Vaterlandslos wertkonservativ

 

Wenn eine deutsche Regierungschefin nach Griechenland fliegt, um dort zu demonstrieren, nämlich ihre Macht gegenüber der griechischen Regierung, gegenüber dem griechischen Volk, dann ist das ein kühner Akt, der Respekt abringen soll. Fliegt hingegen der Chef einer oppositionellen Partei nach Griechenland, um gegen diese Demonstration der Regierungschefin zu demonstrieren, nennt man ihn einen vaterlandslosen Gesellen. Vertritt die Regierung dort ihre Interessen, gilt sie als standhaft - tut es die linke Opposition, so liegt der Landesverrat in der Luft. Spricht die Kanzlerin nicht zum griechischen Volk, sondern vereinbart über ihre Quislinge das Vorgehen, nennt man es demokratische Vernunft - steht der Linken-Vorsitzende neben griechischen Bürgern - reden durfte er mit ihnen ja nicht! -, so wittert man undemokratische Tendenzen.
Der neoliberale Lebensentwurf darf eine Internationale haben und hat sie auch. EZB, IWF und EU wirken als übernationale Abstimmungsorgane. Die internationale Solidarität unter Linken wird als Angriff auf das nationale Interesse, vielleicht sogar auf die nationale Sicherheit, eingestuft. Da stört jemand den Burgfrieden, da kennt jemand doch Parteien, nicht nur Deutsche - und das stinkt der konservativen Presse, der Regierung und den Interessensverbänden mächtig, das ruiniert die Reputation einer Wirtschaft und ihrer politischen Mandatsträger, die für demokratische Prozesse der Teilhabe und der Mitsprache, keinerlei Verständnis hat.

Liebknecht und Toller hat man eingesperrt, man hat sie standgerichtlich zu vaterlandslosen Gesellen verurteilt. Riexinger bleibt dies erspart, der Krieg hat andere Formen angenommen, er wird kultiviert geführt, von feinen Damen und Herren, mit Verträgen und Pistolen, die nur noch metaphorisch auf die Brust gepflanzt werden. Einschläge gibt es nur noch auf sozialem Sektor; es werden keine Granaten mehr geworfen, es schlägt aber manches ein wie eine Granate, reißt tiefe Krater, macht steile Abgründe.
Die Tea Party Europas, die neoliberale internationale Solidarität, sie destilliert aus der europäischen Linken, aus deren solidarischen Motivationen, einen Affront gegen die nationalen Interessen und dürfte damit auch noch auf fruchtbaren Boden bei den Menschen stoßen. Die konservative Revolution ist hier im vollem Gange, flankiert die typischen Affekte und Spießigkeiten innerhalb eines nicht unerheblichen Teiles der Bevölkerung. Die üblichen Rassismen angereichert und modifiziert um ökonomische Herrentheorie. Früher hätte man Riexinger gefragt, warum er die Nähe zu rassisch unterlegenen Menschen sucht - heute wirft man ihm vor, dass er vor märktisch minderwertige Menschen mit seiner Solidarität eindeckt, schuldhaft verschuldete Leute in Schutz nimmt.
Als die allgemeine Krise der internationalen (Finanz-)Wirtschaft hereinbrach, eine Krise, die man in allerlei Partikularkrisen zerlegte, um sie undurchsichtig und besser verdaubar zu machen, da schien ein Zeitalter anzubrechen, in der linke, das heißt: soziale und gerechte Politik wieder im Trend liegen sollte. Geschehen ist wenig, neue Regularien wurden verweigert. Stattdessen große Tee-Sause auch in Europa, stattdessen gärt ein Konservatismus, der nicht nur weitermacht wie vorher, sondern auch noch radikaler agiert, noch radikalökonomischer auftritt, das politische Primat gänzlich in wirtschaftliche Fangarme legt. Dass manche Zeitung tatsächlich wieder von vaterlandslosen Gesellen schrieb, Riexinger diabolisierte als jemanden, der seinem Vaterlande im Wege steht, unterstreicht nachhaltig, dass soziale, ausgewogene und gerechte Politik keine Option für die europäische Zukunft sein soll.
Stattdessen hehre Reden vom Vaterland, eine Renationalisierung des Zeitgeistes, in einer Epoche, da man paradoxerweise nationales Haushaltsrecht am liebsten Brüssel überantwortet hätte und es in gelinderter Form auch tut. Dass es neben dem vaterländischen Ideal auch andere Ideale geben kann, für die es sich lohnt, auch (und gerade!) auf Griechenlands Straßen zu gehen, darf gar nicht erst zu konkret werden. Riexinger warf man in einem Morgenmagazin vor der Demonstration gegen Merkel vor, seine Partei sei verlogen, weil sie gegen den Rettungsschirm gestimmt habe und nun solidarisch tue. Da werden Inhalte zusammengeworfen, da werden Ereignisse vermengt, die so nicht zusammenzubringen sind! Man warf der parteilich organisierten Linken in Deutschland vor, sie würde den Internationalismus des ESM nicht unterstützen, obgleich man doch immer internationalistisch tickte. Lieber eine unsoziale Internationale als gar keine?
Die Linke ist, so bitter das nun auch klingt, die letzte wertkonservative Partei in diesem Lande. Riexinger war weniger als Linker als als Wertkonservativer in Griechenland zugegen. Er vertrat dort eine Philosophie, die von allen anderen Parteien aufgegeben wurde: Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, Verständnis, Solidarität, soziale Mentalität sowie demokratische und materielle Partizipation. Der Wertkonservatismus hat dies früher mal wenigstens teilweise vertreten, unterstützt von christlichem Sendungsbewusstsein, durch Bezug auf ein Christentum, das zwar durchaus Herrschaftsverhältnisse unangetastet ließ, aber gleichermaßen einsah, dass die Bekämpfung der Armut, die Linderung der Not, die Fürsorge und Umverteilung, wesentlich sind, um die Gottlosigkeit des Kapitalismus zu bannen und dem Faschismus das Wasser abzugraben. Christliche Soziallehre nannte sich dieses Lehrgebäude - es ist heute aus der Mode; etwas ähnliches vertritt Die Linke heute allerdings, sie nennt es nur anders. Sie ist in die Rolle des Wertkonservatismus hineingerutscht und bewahrt den Sozialstaatsgedanken.
Vielleicht war es vaterlandsvergessen, was Riexinger tat. Mag sein. Es ist auch belanglos. Es ist eine Frage der Sichtweise und der Einstellung zum Land seiner Geburt - mehr nicht. Seine Anwesenheit war jedoch seit langem mal wieder eine richtige Aktion, ein gehöriges linkes Zeichen, hat Die Linke aus dem Schlaf geweckt, sie als linke Partei wieder seriöser gemacht. Man wirft ihr zuweilen vor, sie sei populistisch - Riexingers Anwesenheit auch im Namen seiner Partei zeigt das Gegenteil: Die Linke kann unpopuläre Aktionen durchziehen und tut es auch. Sie mag in vielen Punkten irren, auch generellen Irrtümern aufsitzen, hin und wieder ein klein wenig zu ideologisch verstockt sein - aber sie ist die Alternative, sie ist die wertkonservative Stimme unserer Zeit. Man kann Riexinger nur wünschen, weiterhin den Weg zu gehen, der richtig ist, auch wenn ihn die Mehrheit vielleicht als falsch ansieht.


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