Ich bin, wie durchaus bekannt sein dürfte, Mitglied der Piratenpartei und auch wenn ich mich eher als passives Mitglied sehen würde, sammle ich natürlich Argumente für die Piraten bzw. warum man sie den anderen Parteien vorziehen sollte. Dafür gibt es derzeit 111 Gründe, wie man hier nachlesen kann. Ich möchte davon mal einige Aspekt herausgreifen und kommentieren, vielleicht auch für den ein oder anderen Unentschlossenen. Allerdings scheint mir das eh zu spät um ernsthaft jemanden zu überzeugen, und daher habe ich mir auch nicht so viel Mühe gegeben, dies zu tun. Trotzdem sind das hier im ganzen natürlich meine persönlichen Gedanken und nicht notwendigerweise die Meinung der Piratenpartei.
Häufig wird gesagt die Piraten hätten kein Programm, dass haben Sie natürlich wohl und zwar ein sehr schönes, das mit Bildern 166 Seiten lang ist. Länger als die Regierungsprogramme der beiden
großen deutschen Parteien und der anderen Parteien im Bundestag, nur die Grünen haben noch mehr Textseiten.
Insgesamt glaube ich, dass im Gegensatz zu Programmen anderer Parteien das Programm der Piraten formal das widerspiegelt, was es pragmatisch auch nur sein kann: eine Leitlinie und eine grobe Absichtserklärung. Wer in einem demokratischen System behauptet, solch ein Wahlprogramm hätte eine höhere Verlässlichkeit oder Verbindlichkeit als, sagen wir mal, die Wettervorhersage für nächste Woche, ist offenbar noch nicht in der Moderne angekommen. So schnell wie sich Rahmenbedingungen ändern und Sachlagen verschieben können, muss auch eine Politik flexibel genug sein, darauf sachgerecht reagieren zu können und was heute noch eine gute Idee schien kann morgen Bullshit sein. Und die wichtigsten Veränderungen der letzten Jahre (Eurokrise, Energiewende,
Atomausstieg weil Hose voll) fanden sich so wohl kaum in Programmen wieder.
Auch bei den übrigen Parteien sind sie eher als grobe Rahmenbedingungen gedacht, werden aber meist mit konkrete Versprechen angereichert, vor allem in Interviews und Talkshows, wenn auch meist nur in Einzelpunkten. Nach der Wahl aber ist die Enttäuschung dann vorprogrammiert, wenn aus den Wahlversprechen ganz schnell Wahlversprecher werden. Das geht schon bei notwendigen Kompromissen im Parlament los, keine Partei kann ja jemals wirklich ihre kompletten Forderungen durchsetzen, leider selbst dann nicht, wenn Sie tatsächlich gut und richtig wären. *g*
Wenn man sich die Programme der übrigen Parteien unter diesem Blickwinkel anschaut, fällt zunächst mal auf, dass Sie sich in vielen Ansichten ähneln. Insbesondere die Programme der ‘großen Volksparteien’ CDU und SPD sind nicht soweit von einander entfernt, weshalb die wohl auch Probleme haben, richtigen Wahlkampf zu machen. Frau Merkel hat daher ja gleich beschlossen, auf Inhalte komplett zu verzichten, wie man den Postern und Spots entnehmen kann. Aber schauen wir uns doch mal einen konkreten Themenkomplex an.
Beispiel Bildungspolitik
Bildung ist leider selten ein zentrales Wahlkampfthema, weil es Ländersache ist und man mit Bildungspolitik nur verlieren kann. Als Politiker wohlgemerkt, für das Land wäre es schon wichtig, dass da mal was passiert. In den Programmen kommt Bildung immer vor, meist mit tollen Ideen wie “mehr Geld für Bildung” und “Gemeinschaftsschulen”. Muss beides gemacht werden, wird aber nicht und das obwohl viele Parteien sich in den Zielen einig zu sein scheinen: Abschaffung des Kooperationsverbots im Grundgesetz, höhere Bildungsausgaben im Bund (was aber wenig Sinn macht, wenn nicht auch der Bildungsföderalismus angefasst wird und die inhaltliche Verantwortung von der politischen auf die pädagogische Ebene wandert), Ganztagsschule, mehr Geld für Wissenschaft, längeres gemeinsames Lernen. Ansonsten sollen meist nationale oder internationale Standards geschaffen und/oder eingehalten werden. Was da standardisiert ist steht meist nicht dabei. Und letztendlich ist eine standardisierte und messbare Bildung alles aber keine Bildung im eigentlichen Sinn.
Zum Thema Bildung und Forschung sagen die Piraten:
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Keine Patente auf Software, Geschäftsmodelle oder Gensequenzen
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Bekämpfung von wettbewerbswidrigem Patentmissbrauch – Streitwert und Nutzungsbindung von Patenten neu regeln
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Bildung soll nicht nur Ländersache sein – Ablehnung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern
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Wir unterstützen freie und offene Lehr- und Lernmaterialien (OER)
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Gebührenfreie Bildung von der Kita bis zum Studium und darüber hinaus
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Freie Schulwahl wohnortnah und barrierefrei – für Inklusion im Bildungswesen
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Längeres gemeinsames Lernen mit flexiblen Kurssystemen und individuellen Schullaufbahnen ermöglichen
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Mehr Mitbestimmung von Lernenden und Lehrenden in Bildungseinrichtungen
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Weltanschauliche Neutralität im Bildungsbereich fördern
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Gesundheits- und Medienkompetenz fördern
Von den Patentfragen mal abgesehen mag das erstmal umkonkret wirken. Kritiker würden fragen: Wie soll das bezahlt werden oder wie soll das konkret aussehen? Wie fördert man Gesundheits- und Medienkompetenz? Als Bildungswissenschaftler würde ich fragen, wessen Medienkompetenz gefördert werden muss. Sicherlich nicht unbedingt die der Schüler. Oder doch?
Man sieht, es gibt viele Überschneidungen in den Forderungen: Ablehnung des Kooperationsverbots, Längeres gemeinsames Lernen, mehr Mitbestimmung, flexiblere Systeme. Kann man so oder ähnlich auch bei den übrigen Parteien im Programm finden. Optimistisch betrachtet müsste man annehmen, dass es also egal ist, wer morgen die Wahl gewinnt. Diese Ziele sollten alle gemeinsam verfolgen und umsetzen. Aber ich befürchte, das wird so nicht geschehen. Das öffentliche Interesse daran scheint ja auch nicht so wahnsinnig groß, wenn man sich mal erinnert wie lange im Kanzlerduell über Bildungsfragen diskutiert wurde.
Natürlich brauchen wir offene und freie Lernmaterialien. Warum sollte man es vom Geldbeutel abhängig machen, jemand gutes oder schlechtes Lehr- oder Lernmaterial zur Verfügung hat? Und natürlich sollte es langsam digital werden, Lehrbücher, die über Jahre weitergereicht werden, wo ist das denn zeitgemäß? Schon schlimm genug, dass wissenschaftliche Literatur so teuer ist und Unibibliotheken die horrenden Preise zahlen müssen. Mehr Geld in solche Systeme zu versenken scheint in der Tat kontraproduktiv.
Natürlich muss in der selben Logik Bildung kostenlos sein. Aber eben nicht umsonst, wie es heute manchmal den Eindruck macht. Könnte man das auch von den anderen Parteien bekommen? Ja, wenn Sie wollten. Aber in den letzten 12 Jahren in denen ich gewählt habe, wollten die offenbar nicht. Schade.
Die Piraten sind zweifellos eine spezialisierte Partei, ähnlich wie die Grünen oder die FDP, aber genau wie bei den Grünen betrifft unser Spezialgebiet (Die Umwelt bei den Grünen, das Netz bei uns) nicht nur eine Minderheit sondern so ziemlich jeden. Bis das alle geschnallt haben wird’s noch etwas dauern, aber dass die übrigen Parteien diesen Aspekt nicht vermögen abzudecken ist auch klar, auch wenn da jetzt überall Netzpolitiker gekürt werden.
In Anbetracht der eklatanten gesellschaftlichen und medialen Veränderungen, die wir schon sehen und auch denen, die uns noch bevorstehen, scheint mir bei allen anderen Partei der Fokus zu behäbig, die Gewohnheiten zu festgefahren. Möglicherweise stellen wir in zehn Jahren fest, dass alles nur ein Trend war, der sich wieder beruhigt hat und die Aufregung war vollkommen umsonst. Aber die Frage ist doch, was dann noch zu retten ist, wenn das nicht der Fall sein sollte.
Marshall McLuhan hat zu Recht gesagt: “Erst formen wir unsere Werkzeuge und dann formen die Werkzeuge uns.” Das findet nicht nacheinander statt sondern zeitgleich. Während die Werkzeuge von gestern Ihre Wirkung entfalten, schaffen wir die Werkzeuge von morgen. Ich bin erschreckenderweise einer Meinung mit Peer Steinbrück, wenn er sagt, wir brauchen einen Politikwechsel. Die Wahl zwischen der CDU und der SPD, die ihm dabei vorschwebt ist doch aber letztendlich die Wahl zwischen zwei uralten Politikmodellen, die schon x-mal gepatcht wurden. Da ist nichts Neues dran. Wer etwas Neues will muss sich woanders umschauen. Alles klargemacht zum Ändern?
Ich habe meine Entscheidung schon per Briefwahl getroffen und rate jedem dazu, es mir zumindest insoweit gleich zu tun, dass man sich eine Meinung bildet und tatsächlich Wählen geht. Wen oder welche Partei bleibt in unserem System jedem zum Glück selbst überlassen, die einzige Ausnahme bildet imho die AFD, denn die haben wirklich ein mächtiges Ei am wandern und jede Stimme für diesen Altherrenclub mit Finanzberatern empfinde ich als kollektive Beleidigung der Intelligenz deutscher Mitbürger. Ich sag’s ungern, aber dann lieber FDP. Die Teilnahme am demokratischen Prozess jedoch (der sich ja nicht auf die Wahlen beschränkt, aber eben dort beginnt) sollte als Pflicht verstanden werden. Und wer auch nach der Wahl noch mitreden können möchte, scheint mir bei den Piraten gut aufgehoben. *g*