Unverstehbare Seele?

Erstellt am 30. September 2010 von Fritzinexile

„Umom Rossiju ne ponjat’“ – „Mit dem Verstand kann man Russland nicht verstehen“. So lautet die erste Zeile des gleichnamigen Gedichts Fjodor Iwanowitsch Tjutschews. Ob er damit Recht hat, wage ich weder zu bejahen, noch zu verneinen. Zu abgedroschen klingt die Bezeichnung der „geheimnisvollen russischen Seele“. Zu einfach wäre es, etwas wenig Bekanntes in die hinterste Ecke einer Schublade zu stecken. Zu verlockend ist es selbst für Russen, ihre Heimat als schwer verstehbar und ihr Gemüt als unergründlich zu bezeichnen – eine „geheimnissvolle Seele“ hat ihren Reiz.

Ich werde vermutlich nie eine Antwort darauf finden, wie Russland funktioniert. Was ich aber kann, ist es, einige Äußerungen von Russen und Russinnen, die ich in den letzten Wochen aufgeschnappt habe, hier zu kommunizieren.

„Je länger man in Russland lebt, desto weniger versteht man es.“

„Läuft nichts nach Plan, braucht dich das nicht zu beunruhigen. Irgendwann gibt es sicher ein Wunder.“

„Ein Wunder, das ist in Russland nicht nur ein Wort. Es ist eine Kategorie. So wie Gott.“

„Die russische Seele ist wie eine Matrjoschka. Du glaubst, sie zu verstehen, aber je weiter du sie aufdeckst, desto mehr neue Seiten kommen zum Vorschein.“

„In Russland gibt es keine goldene Mitte.“

„Anstatt zu demonstrieren oder wählen zu gehen, sitzen Russen lieber beim Tee und diskutieren über Puschkin, Tolstoj und die geheimnisvolle russische Seele.“

„In Russland leben nur Optimisten. Denn die Pessimisten, die sind schon längst ausgewandert.“

In jedem dieser Zitate steckt ein bisschen Wahrheit. Wie man sieht, fällt es leicht, sich mit dem Gedanken anzufreunden, undurchschaubar und unverstehbar zu sein. Es mag stimmen. Oder auch nicht.

Ich habe nun jedenfalls noch neun Monate Zeit, darüber nachzudenken, nachzufragen, zu beobachten. Dass ich mich darauf freue, brauche ich nicht zu schreiben. Vielleicht lautet mein Fazit dann ähnlich wie jenes Tjutschews: „W Rossiju moschno tol’ko werit’“ – „An Russland kann man nur glauben“.