Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus der Sicht eines vollzeitarbeitenden Karrierevaters

Von Lareine

Angeregt durch diesen Beitrag wollte ich mich auch einmal gern aus der “Gewinner”-Perspektive der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung zu Wort melden: Als vollzeitarbeitender Karrierevater, der sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ziemlich sicher deutlich weniger Gedanken machen muss als jede Mutter.

Ich will hier gar nicht die “Ich mache das ja auch alles für die Familie!”-Karte spielen. Die ist zwar durchaus berechtigt, aber wenn ich meine letzten zwölf Jahre Berufserfahrung als Karrieremensch mit den letzten zwölf Jahren Berufserfahrung meiner Frau als Mutter vergleiche ist für mich ziemlich klar, dass “Karriere” in sehr, sehr vielen Aspekten aktuell der dankbarere Part ist. Natürlich verpasse ich emotionale Momente, erlebe meine Kinder häufig nur dann wenn ich erschöpft aus dem Büro komme und verpasse mitunter (selten) sogar mal einschneidende Erlebnisse wegen meinem Beruf. Wenn ich das ganze Mal gedanklich herumdrehe – ich mache den Hauptbetreuer für die Kinder und meine Frau den Hauptversorger – wird offensichtlich, dass ich in dieser Konstellation insbesondere als Mann immer bestenfalls als Exot dastehen würde.

Jetzt muss es natürlich auch Exoten geben, sie treiben die gesellschaftliche Entwicklung voran und zeigen stabilen Inseln wie mir, dass es auch anders geht. Die Frage, die sich aber jeder Mann irgendwann auf seiner Reise als Vater stellt, ist: Will ich dieser Exot sein? Noch dazu gibt es ja den Gender Pay Gap*, der die Entscheidung pro stabiler Insel durch die normative Kraft des Faktischen erheblich begünstigt.

Als werdender Vater habe ich die Wahl: Okay, ich kann mich jetzt für den exotischen Pfad entscheiden, der mein Selbstverständnis gegenüber meinen kinderlosen Freunden und Kollegen noch mehr in Frage stellt, als es die Entscheidung für ein Kind eh schon tut, der mir eventuell Ärger mit dem Chef einbringt und der langfristig meine Karriere zumindest beschränken kann – oder ich nehme den ausgetretenen, altbekannten Pfad, bei dem relativ sicher ist, dass ich derartige Probleme leicht umschiffen kann. Wofür entscheide ich mich wohl?

(Bei uns hat sich diese Frage aus verschiedenen Gründen nie wirklich gestellt, eine solche Wahlfreiheit hatte ich sowieso nicht, daher ist diese Skizzierung jetzt akademisch)

Persönlich würde ich ein Modell, in dem beide beruflich zu 30-50 Prozent zurückstecken und trotzdem die gleichen Karrieremöglichkeiten haben wie kinderlosen Kollegen, als ideal und gerecht empfinden. Das Problem ist: Ein solches Modell wird es vermutlich aus betriebswirtschaftlichen Gründen niemals geben. Selbstverständlich ist der Beitrag eines talentierten und engagierten Kollegen zum Unternehmenserfolg immer höher, wenn er sich 40 Stunden pro Woche oder mehr für die Firma engagiert, als wenn er das nur 20 oder 30 Stunden die Woche tut. Da kann man sich noch so sehr einreden, dass natürlich nicht alle 40, 50, 60 oder wie viele Stunden solche Karrieremaschinen gerne anführen produktiv sind (sind sie nicht, kann ich als durchaus nicht Unbeteiligter zum Thema so sagen). Auch halbe Tage sind aber aus menschlichsten Gründen nicht immer zu 100% produktiv. Und alle echten Karrierejobs beinhalten einen erheblichen Anteil an Aspekten, bei denen es nicht ums “selber machen” sondern ums Delegieren, Führen und Entscheiden geht. Meistens sind das Dinge, die einen deutlich mehr als nur acht Stunden im Büro beschäftigen, selbst wenn man gerade faktisch gesehen gerade nicht am Schreibtisch sitzt und “arbeitet”. Auch das schränkt die Kapazitäten für die Familie ein, umgedreht schränkt aber auch eine Teilzeitstelle die Kapazitäten für das Unternehmen ein,

Das sage ich nicht, weil ich Teilzeit blöd finde oder glaube das Karriere nur in Vollzeit geht. Ich habe Kolleginnen, die in Teilzeit verantwortungsvolle Positionen bekleiden und wichtige Jobs machen. Trotzdem kommt man, wenn man nur 50 oder 66 Prozent seiner Zeit in diesen Teil des Lebens investiert, natürlich langsamer voran als wenn man 100 oder die oft zitierten 120 Prozent investiert.

Ich persönlich sage mir immer wieder, dass sich kein Mensch auf dem Totenbett wünscht, er hätte doch mehr gearbeitet. Das möchte ich betonen, da ich Karriere nicht ideell überhöhe oder so was. Es gibt aber einen Aspekt an der Karriere, der als Hauptversorger einer Familie sehr, sehr wichtig ist: die Kohle.

Natürlich möchte man “vorankommen”, “mehr Verantwortung übernehmen” oder “neue Herausforderungen meistern”. Irgendwo. Aber wir machen unseren Job ja alle nicht ehrenamtlich, also will man irgendwo auch deshalb Karriere machen, weil es mehr Kohle gibt. Insbesondere als Hauptverdiener der Familie. Man konkurriert im Berufsalltag mit kinderlosen Kolleginnen und Kollegen, die ihr Gehalt (es sei ihnen gegönnt) für Shopping und Reisen ausgeben, während man selbst es für notwendige Anschaffungen, Instandhaltung und Reparaturen ausgibt. Natürlich möchte man die nächste Beförderung mit Gehaltserhöhung dringender haben als diese Kollegen, weil man neben typischen Motivationen wie Eitelkeit und Gestaltungswillen auch noch viel, viel mehr finanzielle Notwendigkeit empfindet. Und mit diesen Kollegen, die mit Leichtigkeit mehr Stunden im Büro absitzen können auch als ein Vollzeit-Karriere-Papi, konkurriert man im nächsten Jahr mit dem Chef.

Was will man ihm da sagen? “Ich habe darauf geachtet, meine Arbeit produktivitätsoptimiert mit meiner Familie in Einklang zu bringen und trotzdem einen guten Job zu machen” oder “Ich habe dieses und jenes Monsterprojekt geleitet, das mich zwar bis in die Abendstunden verfolgt hat, dass aber unseren Gewinn um eine Fantastilliarde Prozent gesteigert hat”?

Es ist utopisch zu erwarten, dass sich dieser Zustand jemals komplett ändert. Klar, in Skandinavien ist alles viel besser als hier, und es ist mittlerweile für Männer und Frauen anerkannt, auch mal ein Meeting am Abend abzusagen, weil man einen familiären Termin hat (das kann ich übrigens auch heute schon hier machen, wenn es kein total wichtiger beruflicher Termin ist). Trotzdem ist es da auch nicht in allen Aspekten so glänzend, wie es uns hier vielleicht erscheint. Und: die Voraussetzung für viele Veränderungen ist der Fachkräftemangel. Der kommt zwar hier auch, wird aber vermutlich auch eher Vollzeit-Karrieren in Gleitzeit oder 80-Prozent-Jobs begünstigen als zu Chefinnen und Chefs führen, die nur 20 Stunden in der Woche erreichbar sind. Statt der “Vereinbarkeit von Familie und Beruf” kommt dann die “Delegierbarkeit der Familie für den Beruf”. 

Es geht eben nicht alles. In dem Moment, in dem man sich dafür entscheidet, XX Prozent seiner Zeit in die Karriere zu investieren, kann man diese XX Prozent nicht mehr in die Familie investieren. Und umgedreht. Auch Frauen, die sich für den Spagat “Kind und Karriere” entscheiden, müssen sich klarmachen, dass sie beide Lebensaspekte letztendlich genauso wenig miteinander vereinen wie beispielsweise ich. Sie treten dann nur die Betreuungsarbeit statt an den Partner an professionelle Kräfte ab und vermeiden die ultimative Entscheidung “Kind oder Karriere”. Selbstverständlich ist ihre Arbeit als Mutter nicht die gleiche wie die ihrer Mit-Mutter, die sich für einen kleinen Teilzeitjob entscheidet, um mehr Zeit für die Kinder zu haben. Wobei, das möchte ich gendermäßig korrekt hier angeben, das alles auch für Väter gilt, hier aber aktuell meist noch etwas theoretischer Natur ist.

Es gilt: Lebenszeit ist begrenzt, jede Entscheidung für etwas ist eine Entscheidung gegen etwas anderes.

* Dieser wird meiner bescheidenen Meinung nach ürigens in erheblichem Maße auch durch die archaischen Selektionskriterien von Frauen hervorgerufen, die als Ärztin lieber einen Chefarzt zum Mann wollen als einen Krankenpfleger, und NICHT durch einen faktischen Einfluss des Geschlechts auf die Vergütung einer gleichwertigen Position – ich für meinen Teil habe noch nie einer Mitarbeiterin weniger bezahlt, weil sie eine Frau ist. Über die restlichen Aspekte dieses Phänomens hat man sich ja schon genug ausgelassen, so dass ich dies hier zum Nebenschauplatz erkläre.