Unsere Hausschweine stammen NICHT aus dem Vorderen Orient

Vor einem Monat titelten wir: Unsere Hausrinder stammen nicht aus dem Vorderen Orient (1). Inzwischen ist eine vergleichbare Studie zur Herkunft der europäischen Hausschweine erschienen, die nun die Überschrift erlaubt: Unsere Hausrinder und Hausschweine stammen nicht aus dem Vorderen Orient. Denn schon die Hausschweine der ersten Bauernkultur Europas, der Bandkeramiker stammten nur 50 % aus Anatolien (2). Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit daran, daß Hausschweine bis in 19. Jahrhundert hinein über die sogenannte "Eichelmast" (3) gehalten wurden. Bis dahin hatte jedes Dorf nicht nur einen Pferdehirten, einen Kuhhirten und einen Schafhirten, sondern eben auch eine Schweinehirten. Die Schweine wurden über weite Teile des Jahres gar nicht im Stall gehalten, sondern draußen in der Nähe des Waldes (3):

"Die Eichelmast trug auch dazu bei, daß das Hausschwein lange Zeit dem Wildschwein glich, da die Sauen sehr häufig durch Keiler gedeckt wurden."

Und aus der neuen Studie darf geschlossen werden, daß diese Vermischung von Haus- und Wildschweinen in Europa schon in den ersten Balkan-neolithischen Kulturen begann und in der Mittleren Bronzezeit weitgehend abgeschlossen war. So daß das Schwein zwar ursprünglich im Vorderen Orient domestiziert wurde und die Genetik der nahöstlichen Hausschweine anfangs auch sehr stark diejenige der europäischen Hausschweine beeinflußte, heute aber kaum noch eine Rolle spielt (2):

"Die ersten domestizierten Schweinen, die aus dem Nahen Osten eingeführt wurden, waren beträchtlich kleiner als die europäischen Wildschweine."
"The first domestic pigs introduced from the Near East were substantially smaller than European wild boars."

So die neue Studie. Ihr Ziel (2):

"Wir charakterisieren das Ausmaß, die Geschwindigkeit und den Mechanismus, durch den (in Europa eingeführte) Schweine die Herkunft europäischer Wildschweine annahmen."
"Here we (...) characterized the extent, speed, and mechanisms by which" (introduced) "pigs acquired European wild boars ancestry."

Hierzu wurden 1.318 archäologisch gewonnene Schweineknochen untersucht, 262 von Wildschweinen, 592 von Hausschweinen, 464 mit unbekannter Zuordnung. Von ihnen gilt (2):

"Am frühesten tritt der mitochondriale nahöstliche Hausschwein-Haplotyp Y1 in unserem kontinentaleuropäischen Sammlung 6.000 v. Ztr. in neolithischen Hausschweinen im heutigen Bulgarien auf, am spätesten in einem neolithischen Kontext 3.100 v. Ztr. in einem polnischen Exemplar."

"The first appearance of the" Near Eastern "mt-Y1 haplotype in our continental European dataset was ∼ 8,000 y ago in Neolithic Bulgarian pigs (Kovacevo: Kov18, Kov21), and its terminal appearance in a Neolithic context was ∼ 5,100 y ago in a Polish sample (AA134, _ Zegotki 2)."

Bei letzterem dürfte es sich um ein Hausschwein der Kugelamphorenkultur gehandelt haben. In der Zeit danach findet sich nahöstliche mitochondriale Signatur nur selten und punktuell in Hausschweinen um 2.000 v. Ztr. im südwestlichen Griechenland, sowie in Sardinien und um 1200 n. Ztr. in Neapel, Korsika und in der Toskana.

Heutige europäische Hausschweine haben dann nur noch 4 % nahöstliche Hausschwein-Genetik in sich und auch diese findet sich ebenfalls vornehmlich in südeuropäischen Hausschwein-Rassen. Weiter (2):

"Zwei frühneolithische Schweine aus Herxheim, Deutschland (5.100 v. Ztr.) besaßen 54 % und 9 % nachöstliche Herkunft; ein domestiziertes Schwein von la Baume d'Oulen (5.100 v. Ztr.) besaß 15 % davon; ein spätneolithisches Schwein von Durrington Walls in Großbritannien (Großsiedlung in der Nähe von Stonehenge) (2.500 v. Ztr.) besaß nur 5 %.
"2 early Neolithic samples from Herxheim, Germany (∼7,100 y BP: KD033, KD037) possessed ∼54% and ∼9% Near Eastern ancestry, respectively; a domestic pig from la Baume d'Oulen, France (∼7,100 y BP: AA288) possessed 15%; a Late Neolithic sample from Durrington Walls in Britain (∼4,500 y BP: VEM185) possessed ∼10%; and a 1,000-y-old Viking Age sample from the Faroe Islands (AA451) possessed only 5%."

Also schon die Hausschweine der Bandkeramik in Südhessen (Herxheim) um 5.100 v. Ztr. hatten zur Hälfte bis 90 % einheimische europäische Wildschwein-Genetik. Und in der Bronzezeit war der Anteil der nahöstlichen Genetik schon auf den heutigen Anteil zurückgegangen bei den europäischen Hausschweinen.

Bei dieser Gelegenheit fällt einem ein, daß es so manche schöne tönerene Hausschweine-Darstellung in der bandkeramischen Kultur gibt, die zeigt, daß Liebe und Zuneigung zu Hausschweinen Bestandteil des kulturellen Selbstverständnisses dieses ersten Bauernvolkes Europas gewesen sein kann (Abb. 1) (4, 5). Interessant ist außerdem die Angabe für La Baume d'Oulen um 5.100 v. Ztr.. Das ist eine Höhle im Rhonetal in Südfrankreich (6), wo es ebenfalls um 5.100 v. Ztr. nur 15 % anatolische Hausschwein-Genetik gab. Weitere Untersuchungen in geringerer Sequenzierungs-Auflösung ergaben (2)

"acht domestizierte Schweine, die den nahöstlichen Wildscheinen und neolitischen domestizierten Schweinen des Nahen Ostens näher standen. ....
"8 domestic pigs that are closer to Near Eastern wild boars and ancient Near Eastern domestic pigs. In all, this group comprised Neolithic pigs from contexts dating from 7,650 to 6,100 y BP, including the following: Madzhari, Northern Macedonia (∼7,650 y BP: BLT022, BLT023); Herxheim, Germany (7,100 y BP: KD033, KD032); Magura, Romania (7,100 y BP: BLT010); Plocnik, Serbia (∼6,650 y BP: AA212); Vinca Belo Brdo, Serbia (∼6,500 y BP: BLT014); and Cascioarele, Romania (∼6,000 y BP: AA072). Interestingly, 7 of these samples also possessed the Near Eastern mt-Y1 haplogroup."

Aber eine spätere, zweite Gruppe von sequenzierten Schweineknochen stand den europäischen Wildschweinen näher (2):

"Die zweite Gruppe von archäologischen europäischen Schweineknochen stand den wilden und modernen domestizierten europäischen Schweinen näher und schloß in sich ein Schweineknochen, die meistens in der Zeitstellung jünger sind als die der ersten Gruppe. ....
"The second group of ancient European samples was closer to wild and modern domestic pigs from Europe and included samples that are mostly younger in age than the first group. This second group consisted of 18 domestic samples from overall more recent archaeological sites dating from 7,100 to 900 y BP, including the following: Herxheim, Germany (7,100 y BP: KD037); Oulens, France (∼7,100 y BP: AA288); Bozdia, Poland (∼6,700 y BP: AA346; ∼900 y BP: AA343, AA341); Durrington Walls, England (∼4,500 y BP: VEM183, VEM184, VEM185); Utrecht, The Netherlands (∼2,300 y BP: KD025; ∼700 y BP: KD024); Basel, Switzerland (∼2,000 y BP: AA266); Coppergate, England (∼1,800 y BP: AA301); Undir Junkariusfløtti, Faroe Islands (∼1,000 y BP: AA451, AA411, AA414, AA418, AA440); and Ciechrz, Poland (∼900 y BP: AA139). (...) All of these samples possessed a European mtDNA signature."

Und daraus ist dann zu schlußfolgern: So wie schon die ersten neolithischen Kulturen auf dem Balkan einheimische europäische Hausrinder nutzten, so hatten sie auch schon - wenigstens zum Teil - einheimische, europäische Hausschweine. Diese Hausschweine konnten in den balkan-neolithischen Kulturen, in der ersten neolithischen Kultur Südfrankreichs und in der Bandkeramik noch zu über die Hälfte anatolisch-neolithischer Herkunft sein. Aber in der Zeit danach ging dieser anatolisch-neolithische Herkunftsanteil innerhalb Europas stetig zurück bis er in der Mittleren Bronzezeit um 2.000 v. Ztr. in Europa nur noch verschwindende und immer geringere Rolle spielte.

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  1. Bading, Ingo: Unsere Kühe - Sie waren schon immer bei uns einheimisch - Sie stammen NICHT (!) aus dem Vorderen Orient, 18. Juli 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/07/unsere-kuhe-schon-immer-waren-sie-bei.html
  2. Ancient pigs reveal a near-complete genomic turnover following their introduction to Europe. Laurent A. F. Frantz, James Haile, Audrey T. Lin, Amelie Scheu, Christina Geörg, Norbert Benecke, (...) Wolfram Schier, (...) Joachim Burger, Allowen Evin, Linus Girdland-Flink, Greger Larson. In: Proceedings of the National Academy of Sciences Aug 2019, 116 (35) 17231-17238; DOI: 10.1073/pnas.1901169116 (Researchgate)
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Eichelmast
  4. Fröhlich, Madeleine: Figürliche Kunst der Linienbandkeramik aus Günthersdorf, Dezember 2017, http://www.lda-lsa.de/de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte/fund_des_monats/2017/dezember/
  5. Tönernes Schwein aus Nieder-Weisel , Wetteraukreis (Hessen). In: Andrea Streily und Kirtsen Hellström: Archäologische Funde in Deutschland ausgewählt und kommentiert von Svend Hansen. Berlin 2010, S. 22f (pdf)
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Baume_d%E2%80%99Oullins, https://fr.wikipedia.org/wiki/Baume_d%27Oullins

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