Ursula und Thilo und Bonnie und Clyde

Die Albernheit mit der Debatten zuweilen geführt werden, zeichnet sich oft schon im lapidaren Schlagwort ab, unter dem das Geschwafel firmiert. Man muß nicht wissen, was hinter der Frau Sarrazin-Debatte steckt, um zu erahnen, dass das eine besonders belämmerte Abwicklung reaktionärer Feuchtträume sein muß; der dösige Versuch, die Frau eines Reaktionärs in Szene zu rücken, sie zum Fels in dessen Brandung umzuschreiben - im gemeinsamen Heim der Sarrazins, so das Bild das entstehen soll, da gedeihen Ansichten, die jeder hege, die sich aber niemand zu formulieren getraut.

Da steht dieses betagte, dieses wurmstichige Brautpärchen gegen den Rest der Welt, gegen seine Kritiker und mosert vereint und ohne Rücksicht auf die Umwelt durch die Lande - man ist schließlich auch im Geiste verheiratet. Frau Sarrazin soll es nun ihrem Gatten gleichtun, soll mit einem Bestseller nachlegen, sich darin zur Bildungsfrage äußern, die für sie freilich gar keine Frage von Gehalt ist: fraglich sind für sie nur die Horden träger und dummdreister Schüler, die ihr und ihrem Berufsstand partout das Leben erschweren wollen.

Das ist insofern ein unvergleichlicher, bislang unbekannter Clou des agenda setting: kein Einzelkämpfer als Stimme der schweigenden Mehrheit, keine verlorene, vereinsamte Gestalt, sondern ein Ehe- und bald Autorenpaar ist es, welches hier als spirituelle Einheit auftritt. Wie Bonnie Parker und Clyde Barrow materiell verpartnert und ideell verschwistert, wenden sie sich gegen eine Welt, die ihnen höchst problematisch und ungerecht dünkt - man vernimmt Thilos leises und stotterndes Gesäusel, das er ins Ohr seiner Ursula verrichtet, frank und frei nach den Toten Hosen: "... auch wenn uns die ganze Welt verfolgt, wir kümmern uns nicht drum, denn wir sind Bonnie und Clyde."

Und als Bonnie und Clyde reaktionärer Bestsellerlisten werden sie stilisiert; dieser neueste Clou öffentlicher Verblödung, nun auch ein Ehepaar als Inbegriff deutscher Leistungsträgerschaft zur gemeinsamen Stimme gegen Ausländer und genetisch Minderwertige, Jugendliche und Kinder aus der Unterschicht auflaufen zu lassen, er füttert das Märchen von der kleinkarierten Bonnie und ihrem spießigen Clyde, die gegen eine Welt aufbegehren, die sie endlich aufgeräumt wissen wollen, die pingelig all jene aus ihrem direkten Umfeld eliminieren soll, die sie für unwürdig und minderwertig erachten. Seltsame Helden, wie einst das Mordpärchen, das zum Heldenpärchen des kleinen Mannes wurde, weil es sich mit rasender Chuzpe gegen die Staatsmacht warf, so wie jenes aktuelle Pärchen sich heute gegen alles wirft, was in den letzten Jahrzehnten an Aufklärung und sozialer Errungenschaft erreicht wurde.

Insofern ist die Bezeichnung Mordpärchen auch hier nicht gänzlich fehlerhaft, wenngleich noch nicht gemordet wurde - aber die Vorbereitungen haben die gegenwärtigen Bonnie und der gegenwärtige Clyde bereits getroffen; sie düngen jenen Boden, der zu ganz widerlichen Entwicklungen hinleitet; sie lassen antiquiertes und unwahres Gedankengut reifen, das dann auch die Eliminierung unliebsamer Gesellschaftsgruppen nicht mehr unmöglich macht. Sie sind Wegbereiter einer Unmenschlichkeit, die Menschenrechte und gegenseitigen Respekt vergessen machen soll; keine Sozialleistungen mehr, Ausländer raus!, härte Gangart bei Kindern und Jugendlichen, eingeimpfter Schuldkomplex bei Eltern: das ist die Welt dieses Ganovenpärchens, das sich als Leistungsträger- und bald schon als Autoren- oder gar Intellektuellenpärchen feiern läßt.

Nun bleibt zu hoffen, dass sie wie einst Bonnie und Clyde im Kugelhagel verenden - in keinem wirklichen, einem metaphorischen freilich, um dem feinen Benehmen die Ehre zu geben. In einem Kugelhagel, der von den Feuilletons ausgeht, von zerfetzenden Artikeln und zertrümmernden Rezensionen. Aber das ist nur eine müde Hoffnung, denn entweder meuchelt man obskure Heldengestalten oder man macht sie zu spirituellen Führern. Und es würde nicht wundern, wenn die vorzufindende gesellschaftliche Konstitution aus dem Autoren- und Intellektuellenpärchen ein Führerpärchen machen würde!


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