...und als bei Paypal dann stand "8,96 EUR", habe ich gedacht: "Wie blöd bin ich eigentlich? Ich denke darüber nach, 8,96 EUR für meine Fortbildung auszugeben - aber ich zucke nicht, wenn ich für den selben Preis einen Roman kaufe oder ins Kino gehe. Das ist unverhältnismäßig."
Ja, genau, das ist unverhältnismäßig. Mein Zucken war Symptom eines verqueren Wertesystems: Entertainment darf Geld kosten, Weiterbildung darf kein Geld kosten.
Das, was in Zukunft Geld bringt (weil es meine Kompetenz erhält oder vergrößert), darf kein Geld kosten - das, was mich Entspannt (auch wichtig, klar), also kein Geld bringt, darf Geld kosten?
Natürlich ist das Missverhältnis nicht so krass. Es geht nicht um Geld ausgeben dort und gar kein Geld ausgeben hier. Ich gebe selbstverständlich auch sonst Geld aus für Weiterbildung (insb. in Form von Büchern) und manches Entertainment ist mir zu teuer.
Mein Gefühl ist jedoch, dass das Zucken auf ein grundsätzliches und nicht nur bei mir Vorhandenes Missverhältnis hinweist. Wir haben durch das Internet als bodenlosem Becher der kostenlosen Information schleichend eine ungesunde Attitüde entwickelt. Ja, ungesund ist sie, so glaube ich, weil sie letztlich unsere ökonomische Gesundheit untergräbt.
Die Sache mit dem Geld ist im real existierenden Wirtschaftssystem essenziell. Wir brauchen es für alles mögliche. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass wir Geld verdienen. (Das mag man unschön finden, ist aber erstmal so.) Also verlangen wir für unsere eigene Arbeit gutes Geld. Wir finden, wir verdienen den Preis, den wir aufrufen (in Form von Stundensatz oder Gehalt).
Wir sind maßlos in dem, was wir alles kostenlos haben wollen.
Gleichermaßen sind wir aber maßlos in dem Geld, was wir eigentlich für unsere eigene brilliante Leistung bekommen wollen.
Das ist doch eine Asymmetrie, ein Missverhältnis, das nicht funktionieren kann. Das kann nur zu Spannungen führen. Alles bekommen, aber nichts zahlen? So "denken" 3jährige. Als Erwachsene sollten wir es besser wissen.
Die Preisspirale zu unserem Nutzen umkehren
Wir müssen uns einfach immer wieder klar machen: Wenn wir selbst so denken, dann denken auch unsere Kunden so. Die fragen sich auch, warum sie uns eigentlich Geld geben sollten. Warum sollten sie für unsere Software etwas bezahlen, wenn es doch woanders Open Source kostenlos gibt?
Wie fühlt sich das für Sie an? Ihr Kunde mag es Ihnen (bzw. dem Vertrieb Ihres Unternehmens) nicht sagen, aber denken wird er es: “Boah, soviel Geld… warum soll ich das ausgeben? Im Internet gibt es soviel Software kostenlos.”
Dann reagieren wir reflexartig: Kosten senken! Am besten selbst alles billiger fordern. Warum kostet Uncle Bobs Video eigentlich soviel wie ein normaler Kinobesuch? Kann der das nicht billiger machen für mich als armen gebeutelten Entwickler, der unter Kostendruck steht und dem die Kunden nicht mehr soviel Zahlen wollen?
Merken Sie es? Alles dreht sich. Nach unten. Weil Sie und ich so “kleinlich denken”. Wir glauben, wir könnten (langfristig) einen Blumentopf gewinnen, indem wir immer billiger einkaufen – aber an unseren eigenen Umsatzforderungen nichts ändern.
Das ist Quatsch.
Entweder sind wir konsequent und senken auch unsere Forderungen.
Oder wir sind konsequent und erhöhen unsere Ausgabenbereitschaft.
Der Vergleich des Preises von Uncle Bobs Video mit einer Kinokarte hat mir (mal wieder) gezeigt, wie meine Entscheidung ausfallen sollte: Ich erhöhe meine Ausgabenbereitschaft. Das ist mein klitzekleiner Beitrag zur Umkehr der Spiralbewegung. Denn wenn ich bereit bin, Geld auszugeben – insbesondere für etwas, das mir ja hilft, meinen Wert zu halten/steigern –, werden vielleicht auch andere Menschen so denken. Das kommt dann auch mir zugute.
Wertschätzung
Der rohe Geldfluss ist aber nur eine Hälfte des Problem bei diesem Missverhältnis. Geld ist nicht alles. Wir wollen auch für unsere Arbeit geschätzt werden. Wir sind ja (hoffentlich) stolz auf das, was wir leisten. Allemal die Software Craftsmen sollten sich diesem Gefühl verbunden sehen.
Positive Kommentare skalieren jedoch nur schlecht. Und irgendwann, ja, das gebe ich zu, irgendwann sind sie mir auch nicht mehr genug. Denn von positiven Kommentaren kann ich meine Miete nicht bezahlen. Niemand lebt von Luft und Liebe und Schulterklopfen. So ist das halt grad noch in unserer Welt. Deshalb haben wir gelernt, Wertschätzung in Geld auszudrücken und Geld als Wertschätzung zu akzeptieren. (Und wer das nicht glaubt, der verzichte einfach auf die nächste Gehaltserhöhung.)
Dass nicht-monetäre Wertschätzung ihre Grenzen hat, zeigt sich für mich auch im real existiert habenden Sozialismus. Dort wurden Orden als Wertschätzung verteilt. Helden der Arbeit wurden gekürt. Aber hat das zufrieden gemacht? Offensichtlich nicht dauerhaft.
Wertschätzung in einer Form, die den Empfangenden in die Lage versetzt, sie auch noch in die Erfüllung anderer Bedürfnisse zu konvertieren, ist doppelt gegebene Wertschätzung.
Geld ist nicht alles. Geschenke zu Weihnachten sollten nicht Bedeutung allein durch ihren Preis bekommen. Das ist selbstverständlich. Nur geht es mir grad nicht um Weihnachten, sondern eine essenziell ökonomische Situation: die Nutzung von mit Mühe hergestellten Produkten, seien das Entwicklervideos oder Code-Repositories.
Wenn wir für diese Produkte Geld bezahlen, dann tragen wir nicht nur zu ihrem Erhalt bei (s.o.), sondern drücken damit auch noch Wertschätzung aus. Das sollten wir nicht abtun.
Wir möchten wertgeschätzt werden? Dann sollten wir bewusster selbst wertschätzen. Das kann in Form von positiven Äußerungen sein – am Ende skaliert Geld aber besser. Uncle Bob könnte die vielen wertschätzenden persönlichen Kommentare gar nicht wertschätzen. Aber wenn er auf seine Paypal-Abrechnung schaut, fühlt er sich bestimmt wertgeschätzt. Das mag dann abstrakter sein, aber es kommt an. Ja, ich glaube, dass Uncle Bob meine 12 USD Wertschätzung wahrnimmt. Nicht persönlich, aber doch.
Wertschätzung dreht sich auch in einer Spirale. Sie wird allseits größer, wenn wir bereit sind, wertzuschätzen. Sie wird kleiner, wenn wir damit zurückhaltend sind. Was wollen wir?
Beim Geld wie bei der Wertschätzung ist es so, dass wir (mittel- bis langfristig) nicht damit rechnen können, etwas zu bekommen, was wir nicht bereit sind zu geben.
Das Zucken anlässlich Uncle Bobs Video hat mich aufgerüttelt. Ich werde mich bemühen, in Zukunft bewusster erstmal zu Geben.