Und noch ein Kruzifix-Urteil

Wenn der Vatikan jubelt, ist das für einen vernunftbegabten Menschen meist kein Grund zur Freude. Man muss dann zwar auch nicht immer besorgt sein, aber um so mehr nachdenken. Zum Beispiel auch über das Urteil des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über das Recht italienischer Schulen, Kruzifixe in ihre Klassenzimmer zu hängen - und nein, das ist kein "EU-Gericht", dass ein "EU-Urteil" fällt, obwohl Sie das heute bestimmt wieder im Dutzend lesen können.

kruz

Jene, die gegen das entsprechende deutsche Kruzifixurteil protestieren und nun Morgenluft wittern, haben entsprechend auch Pech gehabt: Mag die Urteilsbegründung auch in einem gewissen Kontrast zum BVG-Urteil von 1995 stehen, dass staatlich verordnete religiöse Symbole in staatlichen Schulen untersagte, ist der zentrale Satz für die hiesige Debatte an Deutlichkeit nicht zu übertreffen:

"Die Entscheidung, Kruzifixe in Klassenzimmern anzubringen, fällt in den Beurteilungsspielraum des Staates."

z.B. Spiegel.de

Der Kontrast entsteht vor allem durch die in Straßburg niedergeschriebene Feststellung, dass Kreuze nicht automatisch Instrumente der Indoktrination sind...

... dass beim Kruzifix in Klassen keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliege und "sich nicht beweisen lässt, ob ein Kruzifix einen Einfluss auf die Schüler hat"

z.B. Welt.de

... was aber eben auch nicht bedeutet, dass ein solcher Einfluss generell ausgeschlossen wird, wie man hier und da lesen kann.

Ich bin übrigens auch nicht der Überzeugung, dass die Präsenz eines Kreuzes aus Minderjährigen automatisch gläubige Katholiken macht. Da sprechen die stetig sinkenden Mitgliederzahlen beider christlicher Kirchen eine unmißverständliche Sorache, von aktiven Kirchgängern wollen wir garnicht reden. Gleichzeitig leisten wir uns aber  quer durch Europa Debatten und sogar Gesetze, die feststellen, dass bereits ein Kopftuch im Klassenzimmer ausreicht, um Schüler mit dem islamischen Glauben zu infizieren.

Ich rede nicht von der Burka, wobei eine Frau, die sich aus welchen Gründen auch immer genötigt sieht, diese Vollverschleierung zu tragen, erfahrungsgemäß eine sehr unwahrscheinliche Kandidatin für irgendeinen Beruf ist, bei dem sie das Haus verlassen muss. Ich brauche keine Islampanik, um an dieser Stelle festzuhalten, dass ich jede Form von Kostümierung im Staatsdienst schlichtweg unangemessen finde.

Aber die Debatte geht ja eben - sogar in erster Linie- um Kopftücher. Ich bin gespannt, wenn auch pessimistisch, ob das Urteil dann auch konsequenterweise an dieser Stelle Nachwirkungen hat, ist doch...

"... mit dem Urteil vom Freitag die Einheit von Religionsfreiheit und Menschenrechten in gewisser Weise wieder hergestellt".

Vatikansprecher Lombardi auf Radio Vatikan

Ich bin etwas irritiert über den dort geäußerten Zusatz, dass es sich um einen Widerspruch "zu den religiösen Fundamenten der europäischen Zivilisation" gehandelt habe. Denn entweder geht es hier um Religionsfreiheit, oder es geht um die Wahrung von Fundamenten - Religionsfreiheit stellt Religionen keinen Qualitätszeugnis aus. Sie können eben auch Bäume umarmen - eher selten in Klassenzimmer anzutreffen. Entsprechend verwirrend ist dann zum Beispiel auch dieser Kommentar, wie ich ihn auf Tagesschau.de gefunden habe:

"Dieses Urteil ist ein deutliches Zeichen für die Religionsfreiheit der Mehrheit in diesem Lande."

Das meine ich mit: Man muss umso mehr nachdenken, wie ich am Anfang sagte. Freiheit kennt keine Mehrheiten und Minderheiten. Und mal so ganz am Rande: Rein ästhetisch fände ich Bäume im Klassenzimmer besser als ans Kreuz genagelte Leute.

Und hier kommt das Wetter.

Kommentare


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