Bevor meine Tochter auf die Welt kam, kannte ich das Wort noch nicht einmal: Vereinbarkeit. ‘Compatibilidad’ im Spanischen. Ein Wort, dass ich hierzulande glaube ich noch nie weder gehört noch gelesen habe. Auch daher mein Unwissen. Doch als der Zwerg auf der Welt war und ich nach vier Monaten wieder ins Berufsleben einstieg, in Spanien besteht der Mutterschutz aus ganzen 16 Wochen, wurde mir schnell klar, dass das doch alles gar nicht so einfach ist. “Ich werd das schon schaukeln”, dachte ich noch mit dickem Babybauch. Stressige Tage im Büro hatte ich ja auch oft, so anders kann das doch mit Kind nicht sein. Wie blauäugig von mir. Jetzt, nach zwei Jahren gestehe ich, ich komme manchmal an meine Grenzen. Der Mann ist oft nicht da, hat einen Sechs-Tage-die-Woche-Job und dann auch noch nachts. Wir sehen uns oft nur ganz kurz und meist mit zugequollenen Augen. Nachmittags und abends bin ich allein mit dem Kind. Das ist auch schön, ich genieße unsere Zweisamkeit, doch manchmal wäre es schon einfacher, wenn der Partner ab und zu mal helfen könnte.
Hinzu kommt nun also mein Job. Ich arbeite bei einer Zeitung, tue dies und das, und zwar täglich. Und hier kommt nun meine tolle Chefin ins Spiel. Sobald es uns möglich wurde, dank einer Systemaktualisierung von zu Hause aus zu arbeiten, ermunterte sie ihr Team dazu. Wir hatten schon vorher gleitende Arbeitszeiten, wir sind eine Wochenzeitung, am Ende ist es das Ergebnis, was bei ihr zählt. Das animiert ungemein. Wenn man keine acht Stunden im Büro absitzen muss, die bestimmt in vielen Fällen mit sozialen Netzwerken und anderen Internetspielereien überbrückt werden, arbeitet man ganz anders. Besser, wie ich denke. Da ich auch etwas entfernt von der Redaktion wohne, 45 Minuten Autofahrt, durfte ich von Anfang an einige Tage von zu Hause arbeiten. Jetzt habenn wir es so gelöst, dass ich vier Tage die Woche im Homeoffice bin und einmal die Woche in die Redaktion komme. Dann werden Besprechungen abgehalten, man geht gemeinsam mittags etwas essen und alles was eine persönliche Anwesenheit erfordert, kann geklärt werden. Mit dieser Arbeitsweise hat mir meine Chefin schon so manchen Nervenzusammenbruch erspart. Ich kann mich viel besser organisieren, kann auch während der Arbeit, wenn die Mails laden oder was auch immer, noch schnell eine Waschmaschine ansetzen oder mal eben schnell mit dem Staubsauger durchgehen. So komme ich natürlich nicht auf acht Stunden Arbeit am Tag, doch da ich auch an den Wochenenden arbeite, komme ich gut hin.
Ich weiß, so etwas geht natürlich nicht in allen Bereichen, doch viele Unternehmen könnten sich da schon eine Scheibe von abschneiden, besonders die spanischen. Hierzulande lassen lange Arbeitszeiten mit riesigen Pausen eine Vereinbarkeit überhaupt nicht zu. Viele Kinder wachsen bei den Großeltern auf, weil die Eltern bis 21 Uhr im Büro hocken. Das kann doch nicht die Lösung sein! So werden Spanierinnen vor die Wahl gestellt, entweder schlecht bezahlt halbtags arbeiten, Vollzeit, aber dafür sehen sie den Nachwuchs nicht oder sie arbeiten halt gar nicht. Es ist ein echter Luxus, solch flexible Arbeitszeiten zu haben. Ja, klar muss ich auch mal nachts ran, wenn meine Tochter schläft, aber dafür habe ich wirkliche Qualitätszeit mit ihr nachmittags, ich kann mich auschließlich ihr widmen.
Es ist ein großes Glück, eine deutsche Chefin hier in Andalusien zu haben. Auch wenn die Spanier sonst recht locker und lustig rüberkommen, in der Arbeitswelt habe ich das noch nicht gesehen. Laut Statistik ist Spanien eins der Länder, in denen die Angestellten die meisten Stunden pro Tag und Woche absolvieren. Dies halten mir auch meine spanischen Freunde immer wieder vor. Dass sie ganz ganz viel arbeiten. Dass es jedoch nicht um Stundenanzahl, sondern um Qualität und Produktivität geht, das sehen sie nicht. Wer zehn Stunden im Büro verbringt denkt, er macht einen klasse Job. Man hat sich an die festen Strukturen und Arbeitszeiten zu halten. Dass dies alles andere als familienfördernd ist, wird nicht beachtet. Die Familien passen sich also der Arbeitswelt an. Mein Luxus ist, dass ich meine Arbeit meiner Familie anpassen konnte. Ich glaube, das ist wirklich das beste, was meine Chefin für mich tun konnte. (Da ich weiß, dass meine Chefin auch ab und an hier rein schaut móchte ich mich an dieser Stelle auch einmal bedanken für die Freiheit, die sie ihren Mitarbeitern lässt.) So kann ich nach meinen Zeiten arbeiten, was meiner Meinung nach wirklich auch effektiver ist und sich positiv auf das Ergebnis auswirkt. Ich hoffe für die Zukunft, dass sich noch viele Direktoren und Chefs zu einem solchen Modell für ihre Angestellten entscheiden und der Spagat zwischen Beruf und Familie nicht mehr so weh tut.