Das Statistische Bundesamt (Destatis) hat mal wieder Zahlen veröffentlicht, dieses Mal zum Thema Armut. Danach waren 2010 15,8 Prozent der Menschen in Deutschland (das sind rund 12,8 Millionen Menschen) arm. Oder wie das Bundesamt, die Regierung und auch viele andere beschönigend sagen: armutsgefährdet. Denn das klingt nicht ganz so schlimm. Denn arm sein, das ist anerkanntermaßen schlimm. Ist man dagegen nur armutsgefährdet, kann ja alles wieder besser werden – obwohl man faktisch keinen Euro mehr in der Tasche hat, und die Aussichten für alle Armen und Armutsgefährdeten gleich beschissen sind. Denn die Quote der armen Menschen in Deutschland verändert sich kaum, egal wie man ihre unerfreuliche wirtschaftliche Situation bezeichnet: Im Jahr 2009 waren 15,6 Prozent der Leute arm; 2008 waren es 15,5 Prozent. Die Armut nimmt also jedes Jahr ein bisschen zu, egal, was die wirtschaftliche Großwetterlage macht. Denn ich kann mich erinnern, dass sich die Bundesregierung vergangenen Jahres bei Deutschland bedankt hat, dass so viele Menschen arbeiten müssen wie nie zuvor. Weniger arm sind sie davon jedenfalls nicht geworden.
Eine Person galt im Jahr 2010 als armutsgefährdet, wenn sie nach Einbeziehung staatlicher Transferleistungen weniger als 11 426 Euro im Jahr beziehungsweise 952 Euro im Monat zur Verfügung hatte. Kaum überraschend ist, dass bei der männlichen Bevölkerung die Anzahl der Armen mit 14,9 Prozent etwas unter dem Durchschnitt der gesamten Bevölkerung lag, während Frauen mit einer Quote von 16,8 Prozent noch ärmer dran sind. Interessant ist allerdings, dass Personen zwischen 18 und 64 Jahren eher arm sind (16,4 Prozent) als ältere Menschen ab 65 Jahren, von denen nur 14,2 Prozent arm sind – den heutigen Rentnern geht es damit derzeit noch gut, aber das wird sich in den nächsten Jahren schon noch ändern. Auch Kinder, die jünger als 18 Jahre alt waren, lagen mit 15,6 Prozent leicht unter dem Bundesdurchschnitt, was aber auch daran liegen kann, dass es einfach weniger Kinder gibt – darüber wird ja immer gern gejammert, aber man muss auch die positiven Aspekte sehen: Weniger Kinder heißt also auch weniger arme Kinder. Und es ist einfach nicht schön, ein armes Kind zu sein. Dennoch: Wer Kind einer alleinerziehenden Mutter ist (ja, es gibt vereinzelt auch alleinerziehende Väter, aber die alleinerziehende Mutter ist nun mal der Regelfall), ist mit hoher Wahrscheinlichkeit arm, denn Alleinerziehende und ihre Kinder gehörten mit einer Quote von 37,1 Prozent zu den am stärksten von Armut betroffenen Bevölkerungsgruppen. Wobei natürlich klar ist, warum: Frauen können nun mal nicht gleichzeitig arbeiten und ihre Kinder betreuen. Und wenn es tatsächlich eine Kita in der Nähe gibt, die auch noch vernünftige Öffnungszeiten und freie Plätze hat, ist längst nicht gesagt, dass die Mama einen Job bekommt, von dem sie die Kinderbetreuung überhaupt bezahlen kann. Allerdings scheint es in Deutschland für alleinlebenden Menschen insgesamt schwer zu sein, auf einen grünen Zweig zu kommen: Etwa jede dritte Person (36,1 Prozent) unter 65 Jahren ist armutsgefährdet. Sobald die Menschen nicht allein leben, verringert sich das Armutsrisiko deutlich: In Haushalten von zwei Erwachsenen unter 65 Jahren sind nur noch 11,3 Prozent arm. Gibt es in dem Haushalt Kinder, steigt die Prozentzahl leicht, aber nur auf 13,7 Prozent. Von den Haushalten, in denen zwei Erwachsene und zwei Kinder leben, gelten interessanterweise nur 8,7 Prozent als arm. Auch bemerkenswert: Bekommen nur noch Menschen, die es sich tatsächlich leisten können, zwei Kinder oder ist die Motivation und Arbeitsverteilung in solchen Konstellationen einfach günstiger?
Aber wie das mit der Statistik so ist, steht nicht dran, warum beispielsweise so viele Alleinlebende arm sind. Liegt es daran, dass Menschen, die nicht so leicht Freunde finden, auch bei den Arbeitgebern nicht gut ankommen und deshalb keine vernünftigen Jobs finden? Oder verlieren sie, weil sie ihren Job verloren haben, auch ihre Freunde und ihr soziales Umfeld und vegetieren deshalb allein vor sich hin? Immerhin lebt in Deutschland bereits jeder 5. allein – Tendenz steigend.
Denn Familienbande sind nicht mehr so fest zu früher und es schätzt auch nicht jeder die Lebensform WG, obwohl sie statistisch erwiesenermaßen vor Armut schützt. Denn kleine Wohnungen sind pro Quadratmeter nun mal sehr viel teurer als große Wohnungen, in denen man mit mehreren Menschen wohnen kann. Und dann gibt es natürlich auch ein regionales Gefälle, im Norden gibt es vergleichsweise mehr Arme wie im Süden, im Osten deutlich mehr als im Westen und am schlimmsten ist es in den Stadtstaaten, in Bremen und Berlin beispielsweise liegt die Armutsquote sehr viel höher als im Durchschnitt.
Und noch bevor ich mit diesem Artikel fertig wurde, weil ich zwischendurch noch andere Dinge loswerden musste, kommt die nächste interessante Meldung von unseren fleißigen Statistikern: Die Zahl der Menschen, die in Deutschland auf die so genannte Grundsicherung angewiesen sind, war im vergangenen Jahr so hoch wie nie. Die Grundsicherung gibt es etwa für Rentner, deren Rente das amtlich anerkannte Existenzminimum nicht abdeckt.
Damit dürfte sich die Entlarvung der Mär vom armen Rentner als Gruselmärchen für unverbesserliche linke Miesepeter als wohlfeile Lüge der Regierung entlarvt haben. Die Regierung hatte erst vor wenigen Tagen in ihrem Alterssicherungsbericht (herrlich! Wer wohl sich immer die Bezeichnungen für diese Zahlensammlungen ausdenkt? Ob es dafür eine Berichtbenamungsbeauftragten gibt?) behauptet, dass es den deutschen Rentner derzeit doch fantastisch ginge – das mag im Durchschnitt auch so sein. Die Altersgelder von Politikern und Spitzenmanagern sind ja auch mehr als komfortabel. Aber für den Normalverdiener, der in den vergangenen Jahrzehnten ständig in Richtung Niedriglohn gedrückt würde, sieht das halt ganz anders aus.
Und wer zum geringen Lohn arbeiten muss, der kaum zum Überleben reicht, der kann auch nicht privat vorsorgen. Wovon denn? Es hilft ja nicht, fürs Alter zu sparen, wenn man vorher schon verhungert.