Ich lese gerade »Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (Amazon-Affiliate)«
Zugegeben. Das Buch ist an vielen Stellen polemisch, die Beispiele sind streckenweise besonders krass. Aber ich sehe seine Motivation, seine Grundthese mit plakativen und krassen Beispielen leicht zu überzeichnen. Ich mag das Buch und möchte die Lektüre des Buches empfehlen.
Durch dieses Buch bin ich auf den Text »Und niemand hatte Schuld …!« eines unbekannten Verfassers gestoßen. Der Text wahr wohl im Stern 1/2004 auf Seite 197 abgedruckt und findet sich im Internet an zahlreichen Stellen. Bis gerade eben war mir der Text unbekannt.
Ich möchte nicht alles in diesem Text unterzeichnen.
So bin ich froh, dass heute alles für Babies BPA frei sein muss, viele (leider nicht alle) Spielzeuge TÜV- oder GS-getestet werden, es Normen für die Sicherheit von Baby- und Kleinkindspielzeug gibt. Die Errungenschaften im Straßenverkehr sorgen heute trotz gestiegenem Verkehrsaufkommen zu weniger und weniger schweren Unfällen mit Kindern. Auch die heutigen Empfehlungen zur Vermeidung des plötzlichen Kindestodes sind gut und sorgen dafür, dass immer weniger Säuglinge am plötzlichen Kindestod sterben. Und noch vieles mehr.
Auch ist der Text (absichtlich?) überspitzt und die heutige Realität nicht durchgängig so trist, traurig und einengend für die Kinder. Ich denke, er sollte mit einem lachenden Auge gelesen werden. Aber ich finde ihn lesenswert und es Wert, darüber nachzudenken.
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Und niemand hatte Schuld …!
Wenn Du nach 1978 geboren wurdest, hat das hier nichts mit Dir zu tun … Verschwinde! Kinder von heute werden in Watte gepackt …
Wenn Du als Kind in den 50er, 60er oder 70er Jahren lebtest, ist es zurückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten! Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt in strahlenden Farben voller Blei und Cadmium.
Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel. Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Fingerchen. Auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm. Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen.
Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar. Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wußte, wo wir waren, und wir hatten nicht mal ein Handy dabei!
Wir haben uns geschnitten, brachen Knochen und Zähne, und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle. Niemand hatte schuld, außer wir selbst. Keiner fragte nach »Aufsichtspflicht«. Kannst Du dich noch an »Unfälle« erinnern?
Wir kämpften und schlugen einander manchmal bunt und blau. Damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht. Wir aßen Kekse, Brot mit Butter dick, tranken sehr viel und wurden trotzdem nicht zu dick.
Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche und niemand starb an den Folgen. Wir hatten nicht: Playstation, Nintendo 64, X -Box, Videospiele, 64 Fernsehkanäle, Filme auf Video, Surround-Sound, eigene Fernseher, Computer, Internet-Chat-Rooms.
Wir hatten Freunde. Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Straße. Oder wir marschierten einfach zu deren Heim und klingelten. Manchmal brauchten wir gar nicht klingeln und gingen einfach hinein. Ohne Termin und ohne Wissen unserer gegenseitiger Eltern. Keiner brachte uns und keiner holt uns … Wie war das nur möglich?
Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken und Tennisbällen. Außerdem aßen wir Würmer. Und die Prophezeiungen trafen nicht ein: die Würmer lebten nicht in unseren Mägen für immer weiter, und mit den Stöcken stachen wir nicht besonders viele Augen aus. Beim Straßenfußball durfte nur mitmachen, wer gut war. Wer nicht gut war, musste lernen, mit Enttäuschungen klarzukommen.
Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbewertung.
Unsere Taten hatten manchmal Konsequenzen. Und keiner konnte sich verstecken. Wenn einer von uns gegen das Gesetz verstoßen hat, war klar, dass die Eltern ihn nicht aus dem Schlamassel heraushauen. Im Gegenteil – sie waren der gleichen Meinung wie die Polizei! So was!
Unsere Generation hat eine Fülle von innovativen Problemlösern und Erfindern mit Risikobereitschaft hervorgebracht. Wir hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung. Mit alldem wussten wir umzugehen.
Und du gehörst auch dazu. Herzlichen Glückwunsch!