Unser Ausflug zur "Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies" (Wieskirche)

Von Cangrande
 Beinahe immer, wenn man eine Beschreibung der "Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies" liest (meist wird die Kirche nur kurz als "Wieskirche" oder "Wies" bezeichnet - hier die Homepage) stößt man auf das Adektiv "lichtdurchflutet". Das ist in der Tat eine treffende Charakterisierung, wie Sie auf diesen Bildern sehen können:




  "Äh - Bildregie: was haben Sie denn da für Fotos rausgekramt? Das sind doch die verkehrten!"
"Nein, nein, das hat schon seine Richtigkeit. Wir wollten Ihren Blog-Besuchern vor Augen führen, wie das mit der Lichtflutung funktioniert - wird man sonst ja nirgends drüber aufgeklärt!"
"Ach so ...... . Also gut, aber jetzt zeigen wir den Leuten mal, wie der Kirchenraum aussieht, nachdem ihn das Licht geflutet hat, okay?"
"Okay, hier also das Hauptschiff (mit einem Blick in den Chor auf den Altar)":

Üppiger vergoldeter Stuck-Schmuck vermittelt zwischen Wand und (flacher) Kuppel:

Der Altarraum (Chor) ist noch prächtiger als das Hauptschiff:
Übrigens wurde, wie wir in dem informativen Artikel "Ein Hochamt des Rokoko. Die Wieskirche fing mit einem hölzernen Christus an" auf der Webseite Monumente Online erfahren, zunächst der Chor gebaut:
"Mit der Skepsis der Kirche, welche die Tränen des Gegeißelten nicht als Wunder, sondern als Gnadenerweis Gottes betrachtete, erklärt sich unter anderem auch der seltsame Bau der Wieskirche. Im "Pfaffenwinkel" gab es viele Wallfahrten [richtig, z. B. zu der prächtigen Barockkirche St. Coloman hier in Schwangau!], deshalb wollte Kloster Steingaden abwarten, wie groß der Andrang der Pilger tatsächlich sein würde. Hätte die Wallfahrt zum "Wiesherrle" nachgelassen, hätte der 1746 fertiggestellte Chorraum als eigenständige Kirche ausgereicht."
Damals haben die Verantwortlichen halt wirtschaftlich gedacht -  im Gegensatz zu heute, wo unsere Euromantiker, Euromanen, Eurobonditen aus der Regierung und den Quislingen der Schein-Opposition nur noch politisch denken und unsere Steuergelder massenhaft versüden.
Natürlich bleibt die Wirtschaft draußen  vor der Kirchentür; dort blüht und gedeiht sie aber wie eh und je:

 Drinnen finden sich allenfalls dezente Hinweise auf ökonomische Vorgänge, wie z. B. bei dieser Statue:

Wer würde bei dem aktuellen hohen Goldpreis einen solchen goldenen Totenschädel nicht mit gleicher Zärtlichkeit in den Händen halten wie dieses Girl das im 18. Jahrhundert tat? (Nur leider kommt mir nie ein Goldschädel unter.)
Von der Konkurrenz der zahlreichen Wallfahrtsorte untereinander hatten wir bereits gesprochen. Dass die Wallfahrten Vorläufer des Tourismus waren, erfährt man z. B. für die Zeit der "Säkularisation" (um 1803) auch aus dem Bericht der für Steingaden zuständige Aufhebungskommisar Oberndorfer (zitiert nach Wikipedia, Anm. 1):
Solange die Wahlfahrt existiert, und sie existiert im Geiste des Volkes auf das lebhafteste, läßt sich deren Aufhebung als nicht rätlich befinden. Solange aber lassen sich die Gebäude oder auch nur ein Teil davon als nicht veräußerlich denken. Diese Wahlfart ist für diese ungewerbsame Gegend aber auch eine wahre Wohlthat. Und es wäre noch weniger rätlich, sie hinwegzunehmen, ohne den hiesigen Bewohnern neue Nahrungsquellen zu bieten.
Schon immer haben wirtschaftliche Gründe  eine Rolle gespielt; ein berühmter Fall sind die angeblichen Reliquien der angeblichen Heiligen Drei Könige in Köln: Die nahm sich Kaiser Barbarossa (Friedrich I von Hohenstaufen) im Jahre 1164 als Siegesbeute in Mailand und schenkte sie dem Erzbischof und Reichskanzler Reinald von Dassel aus Köln, "wodurch Köln einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Europas wird und in großer Anzahl Pilger und Könige zu Pilgerfahrten ..... anlockt". Dazu meint der Webmaster, dem ich diese Information verdanke, schmunzelnd:
"Wenn man bedenkt, dass es nach Ansicht der meisten Historiker wenig belastbare historische Nachweise für die Hl. Drei Könige und keinerlei Nachweise zur Legende von der Hl. Ursula und damit für die Kölner touristischen "Spitzen-Reliquien" gibt, gab es in Köln im Mittelalter offenbar geniale - heute würde man sagen - Touristik-Marketing-Experten."
Über wirtschaftliche Aspekte der Wallfahrt an anderen Orten vgl. z. B. hier oder dort.
Die Sache mit dem "Marketing" ist keineswegs ein Witz. Tatsächlich war ja das Problem für jeden Wallfahrtsort, seinen potentiellen Kunden einen Mehr-Wert gegenüber der Konkurrenz vorzuspiegeln.
Wie hat das zu seiner Zeit (gegen Ende des 17. Jahrhunderts) St. Koloman in Schwangau geschafft (wo die Wallfahrt auch sehr groß gewesen sein muss, denn sonst hätte man sich nicht eine derartig große und kostbar stuckierte Kirche leisten können) und wie ist dann gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts die Wieskirche trotz enormen Konkurrenzdrucks hochgekommen?
Darüber gibt es wohl keine Studie; es ist auch die Frage, ob für eine einschlägige  Forschungsarbeit ausreichende schriftliche Quellen vorliegen, denn der Ruhm eines Wallfahrtsorts dürfte sich damals größtenteils mündlich verbreitet haben. [Für (mindestens) eine andere Gemeinde haben Wissenschaftler eine derartige Studie aber tatsächlich erstellt: "Herndl, Bernhard - Wolfgang Herndl: Wirtschaftsfaktor Wallfahrt. eine historische Analyse von Marketing und Public-Relation im Zusammenhang mit der Wallfahrt auf den Lasslberg und die wirtschaftliche Bedeutung der Gnadenstätte für die Pfarre Viechtwang im 18. Jahrhundert. 2005.]
Man wird nicht einmal ausschließen können, dass die Bäuerin Lori, der die Statue des gegeißelten Jesus gehörte und die zweimal Tränen in den Augen dieser Statue sah, die ganze Geschichte von vornherein zurechtfabriziert hat, um davon wirtschaftlich zu profitieren. Wie dem auch sei: auf jeden Fall mussten, nachdem sich dieses "Wunder" herumgesprochen hatte, weitere Wunder her, Wunderheilungen wohl hauptsächlich, um den Ruhm gerade dieser Stätte zu mehren. Vielleicht man das damals ähnlich angestellt wie später bei der wundersamen Marienerscheinung in Lourdes (s. a. hier).
[Freilich muss ich, als Agnostiker, bekennen, dass ich selbst im Alter von ca. 17 Jahren nach Lourdes gepilgert bin - bzw. auf einer Rundreise durch Frankreich per Anhalter mit meiner damaligen Freundin Barbara in jenem Ort war - und seither im Großen und Ganzen ziemlich gesund geblieben bin. Habe ich damals von dem heilsamen Wasser geschluckt? Weiß ich nicht mehr; meine bislang wunderbare Gesundheit könnte ebensogut vom Öl der heiligen Walburga herrühren, das ich später in der Eichstätter Kirche St. Walburg geschluckt habe: 1.200 Votivtafeln können doch kaum irren?]
Auf jeden Fall ging das Wiesherrle gestärkt aus dem Konkurrenzkampf hervor, so dass das Kloster Steingaden, zu dem das Gebiet gehörte, sich den Bau einer derart kostspieligen Kirche wie der Wieskirche erlauben konnte (obwohl es letztlich die Klosterfinanzen auf das Äußerste strapaziert hat - aber das hat man in der gleichen Gegend ja auch später mit König Ludwig II erlebt, und heute ist das Geldverschwenden bei sämtlichen Politikern, von Athen  über München bis hin nach Marktoberdorf, gang und gäbe).
 Wie die Wunderheilungen zustande kamen, können wir heute nicht mehr nachprüfen. Wie die Kunde verbreitet wurde dagegen schon, dafür haben wir ein Bilddokument in der Kirche selbst: die Wunder wurden von fliegenden Boten hinausposaunt:

Es ist aber nun langsam an der Zeit, dass wir die Wunderstatue selbst beschauen; hier habe ich sie herangezoomt (der lang gestreckte Chor, an dessen Ende der Hochaltar mit dieser Christusfigur steht, ist für Besucher gesperrt):

Mein ikonographisches Wissen ist dürftig; so kann ich auch nicht sagen, was dieses die Stirnfront der Kirche krönende Zeichen uns sagen will; schön ist es aber allemal:

Der Architekt hat sich - selten genug für Kirchen - mit seinem Namen im Sakralraum verewigen dürfen:
Dominicus (Dominikus) Zimmermann, Baumeister von Landsperg (Landsberg am Lech).
Die Ehre hat er auch verdient, denn auch das kleinste Detail hat er liebevoll gestalten lassen:
Was Sie auf meinen Innenaufnahmen an Lichtdurchflutung vermisst haben mögen, kann ich Ihnen hier wenigstens von außen als Lichtumflutung des Kirchengebäudes präsentieren:

Von außen ist der Bau eher unspektakulär, aber auch hier zeigt er einige fein ausgearbeitete Schmuckdetails und überraschende Perspektiven:




Klein lassen die den Kircheneingang rahmenden Säulen den Pilger erscheinen:



Am Ende unserer Besichtigungstour kam kein dickes Ende, sondern eine freudige Überraschung: das Essen war nicht überteuert, wie man das sonst in der Umgebung von hochkarätigen Sehenswürdigkeiten häufig erlebt, sondern preiswert, vor allem aber auch schmackhaft. Was uns für unsere Enttäuschung neulich beim "Hirsch" in Seeg entschädigte.

Hier einige nützliche Links:
Spektakulär, weil auch im Vollbild noch von recht guter Qualität, sind die Panoramafotos der Wies auf der Webseite  Deutschland-Panorama. Da kann man sich fast das Hinfahren sparen. (Übrigens bietet die Seite auch für andere Sehenswürdigkeiten, darunter auch für die Schlösser Neuschwanstein und Linderhof, Panoramaaufnahmen an.)
Ein Reiseführer zu Stätten des Prämonstratenserordens enthält natürlich auch eine Unterseite für das frühere Prämonstratenserkloster Steingaden und die einst diesem zugehörige Wieskirche.
Relativ kurz ist, angesichts der kunsthistorischen und touristischen Bedeutung des Objekts, der Wikipedia-Eintrag über die Wies.
Knapp aber informativ ist der Text auf der Architektur-Informationsseite "archINFORM".
Ausführlicher informiert "MonumenteOnline" ("Ein Hochamt des Rokoko. Die Wieskirche fing mit einem hölzernen Christus an").
"Imposante Bauwerke" berichtet knapp, aber für den ersten Überblick ausreichend.
Länger schreibt "suite101" (anscheinend so etwas wie eine Webseite für Texter und/oder freie Journalisten); interessant im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Bedeutung einiger Wallfahrten ist dort auch der verlinkte Artikel "Vom Wunder zum Jahrmarkt - Pützchens Markt".
Videos von der Wies gibt es wie Sand am Meer. Hier einige mit brauchbarer Bildqualität oder musikalisch schön unterlegte:


Mit großem Weitwinkel aufgenommen:







Hier zur Abwechslung mal eine Abendaufnahme mit Innenbeleuchtung:

Da hat doch tatsächlich jemand während einer kirchlichen Messe gefilmt:

Hier Außenaufnahmen, musikalisch unterlegt mit dem Glockenläuten der Wieskirche:
Ein Auszug aus der Missa brevis von Josef Haydn:

Die Musik ist hier nicht religiös, aber auch ganz nett und das Video (mit einer freilich nicht berauschenden Bildqualität) recht lang:

Textstand vom 09.09.2011