Unheilbar, und nun?

Von Early50

Schon lange wollte ich einen Beitrag über dieses Thema schreiben. Mir fehlten jedoch immer die richtigen Worte. Jetzt hatte ich eine Begegnung, die mir die nötige Inspiration zu diesem Text gab.

Letztens traf ich eine nette Bekannte nach längerer Zeit zufällig in der Stadt wieder. Wir unterhielten uns eine zeitlang und tauschten Neuigkeiten über unser jeweiliges Leben aus. Es entging mir nicht, dass sie mich hin und wieder forschend ansah und einige Aussagen mit den Worten: „Das willst Du wirklich noch machen?“ kommentierte. Schließlich traute sie sich und stellte die, offensichtlich seit dem Anfang unseres Gesprächs in ihr brodelnde, Frage: „Entschuldige, dass ich Dich so etwas frage, aber ich habe gehört, Dein Krebs ist unheilbar. Ich habe nicht damit gerechnet, Dich noch einmal zu sehen. Jetzt treffe ich Dich hier, Du lebst noch und siehst gut aus. Wie kann das sein?“

Im ersten Moment war ich wirklich sprachlos und muss sie wohl ziemlich entsetzt angeschaut haben. Auf jeden Fall setzte sie schnell nach, dass sie das ja freuen würde, mich so zu sehen und ich das bitte nicht falsch verstehen solle. Aber, wenn man als unheilbar eingestuft worden sei, müsse man doch sterben, dachte sie immer.

Inzwischen hatte ich meine Sprache wiedergefunden und erklärte ihr, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte. Und ich sehr wohl sehr alt werden könnte, nur eben nicht völlig gesund. Im weitesten Sinne könnte man mich auch einfach als chronisch krank einstufen. Sichtlich erleichtert nahm sie mich in den Arm und erklärte mir, dass sie das so noch gar nicht gesehen hätte.

Das zeigte mir wieder, dass jeder, der das Wort unheilbar hört, sofort auch an Sterben denkt. Dass dem nicht so ist, musste ja auch ich erst lernen. Sicherlich ist es nicht schön, zu wissen, dass man nie wieder gesund wird und einen die Krankheit ein Leben lang begleiten wird. Aber, das geht ja nicht nur Krebspatienten so. Auch andere chronische Krankheiten bleiben einem für immer erhalten. Bei Krebs hört sich das komischerweise nur immer nochmal viel schlimmer an.

Ich gebe zu, als mein Arzt mir vor einem halben Jahr sagte, meine Krebserkrankung sei nun, nach dem vierten Wiederauftreten eines Sarkoms, als unheilbar einzustufen, fühlte es sich im ersten Moment an, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Gedanken, wie „Oh Gott, ich sterbe“, „Wie lange ich wohl noch habe?“, „Wie erkläre ich es meiner Familie?“ schossen mir in Sekundenschnelle durch den Kopf.

Er bemerkte meinen Schockzustand und erklärte mir ganz ruhig, dass seine Aussage nicht bedeuten würde, ich müsste jetzt sofort mein Testament machen. Vielmehr wolle er mir damit sagen, dass ich in kürzeren oder längeren Abständen immer wieder neue Sarkome bekommen könnte / würde und dann operiert werden müsste. Es wird nie der Fall sein, dass er mich als geheilt entlassen könnte. So lange allerdings keine Metastasen an inneren Organen (gerne genommen von Sarkomen werden die Leber oder Lunge) entdeckt werden, würde eine Einstufung als unheilbar nicht gleichbedeutend mit einem Todesurteil sein.

Sichtlich erleichtert ergab ich mich nach diesem Gespräch also meinem Schicksal und verwarf den Gedanken, meine gesamte Habe schon einmal an verschiedene liebe Menschen zu verschenken.

Die entsetzten Blicke meiner Freunde und Familie beruhigte ich ebenfalls mit der Aussage meines Arztes, so dass ich die meiste Aufregung im Keim ersticken konnte. Nur meine Mutter fragt mich noch hin und wieder, ob ich denn wirklich nicht bald sterben müsste.

Ich habe gelernt, mit meinem Krustentier zu leben. Es nervt mich zwar wahnsinnig, dass es anscheinend nicht bereit ist, mich jemals zu verlassen und es macht mir jedes Mal Angst, wenn ein neuer Knubbel entdeckt wird und ich operiert werden muss. Vor jeder Kontrolluntersuchung kann ich nicht gut schlafen und bin angespannt, bis das Ergebnis vorliegt. An so manchem Morgen muss ich mich und meinen Körper zwingen, die Chemotablette, die ich vermutlich mein Leben lang nehmen muss, auch wirklich runterzuschlucken und damit die, meistens unangemeldet auftretenden, Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen.

Nicht nur, wenn ich mal wieder völlig überraschend von plötzlich auftretenden Nierenschmerzen oder heftiger Übelkeit nach einem leckeren Essen überrascht werde, verfluche ich meine Krankheit. An manchen Tagen habe ich so starke Konzentrationsprobleme, dass ich einem einfachen Gespräch nicht folgen kann.

Aber trotz alle dem lebe ich und das habe ich vor, noch sehr lange zu tun. Ich musste nur meine Lebenseinstellung ändern und alles aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachten.

Auch mit einer unheilbaren Krankheit kann man glücklich sein, Pläne für die Zukunft schmieden und sich (an guten Tagen) rundum wohl fühlen.

Es bedeutet nicht das Ende, sondern einfach nur, dass sich etwas ändert. Und, auch wenn es Schöneres gibt, sollte man doch jede Veränderung im Leben annehmen und das Beste daraus machen.