Unwissen vom Gewissen

14-017

Ein schlechtes Gewissen  zu haben, heißt, sich unangenehm fühlen, weil man etwas wider besseres Wissen getan hat. Aber welches ist dieses Wissen? Und wer sagt denn, dass ich anders hätte handeln müssen?

Beim Gewissen scheiden sich die Geister – denn das Gewissen ist schwer fassbar, oft unverständlich, es ist selber ein wenig ein scheidender Geist. Für die einen ist es etwas angeborenes, und für die anderen ein Erbstück der „Sozialisation“.

Bei Menschen aus derselben Kultur und mit derselben religiösen Erziehung kann man davon ausgehen, dass alle bei ähnlichen Dingen ein schlechtes Gewissen kriegen: denn sie wissen ja um dieselben Regeln. Aber offensichtlich besteht schon da ein großer Spielraum!

Wenn jemand etwas tut, was in der betreffenden Gesellschaft wirklich Tabu ist, dann gehen alle davon aus, dass diese Person bestimmt ein schlechtes Gewissen hat. Aber offenbar ist auch das nicht immer so. “Der hat kein Gewissen”, behauptet man.

Noch interessanter ist, wenn sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen. War die Erziehung der Menschen verschieden, haben die Leute auch andere Konzepte von Moral und Recht. In der multikulti Gesellschaft (oder Schulklasse) ist das zu beobachten. Die Leute haben tatsächlich bei ganz  gegensätzlichen Dingen ein schlechtes Gewissen!

Es gibt viele Belege dafür, dass das Gewissen „umgepolt“ werden kann. Das geht nicht sehr schnell und es kann zu Rückfällen kommen, aber wenn man ein ganzes Volk gleichzeitig beeinflussen kann, so dürften fünf Jahre reichen. Der deutsche Schriftsteller Erich Kästner hat das in seinem Tagebuch aus den Kriegsjahren (Notabene 45) auf seine wundervoll humoristisch-sarkastische Art dargestellt. Dinge werden tatsächlich irgendwie wahr, wenn alle sie lange genug wiederholen und gegenseitig bestätigen.

Das Gewissen schreit, wenn wir etwas tun, was wir eigentlich für unrichtig halten. Aber da in einer komplizierten Welt es oft nicht ganz klar ist, was “richtig” ist, wird auch das Gewissen nicht zwingend korrekt reagieren. Je mehr Regeln man befolgen möchte, umso mehr Chancen hat das Gewissen, einen vom Schlaf abzuhalten. Und es gibt viele Situationen, in denen man tun kann was man will, man wird immer irgend jemanden vergraulen – und somit ein schlechtes Gewissen haben.

Der einzige Ausweg ist: sich über die persönlichen „Überzeugungen“ klar zu werden. Welche Ideen bestimmen mein Leben? Die Grundsätze, an die wir uns halten, sind oft sehr heterogen: aus der Kindheit vielleicht von den Eltern und der Oma, aus der Schulzeit vom Lieblingslehrer, dann von der besten Freundin/Freund, von einem Filmheld, einer Romanfigur oder von einem anderen großen Vorbild. Aber unglücklicherweise stimmen die Normen von all diesen Leuten keineswegs überein.

Wenn wir diese Überzeugungen benennen können, dann können wir auch entscheiden, ob wir es wirklich noch zu dem “Wissen” zählen wollen, bei dem unser Gewissen anbeißen soll, oder ob wir diese ursprüngliche persönliche Überzeugung aktiv widerlegen wollen. Das Gewissen wird sich dem – etwas Zeit verzögert – anpassen…


Bild: Stadt Kampf / 45cm x 31cm /Mischtechnik, Karton-Collage / auf MDF / 2014, Nr.14-017



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