Undank ist der Welten Lohn

Von Groegge85 @Groegge85

Um kurz vor Mitternacht glich das U-Bahngleis 10 einem verwaisten Kriegsgebiet. Der Zug, vor den Trevor sich werfen wollte, hatte Verspätung. Fast schien es, als hätten die abendlichen Pendlern den Lebenshauch vom Gleis mitgenommen. Eine weggeworfene Zeitung knisterte leise, vor den Treppenstufen humpelte eine Taube und pickte nach Müll. Von Publikum fehlte jede Spur.

Trevor atmete tief durch. Seine Schuhspitzen berührten den Gleisrand, nur wenige Millimeter trennten ihn vom Abgrund. Er schaute über die Schulter, ob ihn jemand beobachtete. Außer der Taube sah er niemanden, also fing er an, sich langsam auszuziehen.

Mantel, Schuhe…

Irgendwo hatte er mal gehört, dass man das so machte: Seine Kleider ordentlich ablegen, falten und beiseite tun. Er wollte Ordnung hinterlassen, nicht noch mehr Chaos. Auch wenn es in ihm drin alles andere als friedlich aussah. Ob ihn morgen früh noch jemand sehen würde?

Oder war der Spuk da schon vorbei?

Trevor wusste nicht genau, wie in solchen Fällen verfahren wurde – bestimmt würde der Zugfahrer die Polizei rufen, oder? Es würde eine mächtige Sauerei geben, das ließ sich nicht vermeiden. Den Mitternachtszug hatte er bewusst ausgewählt. Niemand benutzte die Linie. Trevor war es unangenehm, dass morgen früh jemand wegen ihm zu spät zur Arbeit kommen sollte. Würde sich denn einer der Pendler wenigstens nach dem Grund fragen?

Nach dem wieso?

Trevor seufzte und zog den Brief aus der Hosentasche. Der zerknitterte Umschlag sah nicht nach viel aus. Auf die

Vorderseite stand mit Filzstift eine Name geschrieben.

Maria.

Vorsichtig legte er den Umschlag auf den gefalteten Mantel, als er von den Treppen her ein Geräusch hörte. Aus den Augenwinkeln nahm er eine schwankende Gestalt wahr. Er schaute auf und wünschte sich auf der Stelle, unsichtbar werden zu können.

„’Schuldigung, aber haben Sie ‘nen bisschen Kleingeld?“

Der Mann zog ein Bein hinter sich her. Er trug einen ausgefransten Mantel aus der Kleidersammlung, dazu eine Wollmütze, unter der wild abstehende Haare zum Vorschein kamen. Er roch wie eine voll gepisste Straßenecke. Mit ausgestreckter Hand kam er näher. Währenddessen stopfte er sich mit der anderen eine Banane in den Mund.

Der Obdachlose mampfte wie ein Pferd.

„Tut mir leid“, sagte Trevor und vermied es, ihm in die Augen zu schauen. „Ich hab’ nix. Es ist auch gerade kein guter Zeitpunkt.“

„Nur ein paar Cent. Für das Wichtigste, versteh’n sie?“

„Geld macht nicht glücklich“, antwortete er. „Nichts Wichtiges im Leben hat ein Preisschild.“

„Bier schon.“

Trevor stöhnte. Er fühlte sich unglaublich müde. Nach einem Moment des Zögerns hob er sein Portemonnaie vom Kleiderstapel wieder auf.

„Nimm“, sagte er. „Ich hab dafür keine Verwendung mehr.“

„Alles?“

„Die PIN für die Bankkarte steht auf der Rückseite“

Der Obdachlose schaute verdutzt. „Bist du irre?“, fragte er. „Oder krank?“

Trevor lächelte bitter. „Ich habe ein gebrochenes Herz.“

„Aha. Ist hoffentlich nicht ansteckend, oder?“

„Keine Angst. Es ist nur unheilbar. Und endet tödlich.“

„Hm.“

Der Obdachlose sah erst zu dem jungen Mann im Hemd, dann auf das Portemonnaie. Er murmelte etwas, das Trevor nicht verstand. Er leckte seinen Finger an und zählte fachmännisch die Scheine. Dann steckte er sie schulterzuckend ein und gab dem jungen Mann das Portemonnaie zurück. Er drehte sich um und ging, ohne ein weiteres Wort.

Auf dem Weg zog er einen Haufen alter Zeitungen aus dem Müll, schlurfte ans Ende des Bahnsteigs und legte sich auf einer der orangenen Sitzreihen zum schlafen.

Typisch. Undank ist der Welten Lohn.

Aus dem Portemonnaie ragte eine Papierecke heraus. Trevor zog es raus. Es war ein Foto.

Maria…

Auf dem Bild war ein lächelndes Mädchen zu sehen. Sie hatte lange braune Haare, eine fein geschnittene Nase und die mit Abstand zuckersüßesten Grübchen, die Trevor je an einem menschlichen Wesen entdeckt hatte. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Er erinnerte sich noch genau an ihr erstes Treffen.

Es war bei der ersten Sitzung des Abiball-Kommitees. Maria war erst kürzlich aus Berlin hergezogen und neu in der Klasse. Sie hatte sich den richtigen Zeitpunkt ausgesucht. Für den Rest des Schuljahrs brauchte sie sich nur noch um ein paar Prüfungen und dann die Party ihres Lebens zu kümmern.

Trevor hatte sich sofort in sie verliebt. Wie sie ihn angelächelt hatte – schon da hatte er gewusst, dass es für ihn nie eine andere Frau geben würde. Vielleicht war er ein verkappter Romantiker, aber für Trevor stand sein Schicksal auf Marias Lippen buchstabiert. Mit ihr ging die Sonne auf.

Dann hatte er sie in der Stadt gesehen, Hand in Hand mit einem Fremden.

Plötzlich schmeckte Zucker nur noch nach Süßstoff.

Was blieb, war ein fader Beigeschmack dessen, was hätte sein können.

Wieder starrte Trevor auf das Gleis. Sein Blick schimmerte glasig. Er konnte den kalten Stahl auf seiner Haut spüren. Er sah sich im Kies zwischen den Schienen liegen: Aus dem Tunnel näherten sich zwei Lichtkegel mit rasender Geschwindigkeit. Der Wind blies ihm die Haare von der Stirn. Das Letzte, was er sah, war – Dunkelheit. Für immer. Und dann Ruhe.

Die Abwesenheit von Schmerz blieb als letzte Verlockung, die ihn noch reizte.

Mit zitternder Hand wischte Trevor sich die Feuchtigkeit aus den Augen. Da knackten die Lautsprecher am Bahnsteig. Ein Rauschen ertönte. Das war sein Zeichen.

Er stellte sich mit den Schuhspitzen präzise an den Gleisrand, schloss seine Augen und atmete tief durch. Abgestandene Luft flutete durch seine Nasenlöcher; ein kalter Windhauch fuhr ihm am Hals entlang. Er fröstelte.

All das würde gleich keine Rolle mehr spielen. Ein paar Sekunden noch und…

„Ich fühle mit dir, Bruder.“

Trevor blinzelte mit einem Auge und schaute sich um. Er hatte eine Stimme gehört. Aber von wo?

In den letzten Minuten hatte sich niemand zu ihm gesellt; der Aufgang zum Bahnhof gähnte mit unverhohlener Leere, der Penner schnarchte auf seiner Bank noch immer leise vor sich hin. Er hatte sich nicht bewegt, nur mit dem Arm gezuckt und bestimmt nicht mit Trevor gesprochen.

Ich bin zu lange wach, dachte Trevor. Ich kriege Halluzinationen. Seit zwei Nächten hatte er nicht mehr geschlafen, die Schmerzen hielten ihn wach. Jetzt spielte ihm die Müdigkeit einen Streich. Da bemerkte er die humpelnde Taube, die auf ihn zu kam.

Sie war groß, fett und grau wie Straßenbelag. Sie hatte nur ein Bein. Damit hüpfte sie wie ein defektes Spielzeug auf Trevor zu.

Als sie direkt vor ihm stand, schaute sie ihn mit schwarzen Perlenaugen an. Etwas glitzerte darin.

„Ich bin Harry“, sagte die Taube. „Und du?“

„Du…“ Trevor biss sich auf die Lippe. Er musste wirklich sehr müde sein. „Du kannst sprechen?“

„Die Frage ist doch nicht, ob ich sprechen kann“, antwortete die Taube. „Sondern ob ich was zu sagen habe.“

„Und? Hast du?“

„Nein.“

Trevor lachte und schüttelte den Kopf. Langsam wurde es aber bunt hier unten. Er hätte bestimmt auch an das Medizinschränkchen seiner Mutter gehen können, doch er hatte sich den Mitternachtszug nicht ohne Grund ausgesucht. Er wollte mit klarem Kopf aus dem Leben scheiden, mit einem lauten Knall – nicht als sabbernder Spinner.

Ignorier sie einfach. Die geht von selbst.

„Was machst du?“ hörte er ein paar Sekunden später wieder die Taube hinter sich.

„Wonach siehst es denn aus?“

„Als würdest du dich umbringen wollen.“

„Und?“

„Deshalb frag ich ja. Das könnte ich zumindest verstehen. Glaub mir, ich stand schon ein paar Mal genau da wo du jetzt stehst.“ Er legte eine Pause ein. „Hat wohl nicht geklappt.“

Diesmal amüsierte Trevors Fantasie ihn sogar. „Du wolltest dich vor den Zug werfen?“

„Jeden verdammten Tag, Bruder.“

„Du bist eine Taube.“

„Stimmt. Vom Hochhaus springen fällt also flach.“

„Aber warum?“

„Na hör mal! Haben Tauben etwa keine Probleme?“

„Ich bin da nicht so auf dem laufenden…“

„Denk lieber nach, bevor du den Mund aufmachst!“, schimpfte Harry. „Du hast doch keine Ahnung, womit ich mich täglich rumschlagen muss. Ich fresse aus Mülleimern. Das ist Krieg! In dieser Stadt kämpfen jeden verdammte Tag zwei Dutzend Tauben um einen einzigen Abfallcontainer. Für euch sieht das lustig aus, wie wir über den Bahnhof humpeln und eure Reste aufpicken. Als wären wir eine große Familie beim Picknick. Aber glaub mir: Sobald die erste fallengelassene Pommes den Asphalt berührt, ist es mit der Freundschaft vorbei. Dann zählt nur noch der Hunger. Neulich erst musste ich mitansehen, wie meinem Kumpel die Augen ausgehackt wurden. Wegen ein paar Croissantkrümeln. Ich könnte immer noch kotzen.“

„Das…klingt furchtbar.“ Trevor schluckte.

„Und Krankheiten erst!“, rief Harry. „Los, such dir einen Buchstaben aus: Ich sag dir eine passende Krankheit dazu. Wie wäre es mit ‘C’, für Cholera? Oder ‘S’, wie Syphillis? Vielleicht ‘G’, wie Genital-“

„Schon gut, ich glaube dir!“

„Siehst du das hier?“ Harry hob den Flügel und zeigte sein Bein. „Davon hatte ich mal zwei. Das andere schimmelt noch am Kirchturm am Marktplatz. Vorletzte Woche sitze ich oben auf dem heiligen Christophorus, mache mein Geschäft auf seiner Mütze – da sehe ich, wie unten auf dem Platz eine Frau ihr Müsli fallen lässt. Eine volle Packung, einfach aufgerissen und auf dem Pflaster verteilt. Rosinen und Trockenfrüchte – Jackpot, sag ich dir!

Ich war natürlich nicht der einzige, der das gesehen hat. Da ging sofort ein Schnattern durch die Meute. Also hab ich mich beeilt und bin los. Ich war der Erste am Buffet. Aber als ich mich nach der ersten fetten Rosine bücke, merke ich plötzlich: Mein Bein ist futsch! Einfach weg. Kannst du dir das vorstellen?“

Auf Trevors Stirn formten sich dezente Falten. Im Moment konnte er sich eine ganze Menge vorstellen. Zum Beispiel, wie er einsam am Gleis und sich wie ein Trottel mit einer Taube unterhielt. Hoffentlich bekam der Obdachlose nichts mit.

Trotzdem: Irgendwie fühlte er sich auf einmal schlecht. Das Bein sah schon sehr ekelig aus.

„Das tut mir wirklich leid. Ernsthaft.“

„Und weshalb bist du hier?“

„Ich…“ Trevor zögerte. „Das geht dich nichts an.“

„Geldsorgen?“

„Das ist privat.“

„Ah. Frauen also.“

Trevors Gesicht verfärbte sich blassrot. Scham mischte sich mit Zorn, aber er biss die Zähne aufeinander und schwieg.

„Ich hatte auch mal eine Frau“, lamentierte Harry. „Moira war ihr Name. Das fetteste Miststück, das ich je gesehen habe. Einen Arsch wie einen Vollmond hatte die. Zum Reinbeißen.“ Er tat so, als würde er seinen Schnabel genüsslich in einen Kuchen versenken. „Guter Gott, ich war verrückt nach ihr. Die Jungs am Bahnhof haben sich die Hälse nach ihr ausgerenkt. Rate, wen sie sich ausgesucht hat? Mich. Jackpot! Einfach unfassbar.“

„Was ist aus ihr geworden?“

„Straßenbelag.“

„Oh…“

„Ein Bus hat sie überfahren“, seufzte die Taube und senkte traurig den Kopf. „Vor meinen Augen. Die Passanten am Bürgersteig haben geklatscht. ‘Eine fliegende Ratte weniger!’ meinten sie. Dabei war sie meine fliegende Ratte. Das ganze letzte Jahr lang.“

Harry holte tief Luft. Als er sich wieder gefangen hatte, fragte er: „Und – wie lange warst du mit deiner zusammen?“

Ein schaler Geschmack machte sich Trevors Mund breit. Er schämte sich. Erstens, weil er mit einer eingebildeten Taube sprach; zweitens, weil er nicht wusste, was er ihr antworten sollte.

Alles, was er ihr sagen konnte, wäre albern gewesen.

„Ich wäre jetzt gerne alleine“, sagte er nach kurzer Zeit.

Harry hob seinen hängenden Kopf, als wollte er etwas sagen, da wurde er durch ein Knacken in den Lautsprechern unterbrochen.

Ein Rauschen war zu hören. Eine Bandansage ertönte. In knappen Worten kündigte die gelangweilte Frauenstimme den Mitternachtszug auf Gleis 10 an. Als sie die Ankündigung wiederholte, nahm Trevor seinen Platz am Gleisrand ein.

„Und nun?“

„Es ist so weit“, erklärte Trevor ernst. Er versuchte es zwar zu überspielen, aber seine Stimme flatterte. „Ich muss los.“

„Na endlich.“

„Was?“

Flügel flatterten. Von einem Moment auf den anderen war Harry vom Boden verschwunden. Trevor suchte nach ihm, als etwas auf seine Schulter drückte.

Harrys Schnabel stach ihm fast ins Auge.

„Du hast mich überzeugt“, sagte er. „Ich halte es nicht mehr aus. Ich sehe ja, wie dreckig es dir geht. Wenn du springst, kann ich ja mitkommen.“

„A-aber…das ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Das muss ich alleine machen!“

„Quatsch nicht rum. Willst du jetzt springen, oder nicht?“

„I-ich…“

„Dann komm. Ich sehe schon die Scheinwerfer. “

Das Echo des nahenden Zuges rauschte aus den schwarzen U-Bahntunneln heran. Der Spannungsgeber auf dem Gleis knisterte; kleine Blitze sprangen ungeduldig hin und her.

„Ich bin so aufgeregt!“, rief Harry. „Das wird ein Abenteuer!“

Trevor hatte Mühe, seinen Enthusiasmus zu teilen – was zum Teufel war hier los?

Er wollte sich doch nur vor einen Zug werfen und seinem Elend endlich ein Ende bereiten. Die Welt ist ein gemeiner Ort, dachte er. Und jetzt sitzt eine sprechende Taube auf meiner Schulter und will sich mit mir in den Tod stürzen. Was sollen nur die Leute denken?

„Zwei Wochen!“ platzte es wie ein Ballon aus ihm raus. Der anschwellende Lärm begrub fast seinen Ausruf. „Es waren nur zwei Wochen!“

„Wovon sprichst du?“

„Von Maria! Ich kenne sie doch erst seit zwei Wochen!“

Harry schaute ihn fragend an. Der Vogel besaß weder Mund noch Lippen, trotzdem huschte ein Ausdruck der Verachtung über sein Gesicht.

„Das spielt keine Rolle!“ rief Harry. „Schmerz ist Schmerz – ob ihr jetzt einen Tag oder ein Jahrhundert miteinander verbracht habt.“

„Es war auch mehr so etwas wie eine Fernbeziehung…“

„Was?“

„Sie weiß doch gar nicht, dass ich existiere. Ich habe sie nur aus der Ferne angeschmachtet.“

„Hast du sie mal angesprochen?“

„Nein, aber…“ Trevor zitterte. „Ich glaube, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, das nachzuholen. Warte, ich rufe sie an.“

„Nix da! Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Jetzt ist es zu spät.“

„Ich will nicht mehr!“ rief Trevor verängstigt. „Ich habe keine Lust mehr zu springen!“

„Selber schuld! Wer A sagt, muss auch B sagen!“

Jetzt reckte der Zug bereits seinen Kopf aus dem Tunnel. Bremsen quietschten. In wenigen Sekunden würde er zum Stehen kommen.

„Ich kann das ganze Alphabet aufsagen, wenn ich will!“ schrie Trevor verzweifelt. „Ich bin doch nur ein verdammter Teenager. Wer hört denn schon auf das, was ich sage?“

„Na, ich! Halt dein Maul und spring!“

„Nein!“

Der Zug fuhr ein; die Betonsäulen vibrierten von der Erschütterung. Mit einem sanften Ruck glitt der stählerne Wurm auf Gleis 10 in die Halteposition und gab ein zischendes Schnaufen von sich.

Harry hatte die Augen geschlossen gehalten. Er hörte, wie die pneumatischen Türen pfiffen und öffnete sie vorsichtig.

Wo war der Junge hin?

In dem Chaos aus Lärm, Aufregung und Angst, hatte er sich in Luft aufgelöst. Harry fand sich auf dem Boden wieder. Er musste ihn abgesetzt haben und gerannt sein; seinen Mantel und das Portemonnaie hatte er eingesteckt. Nur den Brief hatte er zurück gelassen. Harry sah zu, wie ein Luftstoß das Papier zwischen die Zugräder wehte.

Eine traurige Handvoll müder Gestalten quälte sich aus den Waggons. Eine Punkerin mit grünen Haaren setzte ihren Stiefelabsatz vor Harrys Schnabel ab. Sie hielt an und betrachtete die Taube. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke.

„Verpiss dich“, keifte sie und zuckte mit dem Fuß. Harry sprang zur Seite. Ihr Stiefel verfehlte knapp seinen Kopf und sie ging weiter.

Als die Ausgestiegenen zur Treppe eilten, schlossen sich die Türen wieder. Der Stahlwurm holte Luft. Zäh zog er sich vorwärts und nahm langsam Fahrt auf. Die roten Rücklichter blinkten und Harry schaute ihnen zu, wie sie in der Dunkelheit verschwanden.

Typisch, seufzte er innerlich. Undank ist der Welten Lohn. Ich hab die Schnauze voll.

Humpelnd hüpfte er in Richtung der Treppenstufen.

Jede Woche kam ein neuer Vollidiot, der meinte, sich wegen einem seelischen Wehwehchen vor den Zug werfen zu müssen. Sie alle hatten irgendeinen tränenbefleckten Liebesbrief, oder ein Manifest über die Ungerechtigkeit der Welt in der Tasche.

Aber sobald eine sprechende Taube sich ihnen anschloss, waren sich alle plötzlich zu fein für den letzten Schritt.

Was sollte das?

Den nächsten, beschloss Harry, würde er einfach machen lassen.