28.2.2012 – Wenn man sich in den letzten 40 Jahren auf die politische Suche nach Vera Lengsfeld machte, dann musste man weite Wege zurücklegen. 1975 trat sie in die SED ein und wurde 1983 aus der Partei ausgeschlossen, weil sie gegen die Stationierung sowjetischer Atomraketen in der DDR protestiert hatte. 1989 trat sie in die Grüne Partei der DDR ein, 1990 stieß sie zum Bündnis 90/Die Grünen. 1996 schloss sich Lengsfeld schließlich der CDU an.
Netzsturm im Wasserglas
In ihrem Artikel „Die künstliche Empörung – Gauck-Gegner im Netz“ beobachtet Lengsfeld am 22. Februar für die „Achse des Guten“ eine „merkwürdige Allianz aus Linke, NPD, Piraten und linken Grünen unter der Führung von Christian Ströbele“, die sich unmittelbar nach der Nominierung von Joachim Gauck im Netz formiert hätte. Mit „aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen und Fehlinterpretationen“ habe man versucht, Joachim Gauck durch den „Cyberspace“ zu jagen.
Lengsfeld weißt die Attacken auf ihren Favoriten souverän zurück: Die Netzaktivisten, so hält sie fest, drücken nämlich nicht die „Volksmeinung“ aus, auch wenn dies in „manchen Überschriften“ der „Qualitätsmedien“ nahegelegt würde. In Wirklichkeit, so erläutert die Meisterin der Deutungshoheit weiter, handelt es sich um den Widerstand derjenigen, die „die Gesellschaft als Selbstbedienungsladen (…) betrachten, der Bedürfnisse oder Ansprüche ohne Gegenleistung erfüllen soll“.
Am liebsten würde die Autorin den „Netzsturm im Wasserglas“ ignorieren. Und auch den „Netzaktivisten“ wäre es wahrscheinlich lieber, wenn Lengsfeld sich aus der Diskussion heraushalten würde. Das geht allerdings nicht, da sie Gaucks Kandidatur vor allem deshalb befürwortet, weil mit ihm „der Geist der Revolution von 1989 ins Schloß Bellevue einzieht“. Der wiederum zeichnet sich nach Auffassung von Vera Lengsfeld vor allem durch eine gehobene „Debattenkultur“ aus, die in „unserem Land brach“ liegt.
Die brachliegende Debattenkultur
Fassen wir also zusammen: Deutschland fehlt es an Debattenkultur. Joachim Gauck kann dieses Defizit als Bundespräsident im Geiste der Revolution von 1989 ausgleichen. Entspannt sich allerdings eine solche Debatte über den Kandidaten selber, dann ist es Vera Lengsfeld auch nicht recht. Diese will sie nämlich ausschließlich mit „mündigen Bürgern führen“, „die sich des eigenen Verstandes bedienen“ und nicht mit dem Pöbel, der es nur auf Sozialleistungen abgesehen hat.
Liebe Frau Lengsfeld, bei allem Verständnis für ihre politische Position und für ihre begründete Erwartung, im Dunstkreis von Joachim Gauck vielleicht eine bedeutendere Rolle spielen zu dürfen als im Umfeld von Angela Merkel: Revolution und Debattenkultur sind keine Begriffe, die es sich auf Dauer gefallen lassen, alleine von denen, jenseits der „Achse des Guten“ für sich beansprucht zu werden.
Eine Debatte ist nur dann eine Debatte, wenn sich alle Menschen gleichberechtigt daran beteiligen können. Vor dem Hintergrund Ihrer DDR-Erfahrung sollten sie eigentlich wissen, dass es zwangsläufig zur Revolution führt, wenn diejenigen, deren Auffassungen nicht mit denen der Führungs-Elite kompatibel ist, auf Dauer ausgeschlossen bleiben.
Um die von Ihnen hart angegangenen Kunden im „Selbstbedienungsladen“ müssen Sie sich dabei gar nicht so große Sorgen machen. Angesichts der konkreten Höhe der „Ansprüche ohne Gegenleistung“ steht der von ihnen verdächtigten Personengruppe, also den Millionen von Hartz-IV-Empfängern, Geringverdienern, Aufstockern und Rentnern, in vielen Fällen ohnehin kein Internetanschluss zur Verfügung. Selbst wenn sie also wollten, könnten sie sich dem „Netzsturm im Wasserglas“ nicht anschließen.