VERA – das ist eine "zentrale Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards", die in Jahrgang drei und acht bundesweit durchgeführt wird. Allerdings klingt der Wortlaut, als würde man über Leberwurst oder Rindfleischpasteten reden – hier geht es aber um unsere Kinder!
Ich komme beruflich aus der Systemgastronomie – zentrale Überprüfungen sind dort an der Tagesordnung. Es wird alles kontrolliert, was den geneigten Kunden in irgendeiner Weise davon abhalten könnte, dem Unternehmen weitere Millionen in die Tasche zu spülen. Geprüft wird, was sich mit Waage, Stoppuhr und Thermometer überwachen lässt. Passt das Ergebnis nicht in die engen Vorgabelisten, dann gibt es einen Platz ziemlich weit unten in der Ranking-Liste. Was das für den normalen Mitarbeiter bedeutet? Stress pur! Alles dreht sich um die richtigen Zahlen, um die schnellsten Zeiten und um die richtige Reinfolge während des Bestellvorgangs. Und wehe dem, einer vergisst dem Kunden irgendein Nachtisch aufzuschwätzen...
Mit diesem Überprüfungsbewusstsein sehe ich die zentralen Vergleichsarbeiten, die den melodischen Namen VERA aufweisen, mit anderen Augen: Da wird von zentralen Kompetenzen, von der Orientierung an den Bildungsstandards, vom Frühwarnsystems für die Unterrichtsgestaltung gesprochen. Davon, dass die Schulen kompetenzorientiert und auf die Bildungsstandards bezogen unterrichten sollen, dabei aber der individuellen Persönlichkeits- und Lernentwicklung gerecht werden und am Lernstand des Kindes ansetzen, um Lernfreude, Motivation und Neugier zu erhalten.
Aber HALLO!Wer sich den VERA-Käse ausgedacht hat, fuhr seinerzeit sicher eine Eins plus Sternchen in seiner Bachelor-Arbeit ein. Leider sind viele tolle Ideen eben am Reißbrett des hochintellektuellen Unialltags entstanden und haben mit den Realitäten der Schülerinnen und Schüler nichts zu tun. Zu hoher Unterrichtsausfall, zu wenig Fachpersonal und Disziplin-Probleme im Unterricht werden dabei nämlich nicht berücksichtigt.
Aber, schön dass sich ein junges aufstrebendes Talent mit dem Thema Bildungsstandard befasst hat und alsbald wichtigtuerisch in irgendeiner hochoffiziellen Position arbeiten darf - etwa im Bereich "Schule und Bildung" der Bezirksregierung Arnsberg.
Dort, wo die schlauen Entscheidungen getroffen werden, etwa ob eine Grundschulklasse mit dreizig Schülern (davon fast sechzig Prozent mit Mirgrationshintergrund und sozial-emotionalen instabilen Persönlichkeiten) einer zusätzliche Lehrkraft bedarf oder ob das nicht auch ein Lehrkörper leisten muss.
Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es einer Task Force, in der geschwollen evaluiert wird, warum die Lehrkraft mit dreißig Erstklässlern überfordert ist und warum ein normaler Unterricht - außerhalb von Qualitätssicherungsüberprüfungen - kaum möglich erscheint. Bevor die Arbeitsgruppe zu einem Ergebnis kommt, ist die erste Klasse herum, wichtige Grundlagen können teilweise nicht vermittelt werden und in der dritten Klasse steht VERA vor der Tür, die deutschlandweit Dinge prüft, die einigen Schülern das erste Mal über den Weg laufen ...
Ich bin ja schon froh, dass VERA nicht in der vereinfachten Ausgangsschrift geschrieben werden musste, denn das stand bei uns in der Grundschule nicht auf dem Lehrplan und wurde dadurch auch im Unterricht nicht aufgegriffen! Somit schreiben unsere Drittklässler noch immer in ihrer elendigen Druckschrift - teilweise sogar mit dem Bleistift, weil selbst das Schreiben mit dem Füller nie im Fokus stand.
Schule heute ist echt zum Abgewöhnen. Wir fordern Abi nach der zwölften Klasse und lassen unsere Grundschüler in der wichtigsten Phase ihrer Schullaufbahn im Regen stehen!