1 BvR 918/10) für verfassungswidrig erklärt.
Seit dieser Entscheidung herrscht Stille beim BGH, doch ändert dies natürlich nichts daran, dass auch nach dem 25.01.2011 Unterhalt berechnet werden muss, und dementsprechend stellt sich die Frage: was bedeutet denn nun diese Entscheidung für zukünftige, laufende und schon erledigte Unterhaltsberechnungen bzw. -verfahren?
Fangen wir mal vorne an: Kann das Urteil des BVerfG nun eigentlich zu Abänderungen von Unterhaltstitel führen, die auf der für verfassungswidrig erklärten Rechtsprechung des BGH inklusive der sogenannten Drittelrechtsprechung beruhen? Wäre dies nicht der Fall, dann würde die Entscheidung für „Alttitel“ ja keine Rolle spielen.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden (BGH FamRZ 1983, 568) dass eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse als Voraussetzung für eine Abänderung gegeben ist, wenn das BVerfG eine Norm nach §31 II BVerfGG für nichtig erklärt oder ein Gesetz abweichend verfassungsgemäss auslegt. Schliesslich habe die Entscheidung des BVerfG einen ähnlichen Rang wie eine Gesetzesänderung – die zur Abänderung berechtigt. Dies muss nun aber auch für die Erklärung des BVerfG gelten, die Rechtsprechung des BGH sei verfassungswidrig: dadurch ändert sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, und deswegen eröffnet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch die Möglichkeit, Alttitel abzuändern.
Aber was sind nun die tragenden Erwägungen des BVerfG, die zur Verfassungswidrigkeit der Rechtsprechung des BGH führen? Fassen wir sie kurz zusammen (Sie können auch hier ergänzend nachlesen):
- Ein Gericht dürfe nicht – wie der BGH es getan habe – seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen (man könnte dies schon als heftige Ohrfeige für den BGH werten, wenn man bösartig sein wollte)
- Der Gesetzgeber habe auch nach der Unterhaltsrechtsreform den Unterhalt an den ehelichen Lebensverhältnissen festgemacht; er habe eine klare Prüfungsreihenfolge vorgegeben: Unterhaltstatbestand, Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit – diese habe der BGH verletzt (die nächste Ohrfeige).
- Entwicklungen nach Rechtskraft der Scheidung sind dann als eheprägend anzusehen, wenn sie zumindest einen gewissen Bezug zu den ehelichen Lebensverhältnissen haben, quasi in der Ehe angelegt und nicht unvorhersehbar waren.
- Ein neuer Ehepartner aber ist nicht „in der Ehe angelegt“, denn er kann ja nur nach einer Scheidung auftreten.
- Auch ist es nicht hinnehmbar, dass der geschiedene Ehegatte nur Nachteile durch eine Wiederverheiratung haben kann, schliesslich schöpfe der BGH mit seiner Rechtsprechung einen eventuellen Vorteil zu Lasten des ehemaligen Ehepartners ab.
Und, was machen wir nun: Ganz klar, so das Bundesverfassungsgericht, rechnen wir den Unterhalt also jetzt wieder „auf der Grundlage des Gesetzes“…
Aber was heisst das denn jetzt? Ein paar Merksätze vorweg:
- Unterhaltsverpflichtungen gegenüber einem neuen Ehepartner sind nicht mehr bedarfsprägend. Sie dürfen also bei der Berechnung des Bedarfs nicht mit einbezogen werden. Diese – zusätzliche – Unterhaltsverpflichtung ist also allein eine Frage der Leistungsfähigkeit und keine Frage des Bedarfs.
- Anders sieht das natürlich beim Bedarf der neuen Ehefrau aus; für diese sind die Unterhaltslasten aus der Ehe prägend und müssen schon beim Bedarf berücksichtigt werden.
- Unterhaltsverpflichtungen gegenüber neuen minderjährigen Kindern sind in jedem Fall auch nach der Entscheidung des BVerfG weiterhin im Rahmen der Bedarfsberechnung mit einzubeziehen, denn das Bundesverfassungsgericht sieht die Bedarfsberechnung weiterhin bestimmt durch unvorhersehbare nacheheliche Einkommensverringerungen, wenn sie nicht dem Unterhaltspflichtigen vorwerfbar entstanden sind; und der Klassiker in diesem Bereich nach der Rechtsprechung des BGH – die ja nicht völlig aus der Welt ist – sind die neuen minderjährigen Kinder.
Deswegen kommen wir also nach einer durchaus klassischen Berechnung des Bedarfs nach den ehelichen Verhältnissen zu einer Norm, die der BGH weitgehend in die Bedeutungslosigkeit katapultiert hatte, nämlich den §1581 BGB und dort die Einwendung der Leistungsunfähigkeit – für die der Unterhaltspflichtige in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet ist.
In Verbindung mit §1361 BGB und §1578 I BGB fnden wir hier eine wichtige Grundsatzentscheidung (BGH FamRZ 1990, 260): der in §1581 BGB genannte angemessene Unterhalt des Unterhaltsverpflichteten ist der volle eheangemssene Unterhalt nach §1578 oder §1361 BGB. Die Grenze des Unterhalts ist dementsprechend nicht der notwendige Selbstbehalt des §1603 II BGB – dem Unterhaltspflichtigen muss der angemessene Selbstbehalt und nicht nur der notwendige Selbstbehalt verbleiben. Auf dieser Leistungsfähigkeitsebene ist ggfs. eine angemessene Verteilung zwischen den Eheleuten nach §1581 BGB durchzuführen.
Dort wird dann auch der neue Ehegatte berücksichtigt, denn auch seine Unterhaltsforderungen berühren ja die Leistungsfähigkeit. Deswegen wird auf dieser Ebene (aber eben nicht im Bereich des Bedarfs) zu prüfen sein, ob man die jeweiligen Ansprüche individuell kürzt (vielleicht auch nach der Drittelmethode, was durch die Entscheidung des BVerfG auf dieser Stufe gedeckt sein dürfte), ob man eine Mangelfallberechnung durchführt, oder ob man quotenmässig kürzt. Hier wird sich zukünftig die Höhe des Unterhalts entscheiden – und bisher, so leid es mir tut, wird das auch die grosse Unsicherheit bleiben: jaja, die Einzelfallgerechtigkeit…
Jetzt sind wir also schon vollends „gelandet“ in den Fällen der Konkurrenz zwischen dem neuen und dem alten Ehepartner: halten wir uns noch einmal vor Augen, dass der neue Ehepartner bei der Bedarfsberechnung des alten Ehepartners keine Rolle spielt, denn der Unterhalt des geschiedenen Ehegattens ist ohne dessen Unterhaltsforderung zu berechnen. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch, dass auch der Splittingvorteil allein der neuen Beziehung zugute kommen darf – ein in der Vergangenheit ja auch gern genommener Streitpunkt.
Haben wir den jeweiligen Unterhaltsbedarf berechnet (der übrigens mindestens 770,00 EUR beträgt), dann sind wir wieder bei der Leistungsfähigkeit im Rahmen des §1581 BGB. Und da schauen wir als Erstes auf den Rang des jeweiligen Ehepartners:
- Ist der geschiedene Ehegatte vorrangig, wird der zweite Ehegatte bei §1581 BGB nicht berücksichtigt.
- Sind die Ehegatten gleichrangig, ist erst jeweils der Bedarf alle Parteien zu berücksichtigen, dann sind auf der Leistungsfähigkeitsebene zunächst die Vorteile des Zusammenlebens mit 10% des gesamten Familienbedarfs einzustellen. Und jetzt vergleichen wir die Summe des Bedarfs des geschiedenen Ehegattens, den eheangemssenen Bedarf des Unterhaltsverpflichteten und den Bedarf des neuen Ehepartners mit dem verfügbaren Einkommen. Reicht es, sind wir froh, reicht es nicht, machen wir die übliche Mangelfallberechnung.
- Ist der neue Ehegatte vorrangig, dann hat er einen Mindestbedarf von 840,00 EUR nach Düsseldorfer Tabelle. Ist dieser Mindestbedarf bei Vorwegabzug des Geschiedenenunterhalts gewahrt, ist eine Korrektur nicht erforderlich, da die Rangverhältnisse sich nur im Mangelfall auswirken. Haben wir aber einen Mangelfall, dann ist zunächst der Splittingvorteil auf den Bedarf des neuen Ehegattens zu verrechnen und dann der Unterhalt des geschiedenen Ehegattens um den Restbedarf zu kürzen.
Reicht es Ihnen? Mir schon für heute! Und deswegen verschiebe ich ein paar andere „Problemchen in einen späteren Beitrag; und wer sich nicht täglich mit diesen Fragen beschäftigt und mir trotzdem bis hierher gefolgt ist, den möchte ganz herzlich beglückwünschen. Ich hoffe gleichzeitig, dass er mit mir einig geht, wenn ich behaupte: wir sind noch meilenweit vom Ziel des Gesetzgebers entfernt, den Betroffenen ein einfaches und transparentes Unterhaltsrecht zur Verfügung zu stellen. Aber immerhin: da werden wir Rechtsanwälte nicht so schnell arbeitslos!