meine Reportage aus Valencia in der taz
Valencia will meer
Von Robert B. Fishman
Sandstrand bis zum Horizont, ein abrissbedrohtes Fischerdorf, die angeblich größte Altstadt Spaniens, gesäumt von Alleen mit bis zu neun Etagen hohe Jugendstilbauten, eine Stadt der Wissenschaft und Künste, leerstehende Neubauviertel, eine Lagune, in der Reis und Aale gedeihen. In Valencia gibt es auch Haie, Hyänen und Pinguine, ein unvollendetes Mega-Stadion, einen halben Hafen ohne Schiffe, eine „Route der Korruption und Verschwendung“ und einen Park im Fluss
Mit Zitronen gehandelt
In Valencia war ein Bauboom ausgebrochen. Dank effektiverer Anbaumethoden lieferte das fruchtbare Umland drei Ernten im Jahr. Zitronen und Orangen aus Valencia verkauften sich über neue Bahn- und Schiffsverbindungen auch im Ausland bestens. Händler und Großgrundbesitzer demonstrierten ihren neuen Wohlstand mit aufwändig verzierten Fassaden im damals aktuellen Jugendstil. Rund um die Altstadt mit ihren engen Gassen säumen die prächtige Bauten aus jener Zeit die breiten Alleen und palmengesäumten Plätze.
Peter, pensionierter Lehrer aus Hamburg, hat sich in Valencias einstigem Fischerkiez seine zweite Heimat eingerichtet. Seit 15 Jahren kommt er regelmäßig. Er engagiert sich gegen die Pläne der Stadt: Die seit 1991 regierende Bürgermeisterin will die vierspurige Avenida de Blasco Ibanez bis zum Meer verlängern. Das Zentrum des Cabanyal versperrt den Weg.
Bei Wein, Brot, Käse, Oliven und Empanadas erzählt Peter die Geschichte des Viertels in Spaniens am höchsten verschuldeter und angeblich korruptester Stadt. Karin, die lange an der deutschen Schule unterrichtet hat, kommt dazu. Der Platz füllt sich. Gemeinsam holen wir noch ein paar Stühle aus ihrer Wohnung in der Nähe. Die gelb leuchtenden Straßenlaternen tauchen die leeren Strassen in unwirkliches, fast gespenstisches Licht.
Karin wohnt in einem dreistöckigen Haus, das die Stadt schon zum Abriss frei gegeben hat. An den verwitterten Wänden, von denen der Putz bröckelt , markieren braune und beigefarbene Streifen die geplante Schneise. Eingänge in der Nachbarschaft sind zugemauert. Das Viertel verfällt, obwohl sehr viele Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Nachdem ein Obergericht in Madrid die Baupläne gestoppt hat, genehmige die Stadt keine Renovierungen mehr.
Wohnungssuchende besetzen leerstehende Gebäude. Immer mehr der in Valencia gestrandeten Roma – Familien aus Rumänien und Bulgarien finden hier ein Notquartier. Anwohner klagen über Verfall, Schmutz und „die Zigeuner“. 400 Häuser mit rund 1600 Wohnungen habe die Stadt gekauft, um sie abzureißen. Inzwischen sei ihr das Geld ausgegangen.
An manchen Fassaden fordern Transparente den Bau des neuen Boulevards. „Das ist eine Initiative des Partido Popular, der regierenden konservativen Volkspartei“, erklärt Emiliano. In seiner Bodega Casa Montana serviert er teuren Wein aus Eichenfässern und feine Tapas.
Zu Zeiten des faschistischen Diktators Franco ging Emiliano 1973 zum Studieren nach Deutschland und in die Niederlande. Als er dort zum ersten Mal eine Demonstration sah, bei der die Polizisten friedlich am Straßenrand standen, wurde ihm klar: „Ich will in einem demokratischen Land leben“. Wenig später erfüllte sich sein Wunsch. Franco starb 1975.
Spanien öffnete sich. „In vielen Köpfen“, meint Emiliano, „ist der Bürgerkrieg immer noch nicht zu Ende“. Valencia war 1939 die letzte Bastion der spanischen Republik. Italienische Kriegsschiffe bombardierten die Stadt. Viele Geschosse schlugen in der Nähe des Hafens im republikanischen Cabanyal ein.
Emiliano, 58, sieht sich als einen der wenigen „linken Unternehmer“ in der Stadt. „Etica es rentable“, ethisches Wirtschaften lohne sich. Der Mann mit dem grauen Bart überlegt, bevor er seine Sätze ausspricht. Eine Zeit lang war er Vorsitzender der Valencianischen Kaufmannschaft. Dort erfuhr er, dass sich die meisten seiner Kollegen nicht für Politik interessierten. Die sei „schmutzig“. Deshalb wolle man damit nichts zu tun haben. So sei es der Bürgermeisterin leicht gefallen, den kleinen Händlern im Cabanyal Aufschwung Wohlstand zu versprechen, wenn die neue Avenida zum Meer gebaut würde.
Der lässt auf sich warten. Spanien steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise: 56 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Viele Hochschulabsolventen ziehen wieder zu ihren Eltern und Großeltern, weil sie keinen Job finden. 700.000 Spanier sollen das Land auf der Suche nach Arbeit seit 2008 verlassen haben.
Mit einem Lächeln kreativ durch die Krise
Andere schaffen sich selbst eine Perspektive, eröffnen Bars oder wie die drei Italiener im angesagten Stadtteil Russafa ein Kulturcafé mit Bücherei. Wer mag, kann sich die Bücher ausleihen oder Konzerten und Lesungen lauschen. Wichtigste Branche ist wie fast überall in Spanien der Tourismus: Vintage Tours nennt sich das junge Unternehmen, das Ausflüge mit einem vierzig Jahre alten VW-Bus im Hippie-Stil anbietet. Viele der Start-Ups kooperieren . Nach der Vintage-Tour in die stille Lagune Albufera am Stadtrand und einem Bootsausflug gibt es bei The Workshop einen Paella-Kochkurs. Gemeinsam mit dem Kursleiter gehen die Gäste in der 100 Jahre alten Markthalle, einer der größten Europas, nebenan einkaufen. Hier erfahren sie, welche Zutaten eine gute Paella ausmachen: Ganz bestimmte Bohnen, die es nur hier gibt, die richtige Sorte valencianischen Reis, Hühnchen und Kaninchen. Zwei Stunden und viele Erklärungen später dampft eine selbst gekochte leckere Paella auf dem Tisch.
Der Weg zurück in die Stadt führt über den zweispurigen Radweg unter Palmen die Avenida Blaso Ibanez bis zu den Königlichen Gärten, dann hinunter in den Fluss, der keiner mehr ist. Zwölf Kilometer lang ist das grüne Band, das die Valencianer einer Naturkatastrophe und ihrer Beharrlichkeit verdanken. Jahrhunderte lang überflutete der Turia-Fluss Valencia immer wieder. 1957 stand das Wasser in der Altstadt bis zu fünf Meter hoch. Die Regierung in Madrid beschloss daraufhin, den Fluss umzuleiten.
Größer, höher, pleite
Mehr als eine Milliarde Euro hat die Stadt der Wissenschaft und Künste mit ihrem naturwissenschaftlichen Museum, den Aquarien mit Haitunnel, Pinguinen, tropischen und arktischen Gewässern, der Oper und dem Veranstaltungszentrum angeblich gekostet. Während des Baubooms bis 2008 war den valencianischen Politikern nichts groß und teuer genug. Die Region ließ für mehr als 300 Millionen Euro einen Flughafen bauen, auf dem nie ein Flugzeug landen wird.
Auch Boris, ein intellektuell wirkender Typ mit schwarzen Haaren und Bart, hat sich intensiv mit der Stadtplanung in Valencia beschäftigt. Nach dem Abi auf der deutschen Schule hat er Architektur studiert. Als er 2003 von der Uni kam waren Baufachleute gefragt. Inzwischen suchten sieben von zehn Architekten vergeblich Arbeit. Boris lebt von Renovierungsaufträgen und einem Job bei einem Energieunternehmen.
Den Größenwahn vieler Politiker erklärt er aus der Geschichte: „Spanien war immer eine arme Agrargesellschaft, weit weg von Europa.“ Die Menschen hätten den Glanz der Städte bewundert und sich an den leuchtenden Metropolen orientiert. Valencia sei immer eine Bauernstadt gewesen. „Als mit dem Wirtschaftsaufschwung so viel Geld ins Land kam, fehlte nach 40 Jahren Diktatur die demokratische Kontrolle.“„Wir haben so viele gut ausgebildete kreative Menschen hier, aber viele erkennen ihr eigenes Potenzial nicht.“ Boris hat sich den „Guiding Architects“, dem europaweiten Netzwerk für Architektur-Stadtführungen angeschlossen. In Valencia gehen ihm die Geschichten nicht aus.
Disclaimer: Die Recherchereise wurde teilweise unterstützt von tourspain