Dem Barmann bei seiner Arbeit zuzusehen hat erkennbar meditative Wirkung. Folglich kommt auch keine Ungeduld auf, obschon wir seit geschlagenen 15 Minuten auf unsere Mojitos warten. Wir sind die einzigen Gäste wohlgemerkt.
Wir wundern uns auch nicht weiter, als der Barkeeper fröhlich pfeifend verschwindet, um Minuten später breit grinsend mit frischer Minze von Irgendwo zurückzukehren. Nach einer halben Stunde halten wir dann auch unsere Drinks in den Händen. Lecker! Die Abendsonne taucht die Bar in ein schläfrig warmes Licht und Reggae Rhythmen dudeln im Hintergrund. Trallala …
Uruguay ist die Entdeckung der Langsamkeit. Uruguay war von Anfang an Entspannung pur. Als ob jemand das Grundtempo des Lebens gedrosselt hätte, Richtung Zeitlupe. Keiner läuft, keiner schreit, keiner hetzt. Hier hat die Zeit ihren eigenen Takt. Wo wir Deutschen übereifrig unserem perfekten, kapitalistischen Weltbild hinterherhecheln, zuckt der Uruguayer nur mit den Achseln und schlürft an seinem Mate, denn alles funktioniert auch ohne Hast und Eile.
Mit dieser Einstellung hat es das Land durchaus weit gebracht. Der kleine Underdog, eingeklemmt zwischen den zwei schillernden Giganten Brasilien und Argentinien. Wo beide protzen und mit Superlativen um sich werfen, verhält es sich ganz leise und strahlt eine ungeheure Ruhe und Zufriedenheit aus.
Trotzdem hat das zweitkleinste Land Südamerikas in den vergangenen Jahren eine beeindruckende fortschrittliche Entwicklung hingelegt und sich zur „Schweiz Südamerikas“ (und dochh mag ich diese vergleiche nicht) gemausert: ein stetig steigendes Bruttosozialprodukt, hohe Sicherheit, gestiegene Löhne bei gesunkenen Arbeitslosenzahlen und ein starker Fokus auf erneuerbare Energien.
Dazu seit jeher ein hoher Bildungsgrad, eine liberale Einstellung (Uruguay ist das erste Land der Welt, welches Cannabis komplett legalisiert hat und als zweites Land in Lateinamerika führt Uruguay 2013 die Ehe zwischen homosexuellen Paaren ein) und dem vielleicht unprätentiösten, bemerkenswertesten und großmütigsten Präsidenten („Pepe“ genannt – seit letztem Jahr Ex-Präsident) der Welt – ein Krawattenverweigerer, Ex-Guerillero, politischer Gefangener, Bauer und VW-Käferfahrer.
Urlaub in Uruguay
Schön und gut. Aber dort seinen Familienurlaub verbringen? Wir ernten überwiegend befremdliche Blicke bei der Erwähnung unseres Reisezieles, allenfalls ein großes Fragezeichen auf der Stirn oder ein: „Ach ja, zu den Iguazú Fällen wollte ich auch schon immer mal“. Die sind da aber nicht, sondern an der Grenze zwischen Argentinien und Brasilien!
Schon wahr, im Vergleich zu seinen Nachbarn hat der kleine Staat, gerade mal halb so groß wie Deutschland, keine herausragenden, „Musst-Du-Gesehen-Haben“ Naturspektakel oder Attraktionen zu bieten. Wohl deswegen wird das Land gerne links liegen gelassen. Uruguay ist das Land neben dem Weg. Ignoriert vom Nord-Süd Pilgerzug durch Südamerika.
Nur gelegentlich verirrt sich ein europäischer Backpacker mit mehr Zeit im Gepäck ins „Land der Einarmigen“- so genannt, weil ein Arm der Uruguayer meist durch die obligatorische Thermoskanne unter dem Arm und dem Matebecher in der Hand blockiert ist.
Ansonsten, heißt es, besteht das Land aus den zwei Kernelementen Rind und Wasser. Das ist nicht vollkommen falsch, auf jeden Einwohner kommen 3 Rinder, aber es hat doch noch viel mehr zu bieten: Durchaus reizvolle Architektur und Kultur, eine charmante Hauptstadt, endlose Weiten und unglaubliche, nahezu menschenleere Strände. An der Küste lassen sich Wale und Delfine beobachten, außerdem befindet sich vor Punta del Este die zweitgrößte Seelöwenkolonie.
Uruguay setzt verstärkt auf Naturliebhaber und Ökotourismus. Man strebt an, verschiedene Naturschutzgebiete weiter auszubauen. Auf dem Land trifft man noch Gauchos, galoppiert durch die Prärie oder verweilt mit Stil auf alten Landgütern aus der Kolonialzeit, den sogenannten Estanzias.
All das reizt uns. Ein tiefenentspanntes Land, das leicht und komfortabel auf eigene Faust mit dem Mietwagen zu bereisen ist, die Möglichkeit viel in kurzer Zeit sehen zu können, wenig Tourismus, viel Freiheit und Lebensgefühl, ohne um Sicherheit bangen zu müssen und noch angenehme Temperaturen, während bei uns um Ostern durchaus noch mit Wintereinbrüchen zu rechnen ist.
Das Urlaubsgefühl von Entschleunigung und Entspannung stellt sich in Uruguay schon auf der Autobahn, die von Kuh und Fußgängern gleichermaßen genutzt wird, ein. Der Anblick der vielen schönen Oldtimer, die da beschaulich tuckern, lässt hier und da das Gefühl einer Zeitreise, denn einer Entspannungsreise aufkommen.
Was gibt es also zu erleben in Uruguay?
Uruguay macht alle Freunde der Ruhe und Natur glücklich. Neben einfach mal Nichtstun wie z. B. in Cabo Polonio kann ich jedem empfehlen, auf einer Estanzia zu nächtigen, sich ganz herrschaftlich fühlen und zumindest einmal aufs Pferd zu schwingen. Nirgendwo geht das einfacher und unkomplizierter und fühlt es sich freier an als in Uruguay am unendlichen Strand – als blutiger Anfänger – zu galoppieren, genauer gesagt herumzuplumpsen und sich dabei den elendsten Muskelkater seines Lebens einzufangen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Immerhin haben wir einen kleinen Menschen ganz besonders glücklich gemacht.
Dann ist da noch dieser Wein, der gekostet werden muss und dem Chilenischen oder Argentischen in nichts nachsteht, das lässige La Pedrera und Punta del Diablo mit viel Hippiecharme – beides mit besten Bedingungen, um sich mit dem Surfbrett in die Wellen zu stürzen.
Ein Flohmarktbesuch in Montevideo sollte nicht fehlen oder im kolonialen Städtchen Colonia del Sacramento durch die Kopfsteinpflastergassen und Plazas bummeln. Auch die Strände im mondänen Punta del Este haben durchaus ihren Reiz, wobei es mir das nahegelegen La Barra und José Ignacio mehr angetan hat. Hier ist das Geld zu Hause. Selten habe ich so stilvolle Beachhäuser gesehen, aber auch der rot-weiße Leuchtturm ist nett. Fast kommt Nordsee-Feeling auf. Ein Trip zur unbewohnten Isla de Lobos mit seiner riesigen Seehundkolonie ist ein Muss.
Wer jetzt noch Zeit hat, wir leider nicht mehr, sollte in Fray Bentos durch die Relikte der ältesten Fleischfabrik Uruguays steifen, die von der UNESCO ins Weltkulturerbe aufgenommen wurden oder in Salto in Thermalbädern die Muskeln entspannen. Touristen trefft ihr ab hier unter Garantie kaum mehr.
Der Haken an Uruguay
Klingt zu gut alles? Ist es auch, nur einen kleinen Haken gibt es. Uruguay ist kein günstiges Reiseland. Die Preise sind durchaus auf gehobenem mitteleuropäischem Niveau. Und wer Anden-Folklore oder Samba-Exotik erwartet, ist ganz schlecht bedient. Uruguay ist ein modernes Land, der Lebensstandard anspruchsvoll, die Menschen warmherzig, bodenständig aber sehr europäisch geprägt.
Auch wer Party und Nachtleben sucht, ist völlig fehl am Platz. Dafür gibt es Marihuana legal aber nicht für Ausländer. Uruguay ist nicht bestrebt, das nächste Kiffer-Pilgerziel zu werden.
Muss man Uruguay gesehen haben?
Ganz ehrlich, nicht wenn man ansonsten noch Wenig von der Welt gesehen hat. Es gibt durchaus aufregendere Ziele. Doch ich muss sagen, auch wenn Uruguay etwas träge und eintönig sein kann, für seine unkomplizierte „Laissez-faire“-Einstellung muss man das Land einfach lieben.
Hidden Gems und praktische Tipps:
Wohnen:
- Vintage Heaven: Wie im Antiquitätenladen wohnt man in der Casa Zinc Uruguay.
- Nur mit Glück und etwas Vorlauf bekommt man ein Zimmer in der Posita de la Plaza Colonia von Eduardo, dem wohl charmantesten Brasilianer der mir bisher untergekommen ist. Selten erlebt man so viel Liebe zum Detail und Herzlichkeit. Sagenhafte 9,9 von 10 Punkten hält seine Posada auf Booking.com und auch sein Fotografieladen lädt zum stundenlangen Stöbern ein
- Ein Glücksgriff war auch unser Airbnb Apartment Punta Diablo direkt in den Dünen von Punta del Diablo.
Essen:
Ich hatte größte Bedenken, durfte aber alle über den Haufen werfen. Vegetarier können in Uruguay durchaus glücklich werden. Das Land ist auf der Höhe der Zeit.
- Yummy: Bocadensato in Colonia del Sacramento
- Unbezahlbarer Blick, beste Caipirinhas und beste Qualität bei Chez Silvia versteckt und recht einsam am Strand in Oceana del Polonia.
- Vom lauschigen Garten, dem Wein dem Risotto im Pedisco in La Pedrera träume ich noch heute.
Aktivitäten:
Vollkommen lustlos und nur dem Kind zuliebe sind wir an die Sache herangegangen. Welch eine dumme Voreingenommenheit! Reiten mit Sofia und ihren schönen Pferden hat sich als absolutes Highlight erwiesen. Die Frau ist eins mit ihren Tieren und strahlt Gelassenheit pur aus, die sich überträgt und wir bereits nach einer halben Stunde auf einem Pferderücken den Strand entlang galoppieren.
Cabalgatas La Pedrera: www.cabalgataslapedrera.wix.com/uruguay
Ein Museum der skurillen Art hat uns besonders viel Spaß gemacht: Das Museo del mar in La Barra steht in keinem Reiseführer ist aber eine wirklich lustige Entdeckung und ein kurioses Sammelsurium: http://museodelmar.com.uy/en/museum-of-the-sea/
Bilder: ©HIDDEN GEM, Seehund auf Fels und Hütte: ©Pixabay – Free Images
Dieser Beitrag ist im Rahmen der Stadt-Land-Fluß Blogparade von Ferngeweht entstanden. Was für eine großartige Idee.