Verängstigt, zer-ängstigt

Von Robertodelapuente @adsinistram
Angst. Diese kontinuierliche Angst. Wer schützt uns vor den Fans? Sind unsere Stadien noch sicher? Übernehmen Hooligans unsere Stadien? Unsere Stadien! Unsere! Meine Stadien?Überall Angst. Volle Hosen. Bange Fragen. Sondersendungen und Brennpunkte.Aus aktuellem Anlass: Was gegen die Fanwut tun? Gegen Anhänger, die Bengalos werfen? Was gegen Anhänger, die freudetrunken den Platz mit ihresgleichen eintunken? Müssen wir uns nun öfter vor vorzeitigen Platzerguss fürchten?
Beharrlich panisch, beharrlich hasenherzig.

In Italien bebte die Erde. Wir sind gottseidank sicher, bei uns sind Erdbeben selten. Aufatmen dann.
Aber der Parmesan nahm Schaden; Produktion geschädigt. Die Furcht geht um, denn Parmesan wird deswegen teurer, berichtet die öffentlich-rechtliche Verängstigung. Spaghetti in Gefahr! Und Urlauberangst: Können wir noch nach Italien zum Urlauben?
Dann wieder mal Erdbeben in Asien, dazu Springfluten, die man nun Tsunami nennt. Können wir dort noch in den Urlaub? Aber ich habe doch schon gebucht! Kriegen die Urlauber ihr Geld erstattet? Kann man die Buchung rückgängig machen? Tiefe Ängste sind das. Unsere Ängste. Und es gibt noch schlimmere: Können wir dort noch ficken, uns an minderjährigen Strichern abregen? Schlaflosigkeit.
Immer nur Angst. Der Rohstoff unseres Daseins.
Angst vor Krankheit und Seuchen. Vor Viren mit Buchstaben-und-Zahlencode-Namen. Vor Monsterepidemien. Blutiger Auswurf. Mattheit, Müdigkeit, Koma. Tod. Schon Tausende widerfahrene Tode, tausende Tote, mehrere tote Tausender. Hat die Seuche schon wieder einen Tausender vollgemacht und kostet sie uns mehrere tausend solcher Tausender?
Sonderseiten in Zeitungen, Sondersendungen im TV; alles für die Panik, alles für die Informiertheit, die eine gesunde Panik als Sockel benötigt. Halb informiert, voll panisch - andersrum nicht denkbar. Halbinformation bis zum Überdruss. Man kann halbinformative Überinformation betreiben - Information macht abwägend und sicher; Überinformation verdummt. Information nimmt Angst; Überinformation gibt sie. Desinformation, Zer-informiertheit. Das alles erzeugt Angst. Und der Rohstoff soll fließen.
Das Land in dem Bang' und Bammel fließt. Wie Milch und Honig. Wie Hähnchenschenkel, die schlaraffianisch in Mäuler fliegen. Mäuler, die Angst verbreiten - Mietmäuler, Schandmäuler, Großmäuler.
Befremdlicher Schrecken. Schrecken vor Fremden. Denn wir sterben aus. Wir leiden im Übermaß an Überfremdung - und überfremden übermäßig. Wir werden islamisiert. Oh Gott, bald heißt es Oh Allah! Wann blitzt die erste Mondsichel vom Kölner Dom? Keine Integration, keine Anpassung. Das kann doch nicht gut sein! Wir verstehen sie nicht und alle, deren Weltbild wir nicht verstehen, neigen zum Terror. Keinen Kotau vor unserem westlichen Lifestyle zu begehen: Das ist doch terroristisch!
Da ist sie wieder, die Angst, dieses Steckenpferd des öffentlichen Monologes, den wir Diskussion getauft haben. Dicke Angst, ordentlich verordnete Angst. Ein Zittern, ein Bibbern - Moscheen machen flattrig. Dort sind Predigten gehässig, säuft man Christenblut, betet man für den Weltkrieg, den Kulturkrieg, trifft man Vorbereitungen, die Weltmacht an sich zu reißen. Die Angst von Soziopathen.
Neurotische Ängste erfüllen unseren Tag. Zähflüssig nehmen sie unserer Denken in Beschlag, lähmen sie unsere Zurechnungsfähigkeit. Klarer Verstand ist der Feind, Gelassenheit eine Kriegserklärung. Der bürgerliche Mensch anno merkeli, darf nicht abgeklärt, stoisch sein - er muß immer an der Krempe zur Panik gehalten werden. Frauen und Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs. Bedachtsamkeit stört; Konfusion dient. Der homo confusionis liest nicht beruhigend Konfuzius, er liest allerhand Konfusionika. So ist das anno springeri. Er liest von sich abschaffenden Deutschländern oder von überfremdeter Überalterung, vom uns ausblutenden Sozialstaat und von Ängsten aller Nuancen. Für jeden ist was dabei, jeder bekommt seine Portion Angst - so ist das anno bertelsmanni.
Gegen allgemein verordnete Ängste und Paniken immun zu sein, machte uns bloß krank. Krank als Gesellschaft.
Die Beschäftigung ist wichtig. Erwerbsarbeit ist heute so eine Beschäftigung. So lapidar sagt man das heute: Wo sind Sie denn beschäftigt? Aber es ist nicht lapidar, es ist kalkuliert, genau so gemeint. Denn Beschäftigung lenkt ab. Aber diese nervende Freizeit, in der der Beschäftigte dann zeitweilig unbeschäftigt ist! Hier kommt die Furcht als Beschäftigung ins Spiel. Arbeit und Angst, ängstlich Arbeitende und arbeitende Angsthasen, Angst durch Arbeit und Arbeit als Angst - in jeder Konstellation denkbar, man drehe nur die Worte Angst und Arbeit herum, dopple sie, mache sie von Nomen zu Adjektiven und so weiter: immer kommt etwas heraus, was zutrifft.
Angstmache jedoch immer dann nicht, wenn Aufschwüngchen gefeiert werden wie gewonnene Kriege; wenn Zuversicht notwendig wird. Denn ausschließlich Angst fruchtet nicht. Zuckerbrot und Peitsche, Hoffnung und volle Hosen. Man braucht doch auch Lichtblicke, um erfüllend verängstigen zu können.
Angstzustände sind die Grundlage jeder hoffnungslos optimistischen, künstlich unverzagten Gesellschaft. Soma. Wer genügend Ängste im Hinterkopf hat, der hat genügend Drang dazu, Hoffnung auch da zu sehen, wo es wenig Grund dazu gibt. Die Angst schärft die Suche, die Sucht nach Glück. Der Verängstigte ist triebhaft glücksuchend - an den unmöglichsten, an den irrationalsten Stellen sucht er. In der Wirtschaft, am Arbeitsmarkt, in geschönten Statistiken. Und beim Kaffeekränzchen mit Kringelgebäck - wir sind Biedermeier!
Angst ist menschlich. Sie ist auch wichtig. Erweiterte Pupillen, Muskelanspannung, schnellere Atmung - zur Vorbereitung auf schnelle Energieverwendung, zur besseren Wahrnehmung, Reaktion. So hat der Mensch überlebt, als er einst auf Raubtiere traf. Angst sichert das Überleben. Angstlosigkeit kann tödlich sein. Mancher Stier war mutig, rannte mutig gegen den picador, griff mutig die banderilleros an - das ist Mut, der Ströme von Blut hervorbringt. Angst hätte ihm vielleicht geholfen.
Aber diese Angst, die als Rohstoff dient, sie wird keinem Raubtier entgegengestellt...
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