An der Alltagssprache läßt sich abzirkeln, wess Geistes Kind eine Gesellschaft ist. Sie ist der Gradmesser für den Zeitgeist, für die allseits akzeptierte Gesinnung, die vorherrscht und sich langsam ins Bewusstsein frisst. Zwar wird in der Psychologie schon seit langem um "ungenutzte Potenziale" schwadroniert, sie aber im Verbund mit Gedanken zum Sozialstaat zu koppeln, enthüllt den ökonomischen Zeitgeist, der nun auch sprachlich in dieser so menschlichen Wissenschaftsdisziplin angekommen ist.
Frank Ochmann, der wöchentlich über Hirnforschung und Psychologie berichtet, schrieb kürzlich, dass eine neue Studie die Debatte um Chancengerechtigkeit befeuere, "weil arme Kinder nicht ausreichend gefördert werden, bleibt ihr geistiges Potenzial oft ungenutzt." Dieser Satz firmiert unter einem Aufmacher, der "Hartz IV für Kinder" anspricht. Es geht also um den Sozialstaat, um diese auf dem Rückzug befindliche Institution, und um deren Auswirkungen auf das Bildungswesen. Dass Ochmann (der hier als Namen nur steht, weil er den Artikel verfasst hat - es könnte quasi der gesamte Stand der Psychologen hier genannt werden) auf einen fadenscheinigen Neologismus wie Chancengerechtigkeit baut: geschenkt! Dass er aber den Sozialstaatsgedanken mit ungenutzten oder zu nutzenden Potenzialen abhandelt, das ist zwar mittlerweile Usus, allerdings trotzdem oder gerade deshalb bedenklich.
Dem Sozialstaatsgedanken liegt eine Utopie zugrunde. Die Eltern des Grundgesetzes, die den Sozialstaat in ebendiesem fixierten, mögen zwar nicht unbedingt ausgewiesene Menschenfreunde gewesen sein, aber sie haben, auch aufgrund der unmittelbaren Erfahrung jener Nachkriegstage, deutlich erkannt, dass eine Gesellschaft, die sich ihrer Hilfebedürftigen nicht annimmt, schnell in Unfrieden landen wird. Zwar mag das Utopische im Wust von Sozialgesetzbüchern nicht immer erkennbar sein, aber die ursprüngliche Idee war, dass niemand einem erbarmungslosen Schicksal ausgeliefert sein soll. Der Sozialstaatsgedanke war zwar einerseits auf Vernunft gebaut, weil ein soziales Netz jedermann eines Tages dienlich sein kann und außerdem sozialen Frieden fördere; andererseits ist er eine Sache von Mitgefühl und Mitmenschlichkeit. Ochmann spricht sich für eine stärkere Förderung von Kindern aus der Unterschicht aus - immerhin ist das auch ein Ausdruck von Sozialstaatsstärkung. Allerdings spricht er sich nicht dafür aus, weil er möchte, dass diesen Kindern und deren Eltern, Familien aus unteren sozialen Schichten also, ein einigermaßen sorgenfreies und würdevolles Leben gewährleistet wird: er sieht stattdessen lediglich "ungenutzte Potenziale", die der malade Sozialstaat verstreichen lasse.
Was da in das "psychologische Feuilleton" hinüberglitt, es ist die Gemütslage dieser Gesellschaft. Wenn man sich überhaupt noch für einen aktiveren Sozialstaat ausspricht, dann nicht um kranken, weniger begabten oder arbeitsunfähigen Menschen hilfreich zur Seite zu stehen, sondern um Potenziale abzuschöpfen, die bis dahin ungenutzt waren - es ist die Sprache der Ökonomen, die herrisch in jede gesellschaftliche Fuge eindringt. Nützlichkeitsanalysen sind der Meterstab, mit der man die Gesellschaft vermisst: wieviel nutzt es, wieviel kostet es? Menschenwürde und sozialer Frieden sind, wenn überhaupt, nur zweitrangige Maßeinheiten. Der Sozialstaat ist in der lingua oeconomica keine emotionale Einrichtung: er ist ein Warenwert, der säuberlich auf Kosten und auf Nutzen geprüft werden sollte.
Das moderne Sozialstaatsprinzip wägt ab, will Potenziale verwerten, Vorteile nutzbar machen - es fragt: was nützt es uns, wenn wir Hilfebedürftige stützen? Es fragt aber nicht: ist es der Wahrung der Menschenwürde gemäß, Hilfebedürftigen unter die Arme zu greifen? Es geht um Mehrwerte, nicht im Ideale. Weil dem so ist, spricht sich kaum jemand für einen Sozialstaat aus, der finanzielle Mittel den Hilfebedürftigen selbst ausschüttet - man will einen, der die Nutzbarmachung von Potenzialen selbst in die Hand nimmt: Bildungsgutscheine anstatt höhere finanzielle Zuwendung! Es ist ein kalkulierender, kein barmherziger Sozialstaat, der heute allerorten beschworen wird...
Frank Ochmann, der wöchentlich über Hirnforschung und Psychologie berichtet, schrieb kürzlich, dass eine neue Studie die Debatte um Chancengerechtigkeit befeuere, "weil arme Kinder nicht ausreichend gefördert werden, bleibt ihr geistiges Potenzial oft ungenutzt." Dieser Satz firmiert unter einem Aufmacher, der "Hartz IV für Kinder" anspricht. Es geht also um den Sozialstaat, um diese auf dem Rückzug befindliche Institution, und um deren Auswirkungen auf das Bildungswesen. Dass Ochmann (der hier als Namen nur steht, weil er den Artikel verfasst hat - es könnte quasi der gesamte Stand der Psychologen hier genannt werden) auf einen fadenscheinigen Neologismus wie Chancengerechtigkeit baut: geschenkt! Dass er aber den Sozialstaatsgedanken mit ungenutzten oder zu nutzenden Potenzialen abhandelt, das ist zwar mittlerweile Usus, allerdings trotzdem oder gerade deshalb bedenklich.
Dem Sozialstaatsgedanken liegt eine Utopie zugrunde. Die Eltern des Grundgesetzes, die den Sozialstaat in ebendiesem fixierten, mögen zwar nicht unbedingt ausgewiesene Menschenfreunde gewesen sein, aber sie haben, auch aufgrund der unmittelbaren Erfahrung jener Nachkriegstage, deutlich erkannt, dass eine Gesellschaft, die sich ihrer Hilfebedürftigen nicht annimmt, schnell in Unfrieden landen wird. Zwar mag das Utopische im Wust von Sozialgesetzbüchern nicht immer erkennbar sein, aber die ursprüngliche Idee war, dass niemand einem erbarmungslosen Schicksal ausgeliefert sein soll. Der Sozialstaatsgedanke war zwar einerseits auf Vernunft gebaut, weil ein soziales Netz jedermann eines Tages dienlich sein kann und außerdem sozialen Frieden fördere; andererseits ist er eine Sache von Mitgefühl und Mitmenschlichkeit. Ochmann spricht sich für eine stärkere Förderung von Kindern aus der Unterschicht aus - immerhin ist das auch ein Ausdruck von Sozialstaatsstärkung. Allerdings spricht er sich nicht dafür aus, weil er möchte, dass diesen Kindern und deren Eltern, Familien aus unteren sozialen Schichten also, ein einigermaßen sorgenfreies und würdevolles Leben gewährleistet wird: er sieht stattdessen lediglich "ungenutzte Potenziale", die der malade Sozialstaat verstreichen lasse.
Was da in das "psychologische Feuilleton" hinüberglitt, es ist die Gemütslage dieser Gesellschaft. Wenn man sich überhaupt noch für einen aktiveren Sozialstaat ausspricht, dann nicht um kranken, weniger begabten oder arbeitsunfähigen Menschen hilfreich zur Seite zu stehen, sondern um Potenziale abzuschöpfen, die bis dahin ungenutzt waren - es ist die Sprache der Ökonomen, die herrisch in jede gesellschaftliche Fuge eindringt. Nützlichkeitsanalysen sind der Meterstab, mit der man die Gesellschaft vermisst: wieviel nutzt es, wieviel kostet es? Menschenwürde und sozialer Frieden sind, wenn überhaupt, nur zweitrangige Maßeinheiten. Der Sozialstaat ist in der lingua oeconomica keine emotionale Einrichtung: er ist ein Warenwert, der säuberlich auf Kosten und auf Nutzen geprüft werden sollte.
Das moderne Sozialstaatsprinzip wägt ab, will Potenziale verwerten, Vorteile nutzbar machen - es fragt: was nützt es uns, wenn wir Hilfebedürftige stützen? Es fragt aber nicht: ist es der Wahrung der Menschenwürde gemäß, Hilfebedürftigen unter die Arme zu greifen? Es geht um Mehrwerte, nicht im Ideale. Weil dem so ist, spricht sich kaum jemand für einen Sozialstaat aus, der finanzielle Mittel den Hilfebedürftigen selbst ausschüttet - man will einen, der die Nutzbarmachung von Potenzialen selbst in die Hand nimmt: Bildungsgutscheine anstatt höhere finanzielle Zuwendung! Es ist ein kalkulierender, kein barmherziger Sozialstaat, der heute allerorten beschworen wird...