Unser italienischer Frisörsalon

Von Mktrout

Unser Frisörsalon. Unser, weil er seit dreißig oder mehr Jahren in meinem Viertel ist, in dem ich wohne. Das Besitzerehepaar sind echte Italiener, italiensiche kann man sie sich nicht vorstellen. Genau wie man sich italienische Frisöre vorstellt. Mit anderen Worten, es ist ein waschechter italienischer Frisörsalon. In Deutschland. So wie es sie in meiner Kindheit häufig gab. Mit allen kulturellen Vermischungen und dem traditionellen Charme.

Frisörsalon mit Tradition

Ich bin kein Kunde in diesem Salon. Es geht nicht. Meine langen Haare werden vom Besitzerehepaar abgelehnt. Strikt. Deutlich aber liebevoll. Klare Fronten. Was braucht es mehr? Da ist kein weichgespültes „… ach, wir würden gerne, aber die Gicht …,“ oder „… keine Termine!“. Nichts, nada, niente. Da heißt es ja oder nein.

Ich akzeptiere das. Sehr sogar. Dann laufe ich nicht in Gefahr, unter einer lieblos geführten Schere zu leiden. Respekt auf beiden Seite. Für Dinge für die einseitig kein Respekt empfunden wird, sind kein Gesprächsthema. Sie sind da, jeder weiß es, man kann fühlt es, aber man kann sich drauf verlassen, dass sie niemals ausgesprochen werden. Auf keiner Seite.

In meiner Kindheit gab es viele solcher Frisörsalons. Italienisch bis ins Mark. In einer Ecke war die italienische Fahne angepint. Und es gab ein Bild von Amalfi, Capri oder einem anderen italienischen Sehnsuchtsort. Italienisch, italienischer, am aller italienischsten. Nationalstolz bis zum Haarschnitt und zum Haarwasser. Lupenrein italienisch in Deutschland. Daraus hat sich wundervolles Kulturengemisch gebildet. Ich liebe es und ich möchte ohne nicht mehr leben.

Eine aussterbende Gattung

Manchmal habe ich das Gefühl, dass unser italienischer Frisörsalon noch zu einer glücklichen Generation gehört. Die Damen und Herren die dort hin gehen, sind genau so alt wie das Besitzerehepaar. Auch die Haartracht der Kunden gleicht dem ihren. Deutsche mit italienischem Haarschnitt. In meiner Kindheit war das ein Zeichen von Weltoffenheit. Die „besseren Kreisen“ trugen es italienisch, die Playboys italienischer. Das waren die ersten Europäer. Polyglott, weil sie prääägo und graziäää radebrechten und damit Monika den Schlüpfer zogen.

Die deutsch-italienischen Kunden sterben langsam aus. Eine Sache der Biologie. Mit ihnen stirbt auch langsam unser italienischer Frisörsalon. Wirklich nur ganz langsam. Aber der Frisörnachwuchs wird sich nicht in diesen Salon verirren. Die gehen lieber in die modernen Salons. Die sind sogar so modern, dass sie mein langen Haare schneiden.

Italienischer Frisörsalon und die Geschichte vom Maikäfer

Als Reinhard May in den 70er Jahren Deutschland ins Gewissen sang, es gibt keine Maikäfer mehr, hat sich das in den 2000er Jahren nicht bestätigt. Es gibt sogar Regionen, die verzeichnen Maikäferplagen. Kommt der italienische Frisörsalon in 30 Jahren auch wieder? Mit einem Besitzerehepaar, das dem italienischen Status alle Ehr macht? Ich weiß es nicht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das noch erleben werde. So sehr krämt mich das auch nicht, weil meine Haartracht noch nie in diese Salons gepasst hat. Und genau das rechne ich den italienischen Frisören hoch an. Sie haben mir klar und deutliche gesagt, dass meine Zottelhaare dort nicht hingehören.

Komme was will, unser italienischer Frisörsalon ist auf Film gebannt. 2017. Und das Bild wird mehr als 30 Jahre überdauern. Als Zeitzeuge. Aber wer weiß, vielleicht kommt es dann zur Plage italienischer Frisörsalons in Deutschland. Auf den Spuren der Maikäfer.