Foto copyright by Rike / pixelio.de
Nun war ich schon schon zwei Jahre alleinerziehend. Viel hatte sich in dieser Zeit getan. Ich hatte einen festen und sicheren Arbeitsplatz in einer Versicherungsgesellschaft, hatte eine günstige Mitarbeiterwohnung, meine Kinder waren tagsüber gut versorgt. Meine Tochter war mittlerweile ein Schulkind geworden und sie machte mir sehr viel Freude. Und Marco war zu einem süßen 3-jährigem Jungen herangewachsen, der aufgeweckt die Welt entdeckte.Bianca und Marco verstanden sich meist gut. Ab und zu stritten sie sich, wie es eben unter Geschwistern üblich ist. Wahrscheinlich lag es an unserer Familienkonstellation, dass die beiden ein sehr enges Verhältnis zueinander hatten und heute noch haben. Der Vater fehlte. sie hatten nur mich als Bezugsperson und ich war oft arbeiten. So hatten sie nur sich gegenseitig und arrangierten sich damit. Wenn ich an die Streitereien denke, die ich mit meinem Bruder austrug... das war ein himmelweiter Unterschied. Vor allem schafften die beiden es meist, ihre Streitigkeiten selbst auszuräumen, ich musste nur wenig eingreifen.
Ihren Vater sahen sie, wenn ich Urlaub hatte und mit den Kindern zu ihm nach Italien fuhr. Italo und ich hatten uns nicht mehr viel zu sagen, aber der Kinder wegen fuhr ich 2-3 Mal im Jahr zu ihm. Dann versuchten wir, den Kindern eine schöne Zeit zu bieten, unternahmen Ausflüge, gingen schwimmen.
Italo hatte in der Zwischenzeit wieder angefangen zu trinken. Ich weiss nicht, ob es deswegen war, weil ich nicht wieder zu ihm zurück gekehrt war. Diesen Schuh wollte ich mir aber auch nicht anziehen. Er war selbst erwachsen und hatte eine sehr schlimme Zeit wegen dem Alkohol hinter sich, beinahe wäre er gestorben daran. Er musste selbst verantworten, was er da tat.
Wenn wir bei ihm waren, hielt sich sein Alkoholkonsum im Grenzen. Ein Gläschen Wein zum Mittagessen, 1-2 Gläser Wein am Abend. Ich weiss allerdings nicht, wie sich das verhielt, wenn wir in Deutschland waren und er alleine lebte.
Die Kinder freuten sich immer riesig, wenn wir in den Ferien zu ihm nach Italien fuhren. Und manchmal sagte Bianca nach einem Aufenthalt bei ihrem Vater zu mir:"Mama,. ich wünsche mir so,dass Ihr beide Euch wieder vertragt und wir wieder eine ganz normale Familie werden!" Das tat mir dann in der Seele weh, denn ich wusste ja, dass das niemals passieren würde. Behutsam versuchte ich ihr dann klar zu machen, dass sich ihr Wunsch wohl nie erfüllen würde.
Marco baute nie eine besonders tiefe Beziehung zu seinem Vater auf. Für ihn war Italo ein "Ferienpapa", mit dem man tolle Sachen in den Ferien unternahm. Er vermisste ihn auch nicht sonderlich, wenn wir wieder zurück in Deutschland waren, bei Bianca war das schon etwas heftiger.
Über eine rechtskräftige Scheidung dachten wir damals überhaupt nicht nach. Eine Scheidung war durch die große Distanz, die zwischen seinem und unserem Wohnort lag, einfach nicht nötig, es war nicht wichtig. Wir waren geschiedene Leute, lediglich das Papier, auf dem es schriftlich festgehalten war, fehlte. Und da keiner von uns einen neuen Lebenspartner hatte, benötigten wir dieses Papier auch nicht. So ließen wir es einfach so weiter laufen und vereinbarten, dass wir uns scheiden lassen würden, wenn einer von uns beiden frei für einen neuen Partner sein wollte.
Italo bezahlte nach wie vor keinen Unterhalt. Auch kam er uns in Deutschland fast nie besuchen. Immer war ich es. die dafür sorgte, dass der Kontakt zwischen den Kindern und ihm nicht abbrach. Natürlich ärgerte ich mich darüber, aber ich war der Meinung, dass hier persönliche Animositäten fehl am Platz waren. Hier ging es um die Kinder. Nach dem Motto zu handeln: "Entweder du zahlst Unterhalt oder Du siehst Deine Kinder nicht wieder!" fand ich nicht korrekt, denn es wären die Kinder gewesen, die darunter gelitten hätten.
Wir hatten unseren Rythmus gefunden. Wenn in den Sommerferien der Schulhort und die KiTa geschlossen waren und ich Urlaub hatte, dann war ich - so komisch sich das jetzt anhören mag - jedes Mal wieder froh, wenn der Urlaub um war und die Kinder wieder in ihre Betreuung gingen und ich zur Arbeit gehen konnte. Ich hatte selbst deswegen ein schlechtes Gewissen. Aber es war so, dass ich es einfach nicht mehr gewohnt war, den ganzen Tag mit den Kindern zu verbringen. Wir sahen uns ja meist erst am Abend und an den Wochenenden. Ich war schlichtweg in den Ferien überfordert mit den Beiden. Bereits morgens um kurz nach 6 Uhr stand Marco an meinem Bett und fragte mich aber sowas von munter;" Mama, schläfst Du noch?"
Manchmal entschied ich mich, einfach nicht zu antworten und so zu tun, als würde ich noch schlafen. Doch es nützte nichts. Wenn ich nicht reagierte, dann schüttelte er mich etwas an den Schultern oder stupste mich. Wenn ich dann immer noch nicht reagierte, rief er meist laut - für meine Ohren sehr laut - nach seiner Schwester:"Biancaaaaa! Die Mama schläft noch!"
"Nein mein Kind, jetzt nicht mehr!" dachte ich dann oft. Es nützte nichts. Die Kinder waren das frühe Aufstehen gewohnt und nur weil Ferien waren, änderte sich ihr Rhythmus nicht. Also musste ich mich irgendwann geschlagen geben und aufstehen.
Wenn ich das nicht tat, dann kamen die beiden auf die glorreiche Idee, sich ihr Frühstück selbst zu machen. Die Küche würde anschließend niemand gerne freiwillig putzen wollen. Verschüttete Milch auf dem Boden, auf dem Tisch, Butter und Marmelade fand den Weg nicht nur aufs Brot, sondern auch auf die Tischdecke. Wenn es Müsli gab, dann machten sie sich die Schüsselchen randvoll, so dass fast keine Milch mehr reinpasste. Natürlich schwappte das Ganze über und ich fand Müsli überall in meiner Küche.
Nein, ich tat mir keinen Gefallen damit, wenn ich etwas länger liegen blieb, auch wenn ich es so gerne getan hätte. Also hieß es auch im Urlaub um ca. 6 Uhr aufstehen und ab diesem Moment den ganzen Tag für die Kinder da sein. Natürlich genoss ich diese Zeit mit den Kindern sehr. Aber es war eben auch ungewohnt anstrengend. Wenn wir nicht in Italien waren, dann hatte ich täglich ein anderes Programm mit den Kindern, schwimmen gehen, in die Wilhelma gehen, im Park Rad fahren, auf den Spielplatz gehen, Kindertheater besuchen...es gab keinen Tag, an dem ich zur Ruhe kommen konnte.
Auch an den Wochenenden war ich immer für die Kinder da. Italo wohnte ja knapp 800km entfernt, da gab es nie ein Papa-Wochenende, ich war Tag für Tag ohne Pause für die Kinder da, hatte keine Möglichkeit, aus dem Hamsterrad zu entfliehen. so wie die meisten alleinerziehenden Mütter, die alle 2 Wochen ein kinderfreies Wochenende haben. Auch konnte ich mir keinen Babysitter leisten, und so ging ich abends nie aus. Mein Leben bestand aus Kindern und Arbeit, Arbeit und Kindern.
Ich war erst 26 Jahre alt und manchmal fiel mir die Decke auf den Kopf. Ich sah viele Gleichaltrige ihr Leben in vollen Zügen geniessen und manchmal haderte ich mit meinem Schicksal. Doch ich vergaß nie, auch dankbar für meine beiden gesunden Kinder zu sein, danbbar für meine Arbeit zu sein, die mir Spaß machte und uns ernährte, dankbar für meine Eltern zu sein, die immer für mich da waren, wenn ich sie brauchte. Wenn ich diese Dankbarkeit nicht empfunden hätte, dann weiß ich nicht, ob ich das alles geschafft hätte.
Nach zwei Jahren bemerkte ich, dass meine Kräfte nachließen. Ich hatte ja nie auch nur einen Tag für mich, ich musste immer präsent sein, für unseren Lebensunterhalt sorgen und Verantwortung tragen.
Dazu kam, dass Marco einen Pseudo-Krupphusten entwickelt hatte, nächtelang war ich wach und verbrachte die Nacht mit ihm am geöffneten Fenster oder vor dem geöffneten Gefrierschrank, oder ging mit ihm ins Krankenhaus, wenns ganz schlimm wurde. Im Krankenhaus dann bekam ich Cortisonzäpchen für ihn für den Notfall. Damit konnte ich die Anfälle schneller beenden und Marco musste weniger leiden.
Die Anspannung bei solchen Anfällen war immer immens. Marco zog förmlich nach Luft zwischen den bellenden Hustenanfällen und ich hatte solche Angst um ihn. Gott sei Dank überstand er es immer gut, ein paar Tage danach war er meist noch etwas angeschlagen und litt unter Erkältungssymptomen, dann war wieder alles gut. Die Anfälle häuften sich und ich machte mir große Sorgen um meinen kleinen Sohn.
Diese Sorgen, die Anspannung und die vielen schlaflosen Nächte kosteten mich meine letzte Kraft.
Ich bemerkte, ich musste raus. Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel, dringend einen Ort, an dem auch ich mal die Seele baumeln lassen konnte.
Für Marco war die heilende jodhaltige Luft der Nordsee ein gutes Klima, in dem man den Pseudo-Krupp gut behandeln konnte.
Also informierte ich mich über Mutter-Kind-Kuren an der Nordsee und wurde bei der Caritas fündig. Die Caritas Stuttgart verfügte damals über ein Erholungsheim auf der holländischen Nordseeinsel Schiermonnikoog und bot dort regelmäßig auch Mutter-Kind-Kuren an. Die notwendigen ärztlichen Bescheinigungen bekam ich anstandslos und reichte den entsprechenden Antrag mit den Bescheinigungen bei der Krankenkasse ein. Die Kur wurde bewilligt, die Kosten jedoch wurden nur im Rahmen der Kosten einer Kur im Inland übernommen. Da ich nur ein relativ kleines Gehalt hatte, bezahlte den Rest das damalige Sozialamt.
Ich war überglücklich. 4 lange Wochen durfte ich mit den Kindern eine Kur auf einer autofreien, holländischen Nordseeinsel machen. Das würde Marco sehr gut tun, Bianca würde es sicher auch gefallen und ich konnte mir die so dringend benötigte Auszeit nehmen.
Die Kinder und ich konnten es kaum erwarten, bis die Reise los ging. Wir zählten die Tage bis dahin.