23.1.2012 – Dass die Partei DIE LINKE durch den Verfassungsschutz beobachtet wird, ist nichts Neues. Neu ist allerdings das konkrete Ausmaß der Überwachung, über das der „Spiegel“ am Wochenende berichtet hat. Demnach stehen alleine 27 der 76 Mitglieder der linken Bundestagsfraktion und elf weitere Fraktionsmitglieder verschiedener Landtage unter Beobachtung durch den Geheimdienst.
Jährlich rund 390.000 Euro lässt sich der Staat diese Überwachung kosten. Im Vergleich: Die Beobachtung der NPD schlägt mit gerade einmal 590.000 Euro zu Buche.
Der Verfassungsschutz ist „ballaballa“
Sieben Mitarbeiter beim Bundesverfassungsschutz sind nach einer Aufstellung des Bundesinnenministeriums vom 4. Januar 2012 damit beschäftigt, die Partei DIE LINKE zu beobachten. Die jährlichen Kosten für diesen Personaleinsatz liegen bei rund 390.000 Euro.
Nach einem Bericht des „Spiegel“ stehen alleine von den 76 Mitgliedern der linken Bundestagsfraktion 27 Abgeordnete unter geheimdienstlicher Beobachtung. Hierzu zählen unter anderem Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Jan Korte, Dagmar Enkelmann, Gesine Lötzsch, Halina Wawzyniak, Petra Pau und Katja Kipping.
Besonders kritisch in diesem Zusammenhang: Auch der Abgeordnete Steffen Bockhahn steht unter Beobachtung, obwohl er Mitglied im Vertrauensgremium des Bundestages ist, das die Haushalte der Geheimdienste kontrolliert. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages ist Ende Dezember 2011 zu dem Schluss gekommen, dass „nur ganz außergewöhnliche Umstände“ die Beobachtung eines Mitglieds des Vertrauensgremiums rechtfertigen können.
Die ersten Reaktionen linker Politiker auf das tatsächliche Ausmaß der geheimdienstlichen Beobachtung lassen berechtigte Empörung erkennen. Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung äußerte sich der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi:
„Die Parlamentarier sind dafür da, den Inlandsgeheimdienst zu kontrollieren. Es ist eine Unverschämtheit, dass dieser meint, mehr als ein Drittel der Abgeordneten der Linksfraktion überwachen zu dürfen. Nunmehr stellt sich endgültig heraus, dass der Verfassungsschutz ballaballa ist.“
Parteichef Klaus Ernst fordert ein parlamentarisches Nachspiel und sagte:
„Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Der Inlandsgeheimdienst stellt die Verhältnisse auf den Kopf“
Der Abgeordneten Jan Korte, Mitglied im Innenausschuss des Bundestages, sieht in der Spitzelei einen undemokratischen Akt und eine Frechheit gegenüber seinen Wählerinnen und Wählern.
In einer offiziellen Erklärung des Linken-Parteivorstandes vom Sonntag heißt es hierzu unter anderem:
„Die weitere Bespitzelung von Abgeordneten der LINKEN steht in der Tradition von Berufsverboten und unterminiert die Werte der parlamentarischen Demokratie. Ein Gipfel ist erreicht, wenn der Verfassungsschutz Linke bespitzelt, parlamentarische Immunität von linken Abgeordneten aufgehoben und gleichzeitig Rechtsterrorismus verharmlost und finanziert wird.“
Bodo Ramelow, Vorsitzender der Linksfraktion im Thüringer Landtag und selber unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz stehend, hat beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die fortgesetzte Beobachtung seiner Person gestellt. Er hält den jetzt bekannt gewordenen Umfang der Beobachtung für eine Verharmlosung, da bereits im Jahr 2006 auf Anfrage mitgeteilt wurde, dass alle Bundestagsabgeordneten der Linkspartei durch den Verfassungsschutz erfasst seien.
Öffentlicher Protest ändert nichts
Auch Mitglieder anderer Fraktionen reagierten kritisch auf die Beobachtungspraxis des Verfassungsschutzes gegenüber der Linkspartei. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, sagte:
„Es stellt sich schon die Frage nach Sinn und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Disproportional wirken die Maßnahmen zudem, wenn man sie vom Aufwand her mit den Maßnahmen gegen die NPD vergleicht.“
Mit der disproportionalen Wirkung spielt Beck darauf an, dass die Aktivitäten der NPD in Deutschland von zehn Mitarbeitern des Verfassungsschutzes beobachtet werden, während das Ausmaß der Beobachtung der Linkspartei mit sieben Verfassungsschützern nicht weit darunter liegt.
Ralf Stegner, SPD-Vorstandsmitglied und SPD-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein fordert, die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz einzustellen. Gegenüber der „taz“ sagte Stegner:
„Wenn es keinen Anlass für eine derartige Überwachung gibt, muss diese Praxis beendet werden . Abgeordnete des Deutschen Bundestages derart systematisch zu überwachen ist nicht nachvollziehbar. Die Gefahr in Deutschland kommt von rechts, nicht von links.“
Auf Seiten der Regierung und der Union sehen die Reaktionen deutlich anders aus. Auf die Forderung des Linken-Fraktionsvizes Dietmar Bartsch an die Bundeskanzlerin, für ein Ende der Beobachtung zu sorgen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit:
„Der gesetzliche Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz entzieht sich dem persönlichen Zugriff durch die Bundeskanzlerin“.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte heute in Berlin:
„Nur weil es öffentlichen Protest gibt, kann das nichts an der Notwendigkeit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz ändern“.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe äußerte gegenüber der Zeitung „Die Welt“:
„Wer den Systemwechsel in Deutschland fordert, über Wege zum Kommunismus schwadroniert und sich mit Diktatoren solidarisiert, darf sich nicht wundern, wenn er vom Verfassungsschutz beobachtet wird“.
Übertriebene Aufregung
Für den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, sind die Reaktionen der Linken „künstlich und übertrieben“. Fromm führte an, dass es den Betroffenen seit Jahren klar gewesen sei, dass sie beobachtet würden. Wörtlich sagte er:
„Das ist wahrlich keine Neuigkeit“.
Der Auffassung von Heinz Fromm widerspricht allerdings die bisherige Weigerung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Namen der elf beobachteten Landtagsmitglieder bekannt zu geben. Eine Veröffentlichung würde „den operativen Zielen der Beobachtung“ zuwiderlaufen.
Andererseits betonen die Verfassungsschützer, dass die linken Abgeordneten nicht „überwacht“ sondern ohne den Einsatz „nachrichtendienstlicher Mittel“ lediglich „beobachtet“ würden. Dies bezöge sich auf die Auswertung der öffentlich zugänglichen Quellen, wie Zeitungen oder Redemanuskripte.
Beschränkt sich die Aktivität des Verfassungsschutzes tatsächlich hierauf, dann stellt sich die Frage, welchen „operativen Zielen“ eine Bekanntgabe der Namen der Betroffenen zuwiderlaufen könnte.
Eine Betrachtung der offiziellen Aufgaben des Verfassungsschutzes im Innern scheint in jedem Fall nicht dafür zu sprechen, dass eine Beobachtung von Abgeordneten der Linkspartei verhältnismäßig und richtig ist. Im dritten Paragraphen des Bundesverfassungsschutzgesetzes heißt es hierzu:
„Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben.“
Kriminalisierung einer Partei
Richtet sich das Programm der Linkspartei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung? Gefährdet die Arbeit der Partei die Sicherheit des Bundes oder einzelner Länder? Beeinträchtigt DIE LINKE die Amtsführung der Verfassungsorgane im Bund oder in den Ländern?
Beantwortet man diese Fragen mit „nein“, dann lässt sich die Berechtigung einer fortgesetzten Beobachtung der Linkspartei nicht aufrechterhalten. Gelangt man jedoch zu der Auffassung, dass es sich bei dem Bemühen um politische und gesellschaftliche Veränderungen bereits um einen Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung handelt, dann müssten in der Konsequenz fast alle Abgeordneten sämtlicher Parteien im Bund und in den Ländern unter Beobachtung fallen. Allen voran übrigens die Parlamentarier der CSU, die regelmäßig mit Forderungen auffallen, die sich oft nur schwerlich mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundgesetz in Einklang bringen lassen.
Die derzeitige Praxis erweckt eher den Eindruck, als solle eine demokratisch legitimierte Partei, deren Grundsätze in deutlicher Opposition zum Regierungskurs und zu vielen Auffassungen der anderen Parteien stehen, öffentlich kriminalisiert werden.