Es geht nicht um Sex oder Liebe. Addie möchte nachts einfach nicht mehr allein sein. Denn dann ist sie am einsamsten. Die 70-jährige Witwe ihrem Nachbarn Louis, der ebenfalls allein lebt, vor, bei ihr zu übernachten. Sie sehnt sich nach Geborgenheit. Er willigt nach kurzem Überlegen ein. Anfangs schleicht er noch nachts zu ihr durch die Hintertür und verlässt das Haus im frühen Morgengrauen. Später zeigen Addie und Louis offen ihre Beziehung in Holt, einer Kleinstadt in Colorado.
Die Gerüchte lassen natürlich nicht lange auf sich warten. Unerhört, dass zwei so alte, einsame Menschen Zeit miteinander verbringen. Noch lassen sie sich wenig vom Gerede ihrer Mitmenschen beeindrucken. Erst als Addis Sohn sich einschaltet, ändert sich die Situation.
Kent Harufs Roman Unsere Seelen bei Nacht erinnert daran, dass ein Neuanfang in jedem Alter möglich ist, und jeder ein Recht darauf hat, sein Leben selbst zu bestimmen. Harufs Sprache ist dabei sehr schlicht und zurückhaltend; starke Emotionen oder dramatische Einbrüche gibt es nicht. Es wird nur das gesagt, was auch wirklich gesagt werden muss. Doch diese wenige Worte klingen noch lange nach.
Dem Autor entgeht keine Handlung seiner Protagonisten. Sein Einfühlungsvermögen und Verständnis zeigt deutlich, dass er seine Figuren mag. Die Geschichte belebt er vor allem mithilfe von Dialogen und stellt so Addie und Louis in den Vordergrund.
Die überraschende Wendung erzählt Haruf so nüchtern, dass sie umso mehr berührt und traurig stimmt. Das Schicksal beider Figuren lässt einen nicht so schnell los. Unsere Seelen bei Nacht ist ein kleines, leises Buch, das voller kluger Gedanken über das Leben und Glück steckt.
Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht. Aus dem Amerikanischen von pociao. Diogenes. 208 Seiten. 20 Euro.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.