Mal Hand auf´s Herz: könnt Ihr Euch unter dem Begriff "Säumer" etwas vorstellen? Ich bin diesem Wort zum ersten Mal während unserer Wanderung auf der Via Spluga begegnet. Denn die Via Spluga ist, wie die Via Valtellina, ein historischer Saumpfad, auf dem sogenannte Säumer mit ihren Tieren Waren über die Alpen transportiert haben. Die Via Spluga haben meine Frau und ich alleine erwandert und es bedurfte danaks einiger Vorstellungskraft, welch Mühe diese Arbeit gemacht haben muss. Im Juli hatte ich nun aber das Glück, waschechte Säumer auf der Via Valtellina begleiten zu dürfen. Von Klosters aus zogen wir mit Tragtieren über den beeindruckenden Scalettapass und durch das wunderschöne Val Poschiavo hindurch bis ins italiensche Tirano.
Säumer - ein fast vergessener Beruf
Wenn ich den Begriff "Säumer" erwähne, schaue ich bei uns in Deutschland also zumeist in fragende Augen. Denn dieser jahrhunderte alte Beruf ist hierzulande weitestgehend unbekannt. Logisch, da die Säumerei vornehmlich in Österreich oder eben in der Schweiz ausgeübt wurde. So wurden auf der Via Valtellina bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein Waren von Säumern und ihren Tieren transportiert. Von Süd nach Nord waren das vor allen Dingen der vorzügliche Veltliner Wein sowie Meersalz aus Venedig. In entgegengesetzter Richtung waren es Salz aus Tirol, Vieh und Getreide. Mit dem fortschreitenden Ausbau der Alpenpässe und dem Aufkommen anderer Transportmöglichkeiten geriet das Säumer-Handwerk zunehmend in Vergessenheit. Das Tragtierwesen spielt seitdem eigentlich nur noch beim Militär eine kleine, aber immerhin noch vorhandene Rolle.
Dem möchten der Förderverein Sbrinz-Route und die Säumer & Train Vereinigung Unterwalden entgegenwirken. So wird seit geraumer Zeit Säumertrekking auf historischen Routen angeboten. An diesem kann man, auch ohne Maultier, Pferd oder Esel, als Wanderer teilnehmen. Organisiert werden diese Touren von Daniel Flühler, Life & Business Coach und Unternehmensberater. Am Vortag der Säumerwanderung durfte ich ihn kennenlernen. Seine ohnehin schon strahlend blauen Augen leuchten noch heller, als er über seine Leidenschaft spricht.
Faszination Säumertrekking
Denn Daniel ist einer von jenen bewundernswerten Leuten, die für ihre Passion brennen. Viele seiner Gäste, zumeist aus der Schweiz aber auch aus Deutschland und Österreich, sind "Wiederholungstäter" und gehen immer wieder auf den drei verschiedenen Routen mit, die Daniel anbietet. Diese sind oft schon Monate im Voraus ausgebucht. Ich frage mich also, worin die Faszination des Säumertrekkings besteht und stehe gespannt am Parkplatz "Alte Eisbahn" in Klosters. Hier wird gleich die 5-tägige Erlebnis-Wanderung mit einem Umzug durch die Stadt eingeläutet.
Die Tragtiere werden gesattelt und mit ihren Lasten, dem "Saum" wie man früher sagte, beladen. Und dann zieht der Tross vor vielen Zuschauern durch die Prättigauer Gemeinde. Schon jetzt spüre ich, dass das mit ein ganz besonderes Erlebnis bevorsteht. Überall wird gestaunt und fotografiert. Ist es die Sehnsucht nach der "guten alten Zeit", nach dem ursprünglichen Umgang mit Tier und Natur, die alle Mitwirkenden und Zuschauer träumen lässt? Wir ziehen zum Heimatmuseum Nutli-Hüschi. Eine perfekte Kulisse für die historischen Säumertrachten, noch dazu von Alphornklängen begleitet. Auch ich gerate frühestens jetzt ins Schwärmen.
Via Valtellina - das Abenteuer beginnt!
Dabei startet die eigentliche Säumerwanderung ja erst am nächsten Tag. Im Vier-Sterne Hotel Piz Buin in Klosters habe ich gut geschlafen und gespeist. Ein wenig Kräfte sammeln war mir wichtig, denn die nächsten Tage werden auch körperlich anspruchsvoll. Und auch den Komfort des Hotels habe ich nochmal genossen. Denn ab jetzt werden wir etwas einfacher übernachten. Richtig ursprünglich geht es dann allerdings bei den Säumern zu. Sie werden teilweise bei ihren Tieren schlafen. Für die Tiere gibt es beim Aufbruch in Klosters noch ein paar "Rübli" und dann ziehen wir los. Vorne die Säumer mit den Tragtieren, dahinter die ca. 30 Wanderer, zu denen nun auch ich gehöre.
"Revision" höre ich Daniel kurz hinter Klosters rufen. Ein Kommando, das wir neben Daniels herzhaftem Jodler in den nächsten Tagen öfter hören werde. Die Säumerkolonne hält an und die Befestigung der Lasten wird überprüft. "Das ist wichtig, da auf den 30 Minuten nach Aufbruch oft etwas verrutscht und korrigiert werden muss" erklärt mir Daniel. Die Säumer kümmern sich liebevoll um ihre Tiere. Kein Wunder, denn auf der uns bevorstehenden anstrengenden Wegstrecke muss das Team "Mensch - Tier" funktionieren. Das tut es von Beginn an, obwohl uns das Wetter nicht direkt verwöhnt. Bei leichtem Regen wandern wir über Wolfgangpass hinauf nach Davos.
Durch das Dischmatal zum Scalettapass
Am ersten Tag ist Dürrboden unser Ziel. Von Davos aus folgen wir den Säumern durch das wunderschöne Dischmatal. Die Landschaft wird karger und noch eine Spur alpiner. Die Alpenrosen lockern als bunte Farbtupfer den grün-grauen Grundton auf. Leider nimmt auch der Regen zu und so sind wir froh, die Wisenalp zu erreichen. Hier wird zum Apéro bei Alphornklängen geladen. Apéro - auch so ein Begriff, den wir in Deutschland nur selten verwenden. In Frankreich, Luxemburg oder eben in der Schweiz ist der Apéro aber ein gesellschaftlicher Brauch, bei dem neben Getränken auch ein paar kleine Speisen gereicht werden. Und natürlich geht es vor allem um Plausch und Gedankenaustausch. Die Wisenalp ist hierfür ein toller Gastgeber.
Danach wandern wir noch bis Dürrboden. 25 Kilometer und über 1000 Höhenmeter liegen an diesem ersten Tag hinter uns. Wahrlich kein Zuckerschlecken aber jeder Meter war es wert. Nach der Übernachtung im Kesslers Kulm Hotel brechen wir dann um 08:00 Uhr morgens wieder in Dürrboden auf. Die Tiere werden auf den langen Tag vorbereitet und schon wandern wir wieder steil bergauf. Aufgereiht wie Perlen auf einer Kette schlängelt sich der Tross durch die herrliche Gebirgslandschaft. Kaiserwetter! Aber hier wird es mir zum ersten Mal so richtig bewusst: die Arbeit der Säumer war in früheren Zeiten ein echter Knochenjob. Nicht immer schien die Sonne und hier oben war man den Unbillen des Wetters ungeschützt ausgesetzt. Was für uns ein schöner Zeitvertreib ist, hat damals gewiss auch Menschen und Tieren das Leben gekostet. Der Scalettapass liegt auf einer Höhe von 2606 Metern und wir erreichen ihn bei bester Laune.
Herausforderungen für Mensch und Tier
Vom Scalettapass führt die Via Valtellina hinunter zur Alp Funtauna. Doch plötzlich entsteht Unruhe im Säumertross. Denn hier oben gibt es noch einige kleinere Schneefelder und die sind für Mensch und Tier eine besondere Herausforderung. Absolute Konzentration ist gefragt. Mitwanderer berichten mir von notwendigen Rettungsaktionen bei ähnlichen Touren. Auch heute sinken zwar einige der Tragtiere tief in den Schnee ein, dank des Geschicks der Säumer geht aber alles gut. Wohlbehalten gelangen wir hinunter in das Funtaunatal. An der Alp lassen wir uns die von der Säumervereinigung zubereiteten Älplermagronen (Makkaroni mit Apfelmus) schmecken.
Das Hochtal der Ova Funtauna hat es mir besonders angetan. Das quirlige Bächlein fließt zwischen gigantischen Bergriesen hindurch. Wir sind auf knapp 2200 Meter Höhe und die Berge um uns herum überschreiten locker die 3000er Marke. Viel zu schnell ist die Mittagspause vorbei. Daniels Jodler ertönt und ich muss mich von dieser herrlichen Kulisse verabschieden. Die Via Valtellina führt uns hinunter nach S-chanf und zum Ende des Tages nach Zuoz. In den Orten stehen die Zuschauer Spalier und klatschen. Auch in früheren Zeiten hat man die Säumer meist freudig begrüßt. Konnte man von ihnen doch Neuigkeiten aus den Gemeinden der Umgebung erfahren. Vorm Hotel Klarer in Zuoz werden wir zum Apéro geladen. Hier übernachte ich in einem urigen Gästezimmer unterm Dach. Ich spüre die Kilometer und Höhenmeter des Tages in den Knochen und bin froh, die Beine ausstrecken zu können.
Vom Inn zum Morteratsch Gletscher
Aber zum Ausgleich folgt nun ja eine "Flachetappe". Und die beginnt mit einer kleinen Auffrischung meiner Erdkundekenntnisse. Denn mir war gar nicht bewusst, dass der Inn, an dem wir heute entlang wandern, im Oberengadin entspringt. Bis hier, in der Nähe von St. Moritz, wird der Inn auch Sela genannt und vereinigt sich nahe des Wintersport-Eldorados mit dem Flaz. In Passau, wo der Inn viele Kilometer später in die Donau mündet, war ich ja in diesem Jahr schon zu Beginn unserer Radtour auf dem Donauradweg. Wie sich doch so mancher Kreis schließt! St. Moritz lassen wir rechts liegen und gelangen am Flaz entlang nach Pontresina. Volksfeststimmung! Es gibt Bier vom Fass und die Straßen sind erneut von Zuschauern gesäumt.
Am Gletscher-Hotel Morteratsch angekommen nimmt mich mal wieder eine fabelhafte Bergkulisse ein. In der Ferne ist nämlich der gleichnamige Gletscher zu sehen. Gerne wäre ich diesem ein Stück entgegen gewandert, aber nach 26 Kilometern, auch wenn sie relativ flach waren, tut eine Dusche doch auch gut. Ein Jodlerchor, dessen Klänge uns zuvor schon in Samedan erfreut hatten, gibt dem Abendessen den musikalischen Rahmen. Und sicherlich werde ich auch in dieser Nacht wieder gut schlafen.
Vorfreude auf das Valposchiavo
Am nächsten Morgen wache ich voller Vorfreude auf. Denn ein Teil der Strecke, von der Alp Grüm bis hinunter ins liebliche "Val Poschiavo", kenne ich schon von einer meiner früheren Schweiz-Reisen. Noch sehr gut kann ich mich an die Aussicht von der Alp Grüm auf den Piz Palü und den Besuch des Gletschergartens Cavaglia erinnern. Aber heute muss die Säumergemeinschaft zuerst einmal den Berninapass überwinden. Den kenne ich bislang nur aus dem Zugfenster heraus. Wie stellt man sich als Deutscher die Schweiz vor? Schroffe, schneebedeckte Berggipfel, satte grüne Wiesen, gemütlich weidende Kühe, ein kristallklarer Bergsee, ein niedlicher Zug fährt durch die malerische Landschaft? Dieses oft bemühte Klischee wird hier am Berninapass vollends erfüllt. Noch dazu habe ich das Glück, dieses Bild mit den Säumern und ihren Tieren komplettieren zu können.
Nach einer ausgiebigen Pause am Ospizio Bernina, bei der Mensch und Tier ausreichend Flüssigkeit zugeführt haben, geht es dann weiter Richtung Alp Grüm. Was für ein gigantischer Ausblick auf den weltberühmten Piz Palü! Wir wandern weiter ins Tal hinunter, legen am Bahnhof Cavaglia eine neuerliche Apéro-Pause ein und spazieren an den Gletschergärten vorbei. Ich nehme mir kurz die Zeit, in eine der von Gletschern ausgewaschenen Schluchten am Wegesrand zu schauen. Poschiavo wartet - und hier fühlt man sich schon wie in Italien. Eine Kinder-Trachtengruppe empfängt uns am Marktplatz, die Säumer geben die Kulisse für die Tanzdarbietungen. Für mich ist ein Zimmer im Croce Bianca reserviert. Ein kleines feines Hotel mit ausgezeichneter Küche, welches eigentlich nicht im Säumerprogramm steht. Ich möchte es hier aber trotzdem erwähnen, weil es mir dort ausgesprochen gut gefallen hat!
Vom "Schweizer Italien" nach "Bella Italia"!
Der fünfte Tag der Säumerwanderung. Das Koffer- und Rucksackpacken ist inzwischen zur Routine geworden. Die Koffer werden übrigens von der Säumervereinigung im Kfz transportiert. Morgens abgeben und am Abend stehen sie im nächsten Hotel. Sehr praktisch, so hat man beim Wandern nur den Tagesrucksack dabei. Die letzte Etappe verläuft zu Beginn nicht auf der orginal Wegführung der Via Valtellina sondern am Lago di Poschiavo entlang. Das spart uns einige Höhenmeter, und ist trotzdem landschaftlich reizvoll. Kurz vor Brusio, der Stadt mit dem weltberühmten Kreisviadukt, gelangen wir dann aber wieder auf die Originalroute. Und in Brusio ist auch wieder einmal ein Apéro angesagt. Die Getränke und auch kleinere Snacks werden bei diesen Pausen zum großen Teil von lokalen Sponsoren finanziert. Dankeschön!
Nachdem wir uns schon die ganze Zeit wie in Italien fühlten, überschreiten wir nun tatsächlich die Grenze. Einen Schlagbaum sucht man hier vergebens. Und den unscheinbare Grenzstein im Wald kann man tatsächlich leicht übersehen. Dann ist es soweit: wir erreichen Tirano! Die Tragtiere werden am Ortseingang nochmal getränkt und hübsch gemacht. Und dann marschieren wir mit großem Stolz auf die erbrachte Leistung in den Ort. 122 Kilometer und 2830 Höhenmeter bergauf habe ich in diesen 5 Tagen getrackt! Noch mehr als meine eigene und die Leistung der Mitwanderer, bewundere ich aber die der Säumer. Denn die mussten sich ja nicht nur um ihr eigenes Wohlergehen, sondern auch um das der Tiere kümmern. So haben sie den Applaus der wieder einmal zahlreichen Zuschauer absolut verdient.
Angekommen, wo der Wein herkommt
Aber es gibt für die Säumer nicht nur weltlichen Applaus. Am Kloster Madonna die Tirano werden wir von kirchlicher Seite ebenso gebührend empfangen. Ach ja, wir sind jetzt ja auch dort, wo der Veltliner Wein herkommt. Folgerichtig findet der Abschlussabend im imposanten Weingut "La Gatta Valtellina" statt. La Gatta ist über 500 Jahre alt und hat in seiner Geschichte schon einige Besucher gesehen. Ursprünglich ist es ein Kloster des Dominikanerordens gewesen. Heute gehört es einer Winzerfamilie aus dem Valposchiavo. Hier genießen wir einen wunderbaren Ausblick auf die Weinberge des Veltlins und die regionale Küche. Und natürlich den einen oder anderen edlen Tropfen, von dem auch jeder Säumer und jeder Mitwanderer ein Fläschchen als Andenken überreicht bekommt.
Die Tage mit den Säumern sind wie im Fluge vergangen. Mit dem Bernina-Express geht es zurück. Es geht vorbei an all den schönen Erinnerungen und Erlebnissen. Sind wir nicht gerade noch dort entlang gewandert? Die Via Valtellina ist ein wunderschöner Weitwanderweg. Aber durch die Säumer, mit ihren Eseln, Mulis und Pferden und durch all die liebenswerten Menschen, die mit mir den Weg geteilt haben, wurde die Via Valtellina für mich zu einem eindrucksvollen Wanderabenteuer. Die Faszination für das Säumertrekking kann ich nun absolut nachvollziehen. Und wer weiß, vielleicht bin ja auch ich eines Tages wieder mit dabei!
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*Zm Säumertrekking wurde ich von den Destinationen Davos Klosters eingeladen. Dafür meinen allerherzlichsten Dank! Diese Kooperation hat meine Berichterstattung jedoch in keinster Weise beeinflusst und ich gebe hier ausschließlich und ehrlich meine persönlichen Eindrücke wieder. Transparenz und Offenheit sind mein Credo und somit Verpflichtung bei allem, was ich schreibe, dazu habe ich mich durch das Unterzeichnen des Outdoor Blogger Codex verpflichtet.