er erzählte es dem jungen stationsarzt, seinem bezugstherapeuten: „wenn ich einfach so die augen schließe, ohne daß ich schlafe, tun sich sofort bilder auf wie in einem fieberwahn, wie in fieberträumen, die sekündlich wechseln und sich im ganzen körper als schmerzflutungen zusammenlaufend bündeln. und so ist es auch nachts oder wenn ich aufwache und jetzt auch schon oftmals ohne daß ich überhaupt die augen schließe, ich werde überflutet von bildern, die sich als schmerzen bündeln, pausenlos, auch im wachen zustand, auch da kommen im sekundentakt bilder und gedanken wie im fieber auf, die sich dann flutungsgleich in schmerzen in mir bündeln, in der nächsten sekunde erneut entstehen, wieder flu…“
„das ist doch schön, wenn sie die augen schließen und die bilder des tages sie einlullen, spüren sie diesen nach und genießen sie sie.“, sagte der arzt.
„die fließen doch in unerträglichen schmerzflutungen in mir zusammen, das sind doch keine bilder, die den tag abschließend in sich angenehm durch mich durchrieseln und mich wegdämmern lassen, das sind bilder mit mir völlig unbekannten darstellungen und menschen, die ich nie zuvor gesehen habe, die innerhalb auch nur einer sekunde von anderen abgelöst werden und schmerzen als flutungen im ganzen körper bündeln.“ der mann war kurz davor zu schreien, ging unter in seiner verzweiflung, spürte die tränen über sein gesicht laufen, sackte in seiner qual noch tiefer in sich zusammen und sagte nur: „und dann muß ich mich zwischendurch oftmals übergeben, die beine knicken ein, doch es hört nicht auf, egal was ich tue, es hört nicht auf, es ist einfach nicht abzustellen…“
„ich glaube, am besten ging es ihnen immer, wenn sie gar keine medikamente genommen hatten.“
„das ist nicht wahr.“, rief der mann aus seinem zusammengesacktsein hervor, stockte und sagte erregt: „und dann hänge ich in einer verbalen spirale, in einem verbalen kreislauf fest, kann nur noch und pausenlos über meine zustände reden, über die greul in dieser erkrankung, das ist wie ein zwang, das muß ein zwang sein, eine zusätzliche zwangserkrankung, das ist einfach nicht mehr abzustellen, das macht mich verrückt und ich weiß nicht, wie ich diesen verbalzwang, diese verbalen zwänge, die sich wie spiralen immer zugespitzter im kreise drehen…“
„sie haben keinen zwang. es gibt auch eine sogenannte jammerdepression. aber eine depression geht auch mal vorbei.“
„aber warum bei mir denn nicht, über drei jahre tag und nacht diese furchtbaren…“
„gab es nicht auch mal einen tag, an dem es ihnen besser ging?“
„nicht eine stunde ohne qualen, nicht eine stunde, in der ich…“
„haben sie keine kumpels von früher? gehen sie doch einfach mal mit alten kumpels in die kneipe und trinken mit denen einen. oder meinen sie, sie sitzen dann auch so mit hängenden schultern da, wenn sie sich mit alten kumpels in der kneipe treffen und einen trinken, ich kann mir nicht vorstellen, daß sie dann dort genauso zusammengesunken dasitzen wie hier bei mir, da werden sie…“
der mann stöhnte auf.
„ach ja, sie dürfen ja nichts mehr trinken.“ der arzt überlegte kurz: „tavor und alkohol bringen auch nichts. aber vielleicht sollte man morphium nehmen, bevor man an den störungen stirbt…“
„und die ängste? nur noch ängste, ich habe vor allem angst, vor zu hause, vor meiner frau…“
„ach ja? und im letzten jahr haben sie mir noch erzählt zuhause sei alles in ordnung und mit ihrer frau auch, ich hatte damals schon nicht verstanden, daß ihre frau sich nicht einmal darüber aufregt, wenn sie spielen gehen. und so wie ihre mutter als kind mit ihnen umgegangen ist, ihnen nicht einmal das geringste zugetraut hat, ist es kein wunder, daß aus ihnen auch nichts geworden ist, aus ihnen nichts werden konnte…“
nichts aus ihm geworden? der mann schleppte sich in seinen ausnahmezuständen an den computer. hatte er nicht jahrzehntelang texte geschrieben? o.k., tausende hatte er weggeschmissen, einfach vernichtet, mit den eigenen händen geschreddert, aber auch hunderte seiner allerersten handgeschriebenen texte jahre später in die nur über beziehungen beschaffte ddr-plastik-reiseschreibmaschine ’erika’ gehackt, texte, die er nach seiner ausbürgerung aus der ddr über einen mittelsmann, einen diplomatensohn, der täglich in west-berlin die schule besuchte, von ost-berlin nach west-berlin hatte schmuggeln lassen. in berlin-west hatte er sie in empfang genommen, mit ihnen sein notaufnahmeverfahren in marienfelde durchlaufen, hatte sie in einem DRK-durchgangsheim mit sich rumgeschleppt und sie später nach hamburg mitgenommen. und das nur, um sie in hamburg in eigener handanlegung zu zerreißen, sie für immer zu vernichten. nur weil er sich für seine alten texte schämte? weil ihm neue dinge in einer anderen welt jetzt näher lagen, er seinen alten lebensballast wie stauemotionen los werden wollte? mitunter schredderte der mann immer noch per hand, riß alles in winzig kleine schnipsel, wie damals. um etwas für die stasi unkenntlich zu machen, etwas für immer verschwinden zu lassen, nur um sich zu schützen? und jetzt vielleicht auch nur, weil aus ihm nichts geworden ist?