Der Verfassungsschutz braucht eine dringende Reform. Neulich ein Leitartikel in der Frankfurter Rundschau: Macht der Verfassungsschutz noch Sinn?, fragte der. Macht er? Ja, unbedingt! Aber er gehört neu ausgerichtet und reformiert - und sozialisiert.
Eine Bevölkerung, die die Spione beobachtet
In jenem Leitartikel fragte man zwischenüberschriftlich, ob es Spione braucht, die die Bevölkerung beobachten sollen. Die Frage ist falsch gestellt. Wir brauchen gegenteilig eine Bevölkerung, die die Spione der Entdemokratisierung beobachtet und die Exekutivgewalt genug hat, dieser Spione habhaft zu werden. Spione meint hier, die Ausspäher (Spionage vom lat. spicari für ausspähen oder erspähen), die der Marktradikalismus aussendet, um in all die ungesicherten Nischen und verwaisten Vakua einzudringen, sie den Entdemokratisierern als Bericht vorzulegen, um deren Absichten zielgenau zu verwirklichen.
Wir brauchen nicht den Verfassungsschutz, sondern ein verfassungsschützendes Bewusstsein. Wie kann man so blind fragen, ob Verfassungsschutz noch Sinn macht, wenn wir doch täglich davon lesen müssen - wir lesen davon ja nicht, wir erahnen es nur zwischen den Zeilen -, dass die Verfassung gefährdet ist? Der Verfassungsschutz ist dringender denn je, nur jagt er falschen Gefährdern nach, nur ist er selbst Gefährder und Instrument etwaiger Gefährder geworden. Das heißt nicht, dass wir ihn nicht brauchen, wir brauchen ihn nur anders. Erst als Bewusstsein und dann als transparente Institution, die sich weder parteipolitisch noch wirtschaftlich delegieren läßt, sondern der direkten Kontrolle des Souveräns ausgesetzt ist.
Noch Sinn? - Wegen all der Sinne!
Die Politik demontiert im Namen einer Wirtschaft, im Namen des Marktradikalismus, für die Instandsetzung einer marktkonformen Demokratie, die Verfassung. Sie braucht Schutz. Es sind die Heilslehrer, die dem Neoliberalismus zu Seriosität verhalfen, die Anschläge auf die Verfassung verübten. Leute wie Sinn - der kluge Professor aus dem ifo-Hause. Er kann stellvertretend für eine Zunft und ihre Geldgeber stehen. Macht der Verfassungsschutz also noch Sinn? Ja, damit er uns endlich alle Sinne raubt! Sie wegsperrt, sie juristisch einlullt, sie um ihre falsche Reputation bringt. Aller Sinne berauben - so ein mattes Wortspiel! Hier allerdings trefflich. Der Verfassungsschutz hat nicht als Einrichtung herrschender Interessen zu arbeiten, er hat gegen die Interessenten an der Herrschaft gerichtet zu sein, die für ihre Ziele jede verfassungsmäßige Schranke mit der Axt bearbeiten.
Volle Transparenz des Verfassungsschutzes gegenüber dem Bundestag und der Öffentlichkeit, dazu die Umsetzung glasklarer Gesetze zur Durchgläserung von Bundes- und Landtagabgeordneten und ein bürgerliches Petitionsrecht, das es möglich macht, den Verfassungsschutz quasi per Antrag gegen die zu richten, die an die grundgesetzlich verbürgten Rechte tasten, die sie auflösen wollen. Das wäre ein Verfassungsschutz, der sinnig ist!
Das unendliche Feld möglicher Betätigung aufzeigen
Der Verfassungsschutz ist nötiger denn je; die Verfassung ist gefährdet wie nie. Nicht von Rechts, schon gar nicht von Links, sondern von einer ökonomisierten Mitte, die ihr Zentrum immer mehr an die rechte Peripherie verlagert. Der Verfassungsschutz kann doch nicht in Zeiten, da er endlich das Betätigungsfeld hat, das er immer als Existenzberechtigung brauchte, abtreten. Man muss ihm nur endlich die Augen öffnen, dass es derzeit ein schier unendliches Feld an möglicher Betätigung gibt. Das gibt es schon seit Jahren, seitdem der Neoliberalismus sich anschickt, zum neuen grundsätzlich Grundgesetz werden zu wollen, zur ökonomischen Grundhaltung aller gesellschaftlicher Entwicklung. Vielleicht sollte man dem Verfassungsschutz mal zeigen, welche Verfassungsfeinde sich ganz ungeniert im öffentlichen Raum tummeln - vielleicht bekommt er es ja nicht mit, vielleicht ist er nicht in der Verfassung, verfassungsfeindliche Impulse in Krawatte und hinter seriös klingenden faschistoiden Reden zu erkennen.
Mittels Lissaboner Vertrag und ESM ist er schon vorgedrungen in die Präambeln und Leitmotive - da hätte ein gewissenhafter Verfassungsschutz Sinn gemacht! Nur er hat geschlafen, wie beim rechten Terror - er war damit beschäftigt, Politiker von Die Linke beim Einkaufen zu observieren. Trinken die Rotkäppchen-Sekt? Ist hieraus eine Affinität zum Unrechtsstaat DDR abzuleiten? Während sie kleinkariert das Konsumverhalten von Linken beobachten, demontieren andere die Verfassung. Wir benötigen einen Verfassungsschutz, der in der Verfassung ist zu erkennen, vor wem er die Verfassung schützen muss.