Und wo sollen wir Sie ausstreuen?

Und wo sollen wir Sie ausstreuen? „Nirgendwo“, sagte sie. „Ich will den Leuten nicht die Blumen in ihren Gärten besudeln“.

 

Mariusz Szczygiel: „Gottland. Reportagen“, 2006, 271 Seiten.  

Lída Baarová ist der große Star der tschechischen Filmindustrie. Und sowohl Adolf Hitler, den erinnert sie an die verstorbene Nichte Geli Raubal, wie auch Joseph Goebbels, der sich mit den Sternen und Sternchen der germanisierten Filmindustrie versorgen lässt, werfen ein Augen auf sie. Was der Baarová bitter aufstößt nach dem Krieg, da die Menschen sie als Kollaborateurin sehen, als Goebbels Liebchen. Jene Frau brandmarken, die wie keine andere „gute Beziehungen“ zu den Größen des NS-Regimes pflegte  – doch was sie in der Öffentlichkeit tat, taten andere im Kleinen und Geheimen und dafür hassen sie die Baarová jetzt. Sie selbst nennt sich eine Dumme. Aber es wirkt. Einfach verschwinden will sie, da ist Vaclav Havel längst Präsident – nicht einmal ihre Asche soll jemanden belästigen.

Und 1948 ging es gleich weiter. Nach dem Februarputsch wird die Tschechoslowakei kommunstisch. Wer sich  nicht einordnet, wird gefangen gesetzt, kommt in Einzelhaft, wird verleumdet. Als die unterwürfige kommunistische Partei Joseph Stalin ein Denkmal errichten lassen will, das größte der Welt soll es werden, wird ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich die führenden Bildhauer des Landes zu beteiligen haben. Einige sind schlau und liefern absurde Entwürfe ab, andere sind ungeschickt und kommen in die engere Auswahl, einer hat Pech und gewinnt. Otakar Švec ist kein bedeutender Bildhauer, aber immerhin verschafft der Auftrag ihm zwei Ateliers, etwas Ansehen, aber das schlägt bald um in blanken Terror. Die einen sehen in ihm den Kollaborateur, der dem anderen, noch lebenden großen Diktator ein Denkmal setzen möchte, die anderen pfuschen ihm ins Handwerk, kommen als Abgesandte des Politbüros ins Atelier und schnippeln mit Taschenmessern die tönernen Köpfe der Figuren hinter Stalin ab, damit der Generalissimus der größte bleibe. Švecs Frau dreht den Gashahn auf. Sie hält das nicht aus. Švec selbst ist längst Spielball. Warum das Denkmal eigentlich Prag den Rücken zudrehe, wird er gefragt, Stalin schaue nach Osten, mag er die Stadt nicht, verhöhne der Bildhauer damit gar die tschechoslowakischen Arbeiterinnen und Arbeiter?

Es ist Abend, kurz vor der Denkmalsenthüllung. Otakar Švec verläßt sein Atelier, nimmt ein Taxi, fährt zum Letná-Hügel, um sich inkognito das Denkmal anzusehen. Er fragt den Taxifahrer, was er von dem Werk hält.

„Ich werde Ihnen was zeigen“, sagt der Taxifahrer.„Gucken Sie sich mal die sowjetische Seite an!“

„Was ist damit?“

„Aber das sieht man doch sofort. Die Partisanin faßt dem Soldaten an den Hosenschlitz.“

„Was?!“

„Ich sag Ihnen, wenn das enthüllt wird, dann wird derjenige, der es entworfen hat, hundertprozentig erschossen.“

Otakar Švec kehrt in sein Atelier zurück und bringt sich um. Stalin-Denkmal, linke Seite

Damit nicht genug. Sieben Jahren später, während der tschechoslowakischen Phase der Entstalinisierung, soll 1962 das Denkmal verschwinden. Doch immer noch steckt die Furcht in den Gliedern. Schließlich kann morgen schon wieder Verbrechen sein, was heute noch staatliches Gebot ist. Was den Ingenieur, der das Monument aus Granit aus dem Weg räumen soll, ähnlich zerstören wird wie dessen Erbauer.

„Sprengen Sie es würdevoll. So, daß bloß kein Protest azs der UdSSR kommt“, weist ihn der Sekretär des Bezirkskomitees der Partei an und nennt die Bedingungen: Keine Explosionskörper an Stalins Kopf!“

Um dem Sakrileg zu entgehen, werden zwei Steinmetze nach oben befördert, die fortan etwa zwanzig Zentimeter große Blöcke aus Stalins Kopf heraushämmern und die Teile im Lastenaufzug nach unten befördern, denn hinabzuwerfen, das wagt sich keiner. Den Rest erledigen dann 2100 Sprengladungen.

Mariusz Szczygiel, Journalist bei der polnischen Gazeta Wyborzca, belässt es nicht beim Anekdotischen. Er durchpflügt mit Interviews und Aktenstudium 50 Jahre tschechoslowakische Geschichte: Die Gründung der Bata-Werke, der Lucerna-Palast, Vaclav Havel und die Charta 77, Kirchberger/Fabían – einen Schriftsteller, den es doppelt gab, und das Kafka-Verbot während des Kommunismus – zu sehr erinnerten dessen Schriften an die Absurdität und den Terror des eigenen Lebens. Einer Literatur-Studentin aus den USA wird so 1985 der Rat gegeben, “ [...] in ihrer Arbeit über Kafka den Namen Kafka besser nicht zu erwähnen.“

Und dann natürlich Karel Gott. Nach dem ist ein Museum benannt. Gottland heißt es tatsächlich:

„Das Museum Gottland ist eine Villa, die Gott einmal als Sommerhaus erworben hat. An einem normalen Werktag ist der Parkplatz voll, die Busse kommen aus dem ganzen Land. [...] Die Mehrzahl der Besucher ist im Rentenalter.  Sie halten sich aneinander fest,  [...]. Sie sehen aus, als wollten sie sich am liebsten gleich hineindrängeln, um sich jetzt, auf der Stelle, davon zu überzeugen, daß ihr Leben in Ordnung war.“

Szczygiel verurteilt nicht. Er lässt zu Worten kommen, wer zu Wort kommen möchte. Gott, der sozialistische Elvis Presley, kommt unbeschadet durch die Zeit der Diktatur hindurch – im Gegenteil, er profitiert von ihr, ist Aushängeschild im Ausland und im eigenen Land wählen ihn die Hörer beinahe jedes Jahr  zu ihrem Liebling, worauf er die „Goldene Nachtigall“ erhält.

„Man muß sich heute genauso anpassen. In anderen politischen Systemen ist es doch auch so, daß es ein böses Ende nehmen kann, wenn einer sich nicht an den rechten Weg hält. Über die Gründe für den Tod von Monroe, Lennon, Morrison und ihresgleichen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten können wir doch nur spekulieren.“

Fabuliert der Mann, der mit der Ouvertüre  zur „Biene Maja“, das „Billie Jean“ der Kinderzimmer gesungen hat.

Andere hatten weniger Glück. Marta Kubisová singt das Gebet. Zur Unzeit. Denn in  Prag ist 1968 Frühling und die Menschen wählen den Song als Hymne des Widerstands gegen die Soldaten der Sowjetunion und der Bruderstaaten. Marta Kubisová verschwindet nach der Restaurierung des Systems, singen darf sie bis in die 90er nicht mehr. Wie andere „Meinungsmacher“ darf sie ihren Beruf nicht länger ausüben. Schriftsteller werden abkommandiert zur Arbeit in der Kanalisation, Schauspielerinnen werden im eigenen Theater Putzfrau, andere schrauben Arme an Spielzeug- Teddybären – und haben Glück, gedemütigt zwar, aber die Haft bleibt ihnen erspart.

Szczygiel räumt auf mit der Mär des lustigen und verschmitzten Soldaten Schwejk. Wo jener sich charmant durchlaviert, deckt der polnische Autor die Brüche auf, in denen die Bürger eines Landes sich kompromittieren – zur Erklärung stets dasselbe Lied: schließlich habe man  durchkommen müssen. Charme hat das nicht. Charme hat auch nicht, wie nach jedem geschichtlichen Knick, die eigene Biographie neu eingenordet wird und andere – stellvertretend – moralisch geopfert werden.

Der Autor setzt sich nicht auf einen Richterstuhl. Er sammelt Material, bietet dem Leser verschiedenen Versionen an, lässt jenen selbst entscheiden. Wie man sich selbst verhalten hätte in diesen Zeiten, die Frage steht unausgeschrieben zwischen den Zeilen, Man denkt sie mit. Wäre man in der Kanalisation gelandet oder Gott geworden? Hätte man die Nachbarn denunziert, um die eigene Haut zu retten, wäre man geflohen oder in das eingekehrt, was sich innere Emigration  nennt?

„Gottland“ ist sprachlich wunderbar (auch in der Übersetzung), erzählerisch großartig und erlebt in Reportagen, was intelligenter Literatur gelingen  kann, geht sie mitten hinein ins Leben. Gut.

Bruten Butterwek


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