Unser Apfel - Er stammt aus dem Tianshan-Gebirge

Von Ingo Bading @ingo_34

Breiteten ihn die Indogermanen über ganz Europa aus?

Überall blühen jetzt wieder die Apfelbäume. Und wir freuen uns auf den Spätsommer und eine reiche Apfelernte. Wir freuen uns auf Apfelkuchen, Apfelmus, Äpfel am Weihnachtsbaum.

Aber woher kommt er eigentlich, der Apfel, diese so durch und durch europäisch und einheimisch anmutende Frucht. Nun: Der nächste genetische Verwandte unserer domestizierten Apfelsorten ( Wiki) ist - - - der "Asiatische Wildapfel". Darauf werden wir aufmerksam aufgrund einer interessanten Rezension in der Zeitschrift "Antiquity" (1). Auf Wikipedia lesen wir dazu ergänzend ( Wiki):

Die Heimat des Asiatischen Wildapfels liegt in Zentralasien; das Verbreitungsgebiet erstreckt sich vom südlichen Kasachstan über Kirgisistan und Tadschikistan bis ins chinesische Xinjiang. An einigen Stellen des Tianshan-Gebirges ist der Asiatische Wildapfel bestandsbildend. So steht beispielsweise ein großer Apfelbaumwald im Dsungarischen Alatau, einem Bergzug des Tianshan-Gebirges. Er wächst auf einer Höhe zwischen 1500 und 2200 m. (...) Im Habitus ist er dem Kulturapfel (Malus domestica) recht ähnlich. Seine Früchte sind die größten von allen wilden Apfelarten; sie werden bis zu 7 cm groß. Ihr Geschmack ist unterschiedlich und reicht von sauer bis süß. Die Früchte einiger Exemplare des Asiatischen Wildapfels aus dem Tianshan-Gebirge sind sehr wohlschmeckend und durchaus mit dem Kulturapfel vergleichbar.

Aus der Dsungarei also stammt er, unser Apfel. Und die Hauptstadt von Kasachstan ist sogar nach dem Apfel benannt. "Alma" heißt auf Kasachisch Apfel, und Alma-Ater "Apfel der Äpfel" oder auch "Vater der Äpfel". Kasachisch ist eine Turksprache. Unter Sprachforschern ist noch nicht geklärt, ob unser Wort "Apfel" abgeleitet ist von Alma oder ob umgekehrt Alma von Apfel abgeleitet ist oder ob beide unabhängiger Herkunft sind. Sicherer sind sich die Sprachforscher da schon über die Appel-Apfel-Grenze ( Wiki), die sich ab 600 n. Ztr. mit der "zweiten (deutschen) Lautverschiebung" ( Wiki) ergeben hat. Ursprünglich hieß in Deutschland der Apfel "Appel", bis sich eben zwischen 620 und 640 n. Ztr. vom gemeinsamen nord- und südalpinen Kulturraum der damaligen Baiern und Langobarden ausgehend die "neumodischere" Aussprache Apfel ausbreitete. Und das Wort "Apfel/Appel" ist westindogermanischen Ursprungs ( Wiki):

Das Wort Apfel wird auf die indogermanische Grundform *h₂ébōl zurückgeführt, die nur Fortsetzungen im Nordwestindogermanischen (Germanisch, Keltisch, Baltisch und Slawisch) hat und dort in allen Formen den Apfel bezeichnet. In der Forschung herrscht Uneinigkeit darüber, (...) ob es sich um (...) eine Entlehnung aus einer nicht-indogermanischen Sprache (vgl. kasachisch alma, burushaski báalt) handelt.

Wenn es unter allen westindogermanischen Völkern eine gemeinsame Herkunft des Wortes "Apfel" gibt, könnte daraus abgeleitet werden, daß sich das Wort - und die domestizierten Äpfel selbst - auf den Rinderwagen der sich gen Westen ausbreitenden Schnurkeramiker oder der Glockenbecherleute um 2.800 v. Ztr. über Europa hinweg ausgebreitet haben. Da die Verwandten dieser westindogermanischen Völker als Afanasievo-Kultur ( Wiki) schon ab 3.500 v. Ztr. die Nordhänge des Tianshan-Gebirges besiedelt haben, könnte von ihnen ausgehend sich der domestizierte Apfel nach Westen ausgebreitet haben.

Zentralasien als Ursprungs- und Transferraum von domestizierten Pflanzen


Über die zum Teil sehr weit auseinander liegenden Routen der Seidenstraße haben sich aber über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg auch noch viele andere domestizierte Pflanzenarten Richtung Westen und Richtung Osten ausgebreitet. Über das neu erschienene Buch zu diesem Thema heißt es (1):

Einer größeren Öffentlichkeit wird durch die systematischen und detaillierten Diskussionen (...) ein Blick in diese faszinierende und noch ganz unbekannte Welt eröffnet. Wir erfahren etwas über die reiche Kultur- und Umweltgeschichte dieser Oasen, dieser Täler, Gärten, Flüsse und Wüsten, wir erfahren etwas über mittelalterliche Karawanen und über Städte wie Samarkand und Buchara, und über deren Märkte, die den Reisenden und Anwohnern eine große Vielfalt an Früchten, Gemüsesorten und Gewürzen zum Kauf anbieten.
His systematic and detailed discussions (...) have opened up this fascinating but still unfamiliar world to a wider audience. We learn of the rich cultural and environmental history of these oases, valleys, gardens, rivers and deserts, of medieval caravans and of cities such as Samarkand and Bukhara, whose markets offered a huge variety of fruits, vegetables and spices to travellers and residents alike.

Bemängelt wird, daß in dem Buch fehlen würde ...

... eine Tafel, um eine Übersicht zu gewinnen, welche Nahrungsmittel im Osten ihren Ursprung haben und Richtung Westen ausgebreitet wurden (z.B. Reis, Hirse, Pfirsich, Apfelsinen), welche im Westen ihren Ursprung haben und sich Richtung Osten ausgebreitet haben (z.B. Weizen, Gerste, Weintrauben) und welche in Zentralasien ihren Ursprung haben (z.B. Äpfel, Pistazien, Quitten), sowie wann die Ausbreitungbewegung ungefähr statt hatte.
.... a table included to set out clearly which foods originated in the East and travelled West (e.g. rice, broomcorn millet, peach, orange), which originated in the West and travelled East (e.g. wheat, barley, grapes) and which originated in Central Eurasia (e.g. apples, pistachios, quince) and approximately when these transfers occurred.

Schon seit Jahrzehnten ist der Bloginhaber fasziniert von dem immer genaueren Wissen um die Herkunft und Geschichte so vielen verschiedener Tier- und Pflanzenarten, die vom Menschen domestiziert wurden oder die sich als Kulturfolger an das Zusammenleben mit dem Menschen angepaßt haben (z.B.: Hausmaus, Hausratte oder Hauskatze). Sie alle sind z.T. wichtige Erkenntnisquellen des Historikers und Archäologen, da wichtige Indikatoren für Besiedlungsdichte, gesellschaftliche und wirtschaftliche Komplexität, Fernhandel und vieles andere mehr.

Seit mehreren Jahrzehnten ist ja gut gesichert, daß viele heute in Europa gebräuchliche Pflanzen- und Tierarten aus dem Fruchtbaren Halbmond stammen. Der nächste wilde Verwandte des Einkorn-Weizens etwa wächst heute noch im Karacadac-Gebirge in der Südtürkei. Ähnlich haben wir hier auf dem Blog immer einmal wieder Artikel veröffentlicht zur Erforschung der Domestizierung und Ausbreitung von Hirse, Reis, Mais, Hausrind, Hausschwein, Pferd oder Haushuhn. (Siehe Stichworte "Domestikation" oder "Hausmaus").

Mit den Indogermanen hat sich vielleicht auch die osteuropäische Hausmaus bis zur Donau und zur Elbe ausgebreitet (2). Und auch unsere Haushühner ( Wiki, engl) stammen aus dem Osten (3). Sie könnten - nach derzeitigem Forschungsstand ( Wiki, engl) - schon im 6. Jahrtausend v. Ztr. in China domestiziert worden sein. Unsere heutigen Hühnerrassen stammen aber offensichtlich aus Indien im 3. Jahrtausend v. Ztr. (3). Von dort haben sie sich früh nach Osten (Ukraine, Rumänien, Anatolien) ausgebreitet. Vielleicht auch mit den Indogermanen? Allerdings werden in den Dichtungen des griechischen Dichters Homer um 800 v. Ztr. keine Haushühner genannt. Um diese Zeit breiteten sie sich dennoch in der Ägäis und im nördlichen Mittelmeerraum aus. Und von dort breiteten sie sich auch zu den Kelten an der Donau im 7. Jahrhundert v. Ztr. (3). Vermutlich mit den Römern haben sich die Haushühner dann über den Limes hinaus nach Norden ausgebreitet.

Also, denken wir ab und zu einmal bei einem herzhaften Biß in einen Apfel an unsere fernen, ausgestorbenen Verwandten, die frühen Indogermanen der Afanasievo-Kultur am Nordhang des Tianshan-Gebirges.

  1. Marijke van der Veen: Rezension von Robert N. Spengler III. "Fruit from the sands: the Silk Road origins of the foods we eat" (University of California Press, Oakland 2019) In: Antiquity, Volume 94, Issue 374, April 2020 , pp. 553-555 (Antiquity)
  2. Bading, Ingo: 2014, https://studgendeutsch.blogspot.com/2014/09/die-stadte-der-indogermanen-und-ihre.html
  3. Bading, Ingo: 2007, https://studgendeutsch.blogspot.com/2007/04/hhner-sind-in-nordeuropa-christliche.html