13.1.2012 – Jahrelang ist es den deutschen Sicherheitsbehörden nicht gelungen, der Zwickauer Nazi-Terrorzelle auf die Spur zu kommen. Ungehindert von Polizei und Verfassungsschutz konnten die Rechtsextremisten in ganz Deutschland Morde und Anschläge begehen. Den Behörden brachten ihre Versäumnisse den Ruf ein, auf dem rechten Auge blind zu sein.
Auf Antrag der Linkspartei und der Grünen soll sich jetzt ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der lückenlosen Aufklärung der Fahndungspannen beschäftigen. Die SPD setzt sich für ein eingeschränktes Modell der Aufarbeitung ein, während die Union den Untersuchungsausschuss gänzlich ablehnt.
Neonazi-Untersuchungsausschuss
Die Versäumnisse der Bundes- und Landesbehörden sind offenkundig: Seit dem Jahr 2000 töteten die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) mindestens zehn Menschen und begingen mindestens zwei schwere Sprengstoff-Attentate. Von Medien und Politik wurden die Hinrichtungen als „Döner-Morde“ verharmlost. Eine polizeiliche Sonderkommission arbeitete unter dem Namen „Bosporus“ und bediente so das Klischee, es handle sich bei den Verbrechen um eine interne Angelegenheit unter Türken.
Bisher ist die Rolle von Behörden, V-Leuten und Verfassungsschutz innerhalb der langjährigen Mord- und Anschlagsserie weitgehend ungeklärt. Ebenso besteht Unklarheit über die Verstrickungen der NPD und ihrer Funktionäre in die Taten der rechtsextremistischen Terroristen.
Nach Auffassung der Linkspartei und der Grünen ist die umfassende Aufklärung sämtlicher Tatumstände, Ermittlungspannen und Verstrickungen von Bundes- und Landesbehörden dringend geboten. Diese soll durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bundestag erfolgen.
Zur Beantragung eines solchen Ausschusses sind die Stimmen von einem Viertel (155) der Bundestagsabgeordneten erforderlich. LINKE und Grüne bringen es gemeinsam auf 144 Stimmen. Die SPD verfügt über 146 Sitze. Nur mit einem gemeinsamen Antrag aller drei Fraktionen kann die Opposition den Ausschuss auch gegen den Willen der Regierung erzwingen.
SPD: Untersuchungsausschuss light
Zwar unterstützt die SPD grundsätzlich die Einberufung eines Untersuchungsausschusses. Allerdings sprechen sich die Sozialdemokraten für die gleichzeitige Beauftragung einer Bund-Länder-Expertenkommission aus.
Dem Vorschlag nach soll die Expertenkommission die Ermittlungen zunächst alleine führen. Erst nachdem Ergebnisse vorliegen, dies soll bis Ende August der Fall sein, würde sich der parlamentarische Untersuchungsausschuss mit der Angelegenheit beschäftigen. Vorher soll er nach dem Willen der SPD keine eigenen Untersuchungen vornehmen.
Linkspartei und Grüne haben erhebliche Bedenken gegen diesen Vorschlag angemeldet. Renate Künast, Vorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion, lehnt das SPD Modell ab, weil die Expertenkommission die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht behindern dürfe.
Petra Pau, Innenexpertin der Linkspartei, bezeichnet das SPD Konzept als tückisch. Sowohl die Zusammensetzung der Kommission als auch ihre Befugnisse müssen geklärt werden. Sie dürfe weder den Auftrag noch die Befugnisse des Ausschusses einschränken.
„Kampfinstrument der Opposition“
Für die Union hat Innenexperte Hans-Peter Uhl (CSU) heute morgen in einem Interview mit dem Deutschlandfunk die Position der Fraktion erläutert. Uhl lehnt den parlamentarischen Untersuchungsausschuss ab, fordert aber gleichzeitig „Transparenz“ und „Aufklärung über alles, was in den letzten zehn Jahren bei den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder“ passiert ist.
Die Einberufung eines Untersuchungsausschusses auf Bundesebene hält Uhl nicht nur aus Zuständigkeitsgründen für falsch. Er befürchtet zusätzlich, die Opposition könne den Ausschuss als „Kampfinstrument gegen die Regierenden“ einsetzen, während die Verantwortung für die Versäumnisse in seinen Augen vor allem auf Länderebene und den dort regierenden Fraktionen liegt. Uhl wörtlich:
„Und in einem Untersuchungsausschuss, da sind natürlich auch Show-Elemente der Opposition gegen die Regierenden enthalten, und wer ist hier Regierung, wer ist hier Opposition, wenn es darum geht, in Ländern unter ganz anderer Verantwortung Dinge aufzuklären.“
Für den Innenexperten steht insgesamt im Vordergrund, den Vorwurf der selektiven Untätigkeit von Politik und Behörden aus der Welt zu schaffen:
„Weil für uns alle ist es unerträglich, den Vorwurf ertragen zu müssen, wir seien auf dem rechten Auge blind. Das darf nicht sitzen bleiben.
Während es der Union also offensichtlich hauptsächlich um die Wiederherstellung des ramponierten Vertrauens der Bevölkerung in die Behörden geht, versucht Uhl, den Bundesverfassungsschutz aus der Schusslinie zu bringen und Politiker sowie Beamte vor Ermittlungen zu schützen:
„Sie (Anm. d. Red.: die Opposition) kann sozusagen Regierungsmitglieder und Beamte wie bei einem Gericht, einem Strafgericht zitieren, vernehmen, unter Eid aussagen lassen, um so der Wahrheit näherzukommen.“
Den Opfern verpflichtet
Allerdings ist genau diese Form der Aufklärung, die Hans-Peter Uhl ablehnt, notwendig und richtig. Eine halbherzige Untersuchung, die verantwortliche Politiker auf Bundesebene und Beamte des Bundesverfassungsschutzes von vornherein ausklammert, setzt exakt die Grundsätze fort, die den Behörden den berechtigten Vorwurf eingebracht haben, sie seien auf dem rechten Auge blind. Wenn Uhl befürchtet, der Ausschuss könne als „Kampfinstrument“ eingesetzt werden, dann scheint er zumindest Anhaltspunkte für ein entsprechendes Potenzial zu sehen.
Nicht zuletzt ist man es den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, auch dann unvoreingenommen und transparent aufzuklären, wenn dabei weitaus größere Versäumnisse ans Licht kommen, als bisher bekannt. Ohne die Unterstützung der SPD werden Grüne und Linkspartei einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss allerdings ebenso wenig erzwingen können, wie die SPD ihr Modell einer eingeschränkten Aufklärung alleine durchsetzen kann.
Es steht zu befürchten, dass sich die Union, vor die Wahl gestellt, ob sie lückenlos oder nur eingeschränkt aufklären will, am Ende auf die Seite der Sozialdemokraten stellen wird, um so zumindest zu verhindern, dass unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit und unter Einbeziehung der Bundesbehörden, umfassend und mit entsprechenden Konsequenzen ermittelt wird.
Somit stellt sich nicht mehr alleine die Frage, ob die Verantwortlichen in Bund und Ländern auf dem rechten Auge blind waren. Vielmehr zeigt die aktuelle Debatte, dass dieser Zustand nach wie vor besteht.