Verfassungsschutz und NPD: Aspekte eines Verbotsverfahrens

Von Jacobjungblog

15.11.2011 – Mitgliedern der terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ wird vorgeworfen, zwischen 2000 und 2006 insgesamt neun Männer mit Migrationshintergrund getötet zu haben. Darüber hinaus wird die rechtsextremistische Gruppierung für das „Nagelbomben-Attentat“ in Köln (2004) und den „Polizistinnenmord von Heilbronn“ (2007) verantwortlich gemacht.

Im Zusammenhang mit den Taten wird nun erneut über ein Verbot der NPD diskutiert. Ein erstes Verbotsverfahren war im Jahr 2003 an einer Sperrminorität von drei der sieben zuständigen Richter beim Bundesverfassungsgericht gescheitert. Diese sahen in den Verstrickungen zwischen NPD Führung und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes ein nicht behebbares Verfahrenshindernis.

Für ein erneutes Verbotsverfahren machten die Richter die Auflage, dass sämtliche V-Leute des Verfassungsschutzes kurz vor und während des Verfahrens „abgeschaltet“ werden müssen.

Welche Aufgaben hat der Verfassungsschutz in Deutschland und über welche Befugnisse verfügt die Behörde? Welche Rolle spielen V-Leute des Verfassungsschutzes innerhalb der NPD und aus welchen Gründen ist das Verbotsverfahren im Jahr 2003 gescheitert? Diese Fragen müssen beantwortet werden, um die Sinnhaftigkeit und die Erfolgsaussichten eines erneuten Verfahrens beurteilen zu können.

Der Verfassungsschutz ab 1950

Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde 1950 gegründet und stand bis 1955 unter der Aufsicht der Alliierten. Gemäß „Polizeibrief der Alliierten“ vom 14. April 1949 war die Behörde zur „Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten“ berechtigt. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Gestapo als politische Polizei galt für den Verfassungsschutz von Anfang an das Trennungsgebot zwischen geheimdienstlicher und polizeilicher Tätigkeit. Polizeiliche Exekutivbefugnisse waren damit ausgeschlossen.

Bis zum Ende der Aufsicht der Alliierten über das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahre 1955 waren viele ehemalige Mitarbeiter der Gestapo inoffiziell für den Verfassungsschutz tätig. Nach Ende der Alliierten-Aufsicht wechselten diese auch in offizielle Positionen.

Aktuell steht für den Verfassungsschutz die Aufarbeitung seiner Geschichte in den Jahren von 1950 bis 1975 an. Im Jahr 2009 hat der Präsident des Bundesamtes eine entsprechende Kommission einberufen. Auf der Grundlage von Archivdaten soll die Kommission die Weiterbeschäftigung von Gestapo Mitarbeitern und weitere Bezüge des Amtes zur NS-Zeit aufklären. Der Bericht der Kommission liegt noch nicht vor.

Aufgaben des Verfassungsschutzes

Die Aufgaben der verschiedenen Behörden des Verfassungsschutzes sind im Bundesverfassungsschutzgesetz definiert.

Aufgabe der Verfassungsbehörden in Deutschland ist die Aufklärung von Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Bundeslandes sowie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes vor allem:

  • Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen auszuüben
  • Die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht
  • Das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition
  • Die Ablösbarkeit einer Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament
  • Die Unabhängigkeit der Gerichte
  • Der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft
  • Die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

Besteht der Verdacht, dass eine Partei oder ein Verein gegen den definierten Schutzbereich verstößt, dann ist es die Aufgabe des Verfassungsschutzes, Informationen zu sammeln und zu beschaffen. Diese dienen der Vorbereitung eines späteren Verbotsverfahrens gegen die betreffende Partei oder den Verein vor dem Verfassungsgericht.

Der Verfassungsschutz gibt einen jährlichen Bericht über seine Tätigkeit heraus. Dieser dient nicht nur dem Beschäftigungsnachweis sondern soll gleichzeitig die Bevölkerung über verfassungsfeindliche Aktivitäten bestimmter Parteien oder Vereine informieren.

Befugnisse des Verfassungsschutzes

Auch die Befugnisse des Verfassungsschutzes sind im Bundesverfassungsschutzgesetz definiert.

Hier ist festgelegt, dass der Verfassungsschutz berechtigt ist, Informationen – einschließlich personenbezogener Daten – zu erheben, zu verarbeiten und zu nutzen.

Erlaubt ist dabei die Anwendung von Methoden, Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen Informationsbeschaffung. Hierzu zählen unter anderem V-Leute, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere oder Tarnkennzeichen.

Der Verfassungsschutz ist darüber hinaus berechtigt, Informationen von Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten, Finanzunternehmen, Post-Dienstleistern und Telekommunikations-Dienstleistern abzufragen und zu verarbeiten.

Grundsätzlich steht jedem Menschen das Recht zu, die zu seiner Person durch den Verfassungsschutz gespeicherten Daten, kostenlos bei der Behörde abzufragen. Dieses Recht ist allerdings an verschiedene Auflagen gebunden. So muss der Betreffende im Rahmen seiner Anfrage auf einen bestimmten Sachverhalt hinweisen und darüber hinaus das besondere Interesse an einer Auskunft darlegen. Der Verfassungsschutz kann die Auskunftserteilung ablehnen, wenn diese zu einer Gefährdung der Aufgabenerfüllung führen kann, wenn durch sie Quellen gefährdet werden können oder die Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz ausgeforscht werden kann, wenn die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährdet oder wenn die Daten wegen eines überwiegenden berechtigten Interesses eines Dritten geheimgehalten werden müssen.

Der Verfassungsschutz und die NPD

Als rechtsradikale Partei wird die NPD dauerhaft durch den Verfassungsschutz beobachtet. Dies geschieht vor allem durch den Einsatz sogenannter V-Leute (Verbindungsleute). Man kann davon ausgehen, dass der Anteil an V-Leuten unter den rund 200 Führungspositionen in der NPD im Jahre 2003 bei bis zu 15 Prozent gelegen hat.

Bei den V-Leuten handelt es sich nicht um Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sondern um Mitglieder der NPD, die durch die Behörde angeworben werden, während sie der Partei bereits angehören. Solche V-Leute berichten an einen zuständigen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und erhalten hierfür von der Behörde ein Honorar.

Viele Bürger gehen davon aus, es handle sich bei V-Leuten in der NPD um verdeckte Ermittler des Staates, die gezielt in die Führungsebene der Partei eingeschleust werden. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr sind die meisten V-Leute in der NPD überzeugte Nationalisten, die aufgrund finanzieller Anreize bereit sind, Informationen aus dem Innern der Partei preiszugeben.

Innerhalb der NPD ist man sich der V-Leute bewusst. Die Honorare für die Tätigkeit der Informanten werden teilweise zur Finanzierung der Partei genutzt. Berichte für den Verfassungsschutz werden gemeinschaftlich erarbeitet.

Verfassungsschutz und NPD-Verbot

2001 beantragten die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundestag beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD und damit ein Verbot der Partei. Unterstützt wurde das Verbotsverfahren von allen Parteien, außer der FDP.

Am 18. März 2003 wurde das Verfahren eingestellt, nachdem bekannt geworden war, dass die NPD mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war.

Die Antragsteller hatten die Verfassungswidrigkeit der NPD wesentlich mit Zitaten aus den Schriften und Äußerungen der Partei begründet, die von V-Leuten stammten.

In einem Erörterungstermin im Oktober 2002 weigerten sich die Antragsteller, dem Gericht die Namen von V-Leuten zu nennen. Stattdessen versichert der damalige Innenminister Otto Schily, es habe keine Steuerung der NPD durch Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gegeben.

Die Einstellung des Verfahrens basierte auf der Sperrminorität von drei der insgesamt sieben Richter des zuständigen Senats. Diese sahen durch den Einsatz der V-Leute ein Verfahrenshindernis gegeben und argumentierten mit der Gefahr der „fehlenden Staatsferne“ der Partei.

Für ein erneutes Verbotsverfahren legte das Bundesverfassungsgericht 2003 eine Auflagen fest: Unmittelbar vor und während eines künftigen Verfahrens dürfen keine V-Leute in der Führungsebene der NPD genutzt werden.

Ein neues Verbotsverfahren

Prinzipiell sind sich fast alle Parteien, Organisationen und Bürger in Deutschland darüber einig, dass die NPD verfassungswidrig ist. Dies ergibt sich alleine schon daraus, dass die Partei die Existenz einer gültigen deutschen Verfassung bestreitet.

Nähere Informationen über die NPD, ihre Geschichte, ihre Wahlergebnisse und ihre programmatischen Positionen habe ich im August diesen Jahres in einem ausführlichen Artikel zusammengestellt.

Dennoch gibt es unterschiedliche Positionen zu der Frage, ob man ein erneutes Verbotsverfahren anstrengen sollte.

Die Befürworter gehen davon aus, dass ein neues Verfahren erfolgreich geführt werden kann, an dessen Ende ein endgültiges Verbot der NPD steht.

Gegner eines erneuten Verfahrens argumentieren entweder damit, dass man die Rechtsextremen nicht in den politischen Untergrund drängen sollte, dass ein erneutes Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht ein positives Signal an die rechte Szene aussenden würde oder dass es zu gefährlich für die öffentliche Sicherheit sei, die Auflage des Bundesverfassungsgerichtes zu erfüllen und die V-Leute bereits deutlich vor dem Beginn eines Verbotsverfahrens und während dessen Verlauf „abzuschalten“.

Dem letztgenannten Argument schließt sich vor allem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich an: Ein solches Verbotsverfahren sei nur möglich, wenn alle V-Leute „abgeschaltet“ würden, sagte Friedrich heute im ZDF-Morgenmagazin. „Das ist mit einem hohen Risiko verbunden, weil wir dann über viele Jahre keinen Einblick in den inneren Betrieb der Partei haben.“

Eine absurde Situation

Insgesamt ergibt sich eine absurde Situation: Der Verfassungsschutz hat die gesetzlich geregelte Aufgabe, Gefährder des Bestandes und der Sicherheit von Bund und Ländern sowie Angreifer der freiheitlichen demokratischen Grundordnung frühzeitig zu ermitteln und Informationen über sie zu sammeln.

Diese Informationen wiederum dienen ausschließlich dem Zweck, ein Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht vorzubereiten. Dabei hat genau die konkrete Methode, mit der Informationen erhoben wurden und werden, zum Scheitern des letzten Verfahrens im Jahre 2003 geführt.

Im Ergebnis besteht die NPD trotz Konsens über ihre verfassungswidrige Ausrichtung weiterhin, während der Verfassungsschutz seine Ermittlungs- und Beobachtungsstrategie nicht verändert hat.

Die Richter des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts haben, vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Jahr 2003, eine hohe Hürde für ein erneutes Verfahren festgelegt: Alle V-Leute müssen vor und während des Verfahrens abgezogen werden.

Ein aussichtsreiches Verbotsverfahren gegen die NPD kann also zur Zeit alleine aufgrund der Arbeit des Verfassungsschutzes nicht erfolgen, obwohl dessen einzige Aufgabe darin besteht, entsprechende Verfahren überhaupt erst zu ermöglichen.

Da hinlänglich bekannt ist, dass die Berichte der V-Leute in der NPD an den Verfassungsschutz in der Regel gemeinschaftlich von Parteimitgliedern erarbeitet werden und dass die Honorare darüber hinaus teilweise sogar zur Finanzierung der Partei eingesetzt werden, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Arbeit der Verfassungsschützer.

Ebenso stellt sich die Frage, ob für ein Verbotsverfahren überhaupt die Auswertung „geheimer Informationen“ erforderlich ist, oder ob nicht bereits das Parteiprogramm, die Inhalte von Broschüren, Plakaten und Flyern oder die öffentlichen Redebeiträge der NPD Mitglieder einen ausreichenden Grund für ein Verbot bilden.

Der einzige Ausweg, der sich hier abzeichnet, besteht darin, dass der Verfassungsschutz seine V-Leute endgültig aus der NPD abzieht. Ginge es der Behörde tatsächlich um ein Verbot der rechtsextremen Partei, dann hätte er dies bereits 2003 tun müssen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Politik nicht in der Lage ist, der Behörde einen solchen Rückzug verbindlich vorzuschreiben.

Betrachtet man die aktuellen Erkenntnisse über den Verfassungsschutz in Thüringen im Zusammenhang mit der Mordserie der Zwickauer Rechtsextremisten, dann verdichtet sich das Bild, dass der Verfassungsschutz eine Behörde ist, die vom Staat nicht kontrolliert werden kann. Stellt sich zudem heraus, dass die Erkenntnisse der Verfassungsschützer nicht ihrem eigentlichen Zweck, nämlich der Vorbereitung von Verbotsverfahren gegen extremistische Parteien und Vereine dienen, dann muss die Existenzberechtigung der Behörde grundsätzlich in Frage gestellt und diskutiert werden.