Ist vegan zu leben jetzt kosequent oder eigentlich nichts weiter als eine einzige Heuchelei?
Immer mal wieder bin ich darauf gestoßen, dass an Veganern gewisse Aspekte der “Inkonsequenz” kritisiert werden. So werden diese Aspekte dann gerne auch mal als doppelmoralisch oder heuchlerisch bezeichnet. Von wegen: Wenn man nicht vollkommen hundertprozentig vegan lebt und das in allen Lebenslagen, dann ist man im Endeffekt nichts weiter als ein Heuchler. Und von daher macht das mit dem vegan leben dann schon gar keinen Sinn.
Ein paar Aspekte wären zum Beispiel, dass man als Veganer ja auch Leid verursacht und nicht vollkommen leidfrei leben kann.
Passende Beispiele hierfür wären arme Feldmäuschen und Häschen, die beim Umpflügen von Acker ums Leben kommen. Oder Ameisen, die gegen die Windschutzscheibe knallen. Oder aber auch Menschen in den Anden, die für den Luxus-Quinoa von uns Veganern tagtäglich leiden müssen.
Weiter ginge es hier dann mit dem Umweltaspekt. Denn vegan zu leben ist ja auch nicht gerade umweltfreundlich. Man denke nur an die CO2 Emissionen, die so ein Auto ausstößt. Oder an die Treibhausgase beim Flug in den Urlaub. Nicht zu vergessen auch der Laptop, das Tablet, das Handy oder sonstige Gerätschaften.
Alles nicht besonders umweltfreundlich.
Von exotischem Obst im Herbst/Winter brauchen wir gar nicht erst anfangen. Bananen und überhaupt Erdbeeren um diese Jahreszeit geht mal überhaupt nicht. Die ganzen Transportwege verursachen auch wieder CO2 Emissionen. Und obendrein umschiffen diese exotischen Obstsorten dann meist auch noch den halben Globus.
Zugegeben, am idealsten wäre es nur regional und saisonal einzukaufen.
Und nicht zu vergessen, wenn wir schon von Umwelt sprechen, überhaupt verursacht Konsum schädliche Emissionen, bedeutet Transport- und Frachtwege usw. Darüber hinaus werden auch bei jeder neuen Erzeugung, also bei der Produktion eines neuen Produkts, beispielsweise eines Handys oder eines Kleidungsstücks, umweltschädliche Treibhausgase verursacht, das Grundwasser mit Chemikalien verunreinigt usw.
Auch hier wäre es am idealsten seinen Konsum zu minimieren. Altes, bereits Bestehendes länger zu erhalten und nur noch Gebrauchtes zu konsumieren, da dadurch keine neuen Produktionsverfahren beansprucht werden.
Muss ich jetzt minimalistisch leben? Darf ich nur noch Gebrauchtes konsumieren? Und darf ich als Veganer jetzt nicht auch mehr Auto fahren? Nicht mehr in den Urlaub fliegen? Keinen Quinoa mehr essen? Und müssen meine Bananen stets fairtrade sein? Darf ich zu dieser Jahreszeit als Veganer eigentlich überhaupt noch Bananen essen?
Wenn wir doch schon von Bananen sprechen, kommen wir doch direkt mal zum Thema Doppelmoral. Denn da finden sich auch so einige Aspekte, mit denen ich mich früher zu Allesesser-Zeiten seltsamerweise nie habe rumschlagen müssen. Warum wohl?
Ein Top-Thema hierbei wäre zum Beispiel das Thema Fleischersatz. Warum essen Veganer Fleischersatzprodukte, wenn sie die Originalprodukte doch ablehnen? Das ist doch einfach nur doppelmoralisch, nicht?
Dass man die Originalprodukte deshalb nicht essen will, weil dafür ein Tier, also ein Lebewesen, sterben muss, für das Sojaschnitzel aber nicht, reicht da als Erklärung manchmal irgendwie nicht. Ist der Begriff Schnitzel oder Steak nur einem Fleischprodukt vorbehalten, oder wie?
Was ich bei diesem Sachverhalt oftmals nicht so wirklich verstehe ist: Es heißt oft sich vegan zu ernähren sei extrem oder radikal. Doch warum muss man dann als Veganer gleich total in die Extreme gehen? Ist man sonst kein richtiger Veganer? Denn vegan heißt ja, dass man keine Tierprodukte isst und nicht, dass man auch keine Ersatzprodukte, hergestellt auf Pflanzenbasis, mehr essen darf.
Ist man da jetzt inkonsequent, wenn man pflanzliches Fleisch und pflanzlichen Käse und pflanzliche Milch konsumiert? Schließlich stammt ja nichts davon vom Tier.
Doch zum Thema Doppelmoral gibt es noch ein paar weitere Punkte.
Ganz beliebt: Veganer und Lederschuhe. Darf man als Veganer noch Schuhe aus Echtleder tragen, die aus der Zeit stammen, bevor man Veganer wurde? Oder muss man die mit der Umstellung auf eine vegane Lebensweise wegwerfen? Oder verschenken? Bedürftigen spenden? Was soll man als Veganer mit seinen Echtleder-Schuhen machen?
Dasselbe gilt für Kleidungsstücke wie Lederjacken oder Ledertaschen, Ledergürtel usw.
Ich habe auch noch Schuhe, die aus Echtleder sind. Und die sind noch in einem guten Zustand. Ist es akzeptabel die noch so lange zu behalten, bis sie den Geist aufgeben und sich dann vegane Schuhe zu kaufen? Oder ist das ein No-Go?
Und was ist mit Lederimmitat? Ich mag die Optik von Kunstleder. Darf ich das jetzt als Veganer auch nicht mehr tragen, weil das zu sehr an echtes Leder anmutet?
Würde man als Veganer jetzt beispielsweise mit vorveganen Echlederschuhen und Secondhand-Kunstlederjacke an einer Anti-Pelz-Demo teilnehmen, wäre man dann ein Heuchler? Wäre dieses Erscheinungsbild als doppelmoralisch zu werten, wodurch das wofür man einsteht automatisch als unglaubwürdig zu betrachten wäre?
Und wie sieht es mitBilligklamotten aus? Zum Beispiel mit Kleidung von Konzernen wie Primark, die in Verruf gerieten Menschen zur Herstellung ihrer Kleidung auszubeuten. Muss man als Veganer solche Ketten boykottieren? Und die bereits gekauften Klamotten von Primark wegwerfen?
Und wenn wir schon bei der Ausbeutung von Menschen sind: Muss man als Veganer auf fairtrade achten? Oder darf man auch nicht fair gehandelten Kaffee oder Kakao konsumieren? Oder nicht fair gehandelte Schokolade essen? Darf man als Veganer nur noch fair gehandelte Kleidung tragen?
Auch sehr beliebt in Sachen vegan und Doppelmoral: Medikamente.
Ich glaube, das ist so ein Punkt über den man sich als Allesesser keine Gedanken macht. Und auch nicht machen muss. Aber für einen Veganer sieht das halt anders aus. Denn, damit Medikamente überhaupt zugelassen werden dürfen, müssen die hier in Deutschland laut Gesetzgeber vorher an Tieren getestet worden sein.
Für einen Veganer ist sowas natürlich ein moralisches Dilemma. Ähnlich wie bei Kosmetik oder Leder, Wolle usw. Denn als Veganer möchte ich nicht, dass Tiere für mich leiden. Also versuche ich das in möglichst allen Lebensbereichen zu minimieren bzw. zu vermeiden.
Doch darf ich jetzt als Veganer, wenn ich zum Beispiel starke Kopfschmerzen habe, keine Tablette mehr dagegen nehmen? Und was ist, wenn man operiert werden muss? Darf man als Veganer auch keine OP mehr durchführen lassen, welche in Vollnarkose stattfindet?
Und was ist, wenn man beispielsweise als Veganer die Diagnose Krebs bekommt? Muss man sein Leben dann abschreiben, denn man darf sich ja aus ethischen Gründen keiner Chemo unterziehen? Und wenn man tot ist, was nützt das den Tieren dann eigentlich?
Wie sieht es eigentlich aus, wenn man eine chronische Erkrankung hat und dauerhaft auf bestimmte Medikamente angewiesen ist? Zum Beispiel Typ 1 Diabetes. Wenn man Insulin spritzen muss, weil der Körper kein eigenes mehr produziert? Oder wenn man eine Schilddrüsenunterfunktion hat und daher eine Tablette schlucken muss, weil der Körper selbst nicht ausreichend Schilddrüsenhormone produziert?
Ist man als Veganer dann ein Heuchler? Doppelmoralisch und inkonsequent?
Ich könnte noch mehr solcher Punkte aufzählen. Das alles sind nicht nur Aspekte, die mich von mir selbst aus beschäftigen. Vielmehr werden viele dieser Aspekte gerne als Argumente gegen eine vegane Lebensweise aufgegriffen. Praktisch um zu sagen, dass man als Veganer ja auch nicht perfekt ist und auch Leid verursacht oder nicht ganz umweltfreundlich lebt.
Das mag ja alles stimmen. Trotzdem, was an den hier genannten Aspekten macht es jetzt besser nicht vegan zu leben?
Ist es besser echtes Fleisch zu essen, für das Tiere gelitten haben, als ein Fleischersatzprodukt auf Pflanzenbasis? Ist auf nichts von alledem zu achten besser als es zu versuchen? Muss man als Veganer in vollkommener Askese leben, damit das was man zu sagen hat glaubwüridg ist?
Als Allesesser habe ich mir über all diese Dinge nie Gedanken gemacht. Und auch nicht machen müssen. Doch manchmal, gerade wenn man den einen oder anderen Medienberichte liest oder die Meinungen mancher hört, dann möchte man fast meinen man muss als Veganer einen ganzen Aufgabenkatalog erfüllen. Denn, tut man das nicht, ist man nicht glaubwürdig. Also kein Vorzeige-Gutmensch.
Ist vegan zu leben jetzt konsequent? Oder doch eher Heuchelei?