Österreichs Kabarett-Vergangenheit: u. a. Cissy Kraner, Hugo Wiener,Karl Farkas,Ernst Waldbrunn,Gerhard Bronner,,Heinz Conrads
Und ewig stirbt das Kabarett
GÜNTER VERDIN Kabarett ist, wie Fußball übrigens auch, eine sehr demokratische Angelegenheit: Jeder kann mitreden. Hat man die Pointe verstanden, ist alles gut, hat man den Witz nicht kapiert, ist alles schlecht. Schon im Begriff Kleinkunst ist die permanente Unterschätzung manifestiert: Kabarettprogramme werden in den meisten Fällen nicht von den Kritikern besprochen, die sich mit Hochkultur befassen, sondern oft von Volontären oder freien Mitarbeitern. Die gern beschworene Krise des Kabaretts ist auch die seiner Kritiker: Wer hat heute schon noch die Zeit für eine ernsthafte Analyse und genaue Beobachtung? Die meisten Rezensionen begnügen sich mit der Aufzählung der lustigsten Pointen. Der gut gemeinte Dienst am Leser beruht auf einem Missverständnis: Nichts verblüht nämlich schneller als die Pointe im politischen Kabarett, meist überlebt sie nicht das Trocknen der Druckerschwärze.
Während in Österreich das Kabarett immer schon eine sehr komödiantische Form der Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit präsentierte, ist in der Bundesrepublik Deutschland aktuell ein Richtungsstreit entbrannt. Die angebliche Verquickung von Kabarett und Comedy (die nie geplant war) in einem neuen ARD-Fernsehformat brachte die Verteidiger des orthodoxen politischen Kabaretts auf die Palme, von der sie nur schwer herunterzubringen sind.
Und da sind wir wieder bei der wunderbaren Meinungsvielfalt. Für die einen ist Kabarett vor wütende, ernsthaft grimmige Meinungsäußerung wider die als belastend empfundenen gesellschaftlichen Umstände: Der Kabarettist spielt das erboste Echo der Beladenen und Unterdrückten, deren Wut er zwar elegant zu artikulieren weiß, die er aber auch nur theoretisch, nicht etwa durch politische Aktion lindern kann. Diese Art des sicher nicht nur vordergründig engagierten Kabaretts hat viele leidenschaftliche Anhänger.
Die andere Form – ungleich populärer, aber auch heftig von den Freunden der puristischen Meinungsfraktion bekämpft – hat sich aus der sachlichen Erkenntnis heraus entwickelt, dass Kabarett die Bühnenrealisation von Satire ist. Bühne wiederum ist Zeit und Raum, und die wollen gefüllt sein. Ein Kabarettvortragender, der, auf einem Stuhl sitzend, sich darauf verlässt, im besten Fall genial, im schlimmsten Fall abtörnend, mit dem geschliffenen Wort allein Raum und Zeit zu füllen, wäre wahrscheinlich im Hörsaal oder als Buchautor besser aufgehoben als auf der (Theater-) Bühne. Das sogenannte literarische Kabarett, das mit allen Möglichkeiten der Bühne Erkenntnisse lustvoll und bildhaft einleuchtend provoziert, ist kein Gegensatz zum politischen Kabarett, sondern eine Erweiterung.
Große Missverständnisse gibt es auch auch in Bezug auf das Mittel der Parodie. Manche, und meist die, welche über kein parodistisches Talent verfügen, denunzieren die Parodie a priori als Blödelei – ein Vorwurf, der allenfalls bei der reinen Imitation stichhaltig sein kann. Die Parodie aber ist immer entlarvend, weil sie nicht die Autorität, aber die selbstverliebte und selbstverständliche Macht attackiert. Die Parodie überzeichnet nicht nur Mimik und Gestik, sondern auch den Sprachduktus und – im besten Falle – auch die Denkstrukturen der betroffenen Persönlichkeit. Der aktuelle Richtungsstreit in Deutschland, der ja nichts anderes ist, als ein eher erbärmlicher Streit um den Bart des Propheten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Kabarett eine uralte Institution ist, die schon tausend Tode gestorben ist und noch weiter sterben wird. Auf das Kabarett, das sich wachen Auges mit unserer zusehends medial vermittelten Realität etwa im Spiel mit literarischen Formen und neuen technischen Möglichkeiten auseinandersetzt, warten wir noch. Dieses experimentierfreudige Kabarett findet aber nicht in den großen Sälen und der quotenbestimmten Fernsehlandschaft statt, sondern irgendwo auf kleinen Bühnen in Österreich und auch in Deutschland. Tv / 23.04.2009
Die gnadenlose Abrechnung
MotzArt-Woche. Das Kabarettfestival im Nonntal wurde von Tim Fischer und Werner Koczwara in Gang gebracht.
GÜNTER VERDIN SALZBURG (SN). Bettgeschichten am Freitagabend in der Salzburger ARGE Kultur zur Eröffnung des 27. Motzart Kabarett Festivals: Der Meister – Georg Kreisler – war, wie mitgeteilt wurde, bereits müde zu Bett gegangen, aber sein zwischen boshafter Resignation und poesievoller Hoffnungslosigkeit pendelnder Geist schwebte über dem vom Publikum herzlich bejubelten Chansonabend, mit dem der deutsche Künstler Tim Fischer (einfühlsam begleitet vom Pianisten Rüdiger Mühleisen) bravourös Kreislers „Gnadenlose Abrechnung“ vollzog.
Wie selbstverständlich begann der Abend mit dem Lied vom „Taubenvergiften“, aber die selige Reminiszenz wurde durch einen brisanten neuen Text über das „Unfallspielen im Kernkraftreaktor“ jäh gestört. Eigentlich bedarf es dieser Aktualisierung nicht, denn Kreisler-Chansons sind in ihrer vielschichtigen Wortmusik Klassiker von enormer Brisanz.
Tim Fischer singt intelligent distanziert und unendlich traurig von der Ortlosigkeit der Liebe („Zu Hause ist der Tod“) und der Heimatlosigkeit des in Österreich geborenen jüdisch-amerikanischen Weltbürgers Georg Kreisler, der jetzt wieder in Salzburg lebt und doch noch nicht angekommen ist. Tim Fischer ist quasi die letzte große Diseuse deutscher Zunge: Sein Vortragsstil wirkt, als hätte Zarah Leander einen Chansonkurs bei Bert Brecht belegt. Der Spagat zwischen kesser Lippe und der Diktion eines alten Burgtheater-Mimen gelingt dem androgyn wirkenden 36-jährigen Künstler auf eindrucksvolle Weise: Genauso prägnant wie seine Wortgestaltung ist der mimische Kommentar zu den unterschiedlichen Chansons.
Und wenn Kreisler im „Lied über gar nichts“ in die Einbahn der Sinnlosigkeit einbiegt, kommt ihm aus der anderen Richtung, aber mit demselben Ziel, der schwäbische Satiriker Werner Koczwara entgegen und macht „Kabarett über alles. Außer Tiernahrung“. Mit diesem seinem jüngsten Programm war Koczwara am Samstagabend bei der MotzArt-Woche. Die Zukunftsmusik des Worttüftlers ist zum Wiehern schrecklich: Da kommen uns etwa die furchterregenden sieben apokalyptischen Reiter entgegen, vier davon, erkennt Koczwara, sind definitiv die Rolling Stones. In seinem optisch spartanischem Kabarett, das vor heftigen Kalauern nicht zurückschreckt, geht es thematisch nur scheinbar wild durcheinander, bis sich dann doch ausgedachte und reale Absurditäten als Leitmotive zu erkennen geben, die in einem furios nihilistischen Finale gebündelt werden. Auch zum Lachen in der Krise hat Koczwara Profundes mitzuteilen: „Der deutsche Humor hatte in den letzten 30 Jahren zwei schwere Schläge zu verkraften: den Tod von Heinz Erhardt und die Geburt von Oliver Pocher.“
Kultur / 02.02.2009 02.02.2009 / Print
Kabarettist zu Gast beim Dichter
Die Vermessung des Herrn Kreisler durch Herrn Kehlmann im Großen Saal des Mozarteums.
Günter Verdin Salzburg(SN).Daniel Kehlmann sagt gerne: Ja. Georg Kreisler sagt öfter: Nein. Für den jungen erfolgreichen Schriftsteller („Die Vermessung der Welt“) ist das Ja ein Füllwort, das einen mühsamen Prozess der Fragegestaltung einleitet; für den Kabarettisten, der am 18. Juli den 87. Geburtstag feiert, ist das Nein nicht nur Ausdruck der seine Welt umspannenden Resignation, sondern die häufigste Antwort auf Kehlmanns artige Annäherungsversuche im Rahmen der letzten Veranstaltung der Festspiel-Reihe „Dichter zu Gast“ am Montag im ausverkauften Großen Saal des Mozarteums.
Ein erfolgreicher Autor muss kein exzellenter Talkmaster sein. Eine gewisse Zeit sieht und hört man Daniel Kehlmann auch interessiert zu, wie er Wort für Wort an seinen Fragen bastelt, für die er sich ständig entschuldigen zu müssen glaubt und die er sich zudem gleich selbst beantwortet.
Doch bald bestätigt sich der Verdacht, dass auf diese Weise kein Gespräch zu Stande kommen kann. Dem großen Georg Kreisler ist es hoch anzurechnen, dass er mit Geduld und Nachsicht der zähen Bewunderung seines Gegenübers Anekdotisches aus seiner Biografie und bitterböse Weisheiten aus seiner Weltsicht entgegensetzte.
Da Georg Kreisler sich seit einiger Zeit nicht mehr ans Klavier setzt (und auch keine Lieder mehr schreibt, weil ihm „nix mehr einfällt“), gab es Kostproben aus dem Repertoire seiner nachtschwarzen Lieder vom Tonband, zum Beispiel „Weg zur Arbeit“, wo der Ich-Erzähler ehemaligen Nazis in ihren neuen gutbürgerlichen Rollen alltäglich begegnet.
Ratlos hört Kreisler die gut gemeinte Feststellung Kehlmanns, dass auf vielen dieser Lieder „der Schatten des Holocaust“ liege. Nein, korrigiert Kreisler, mit dem Holocaust hätten die Lieder kaum etwas zu tun: Es sind jüdische Lieder mit jüdischen Gedanken.Auch Talkmeister sollen übenKreisler warnt vor einem neuen Faschismus, Kehlmann möchte diese Feststellung eifrig verorten, worauf der Satiriker ihm mit einer pauschalen Medienschelte entgegenkommt. Vollends ins Aus katapultiert sich Kehlmann schließlich mit der Behauptung, politisches Kabarett gebe Wahlempfehlungen für eine bestimmte Partei. Anstelle der eher naiven Frage, ob beim Lied der Text oder die Melodie zuerst entstehe, hätten Informationen über Georg Kreislers neue Oper „Das Aquarium oder Die Stimme der Vernunft“ interessiert, die am 14. November in Ro-stock uraufgeführt wird.
Der Vermessung des Herrn Kreisler durch Herrn Kehlmann fehlte leider das richtige Maß. Neben dem großen alten Mann des österreichischen Kabaretts sah der jungenhafte Erfolgsautor ziemlich klein aus.
Die Aufzeichnung dieses Talk-GAU ist am kommenden Samstag ab 22.05 Uhr in Ö1 zu hören. Das Gespräch wird am 16. Oktober in Wien fortgesetzt. Bis dahin kann Daniel Kehlmann ja noch üben.
Kultur / 12.08.2009 / Online
Von der Tragik des Lustigseins
GÜNTER VERDIN Ein Mann sprach den bayerischen Komiker Karl Valentin einmal auf der Straße an: „Sie, da fällt mir etwas ein, was ich Sie schon lange fragen wollte.“ Darauf Valentin: „Fragen’s nur, ich wollt Ihnen schon lange drauf antworten.“ Auf die Frage, ob man ihn, den berühmten Komiker, nachspielen könne, hätte Valentin vielleicht geantwortet: „I hab es schon versucht, es is mir aber selten gelungen.“
Umso bewundernswerter ist also der Mut des Darstellerteams um Regisseur Jo Baier, allen Versuchen zu widerstehen, das geniale Komikerpaar „Liesl Karlstadt und Karl Valentin“ (so der Titel der ARD-Produktion) durch Imitation in Erinnerung zu rufen.
Die meisten der skurrilen, doppelbödigen, sprachentlarvenden Szenen stehen der Nachwelt auf DVD zur Verfügung. Schon Bert Brecht, aber auch der Autor von „Warten auf Godot“, Samuel Beckett („Ich habe Karl Valentin 1937 tatsächlich in einem Café-Theater am Stadtrand gesehen und viel und voll Trauer gelacht“), waren nicht nur begeistert, sondern ließen sich auch anregen.
Johannes Herrschmann als Valentin und Hannah Herzsprung als Liesl Karlstadt haben sich kunstbayerisch in Diktion und Duktus der Menschendarsteller ehrgeizig eingearbeitet. Sie nähern sich auch typmäßig den Vorbildern, wollen aber vor allem eine höchst private Geschichte erzählen von der Tragik aller Lustigkeit.Zu wenig Busen Karl Valentin entdeckte die Karlstadt 1911 im „Frankfurter Hof“, wo sie unter dem bürgerlichen Namen Elisabeth Wellano als Soubrette auftrat. In der Garderobe teilt er ihr schonungslos mit, dass sie als Sängerin zu mager und zu brav sei und außerdem zu wenig Busen habe. Weil Valentin aber ihr komisches Talent erkannte, schrieb er ihr ein Couplet, das sie zunächst nur widerwillig sang. Mit Schonungslosigkeit ist das Verhältnis des egozentrischen Valentin und seiner genialen Dialogpartnerin am besten zu charakterisieren. Valentin ist es zuzuschreiben, dass die Karlstadt, die hoffnungslos in ihn verliebt war, schließlich in der Nervenheilanstalt landete.(K)einen Hunderter wechseln Nach dem Zweiten Weltkrieg traten Valentin und Karlstadt nach jahrelanger Trennung wieder gemeinsam auf, ohne große Resonanz. Valentin hielt sich mit dem Verkauf selbst gefertigter Haushaltsartikel über Wasser. Er starb bettelarm und unterernährt an einer Lungenentzündung am Rosenmontag des Jahres 1948. Auf der Bühne hat Karl Valentin einmal gesagt: „Sie, gestern wollt ich einen Hunderter wechseln lassen. Meinen S’, ich hätt einen g’habt.“ Damals war ihm noch zum Lachen zu Mute.
ARD/20.15
Tv / 10.12.2008 10.12.2008 / Print
Dolores Schmidinger im Salzburger Stadtkino:
Das Politisch-Aktuelle-Hochbrisante ist die komische Sache nicht der Dolores Schmidinger. Sie steckt trotz des den Zeittrend aufgreifenden Programm-Titels "Am Anfang war das word" tief in der Tradition des Kabaretts der Bronner-Wehle-Martini-Ära (ein deftiger Schuss Georg Kreisler würzt den komödiantischen Cocktail). Dass sie dennoch große Nachdenklichkeit und tiefe Wirkung erzielt, ist vor allem ihrer schauspielerischen Virtuosität, ihrer Verwandlungskunst und parodistischen Begabung zu danken. Das Publikum im ausverkauften Stadtkino ertrampelte sich zwei Zugaben, wovon die eine ein köstliches Operetten-Quodlibet auf den Billig-Konsumrausch österreichischer Ungarn-Touristen war.
Als eine der stärksten Szenen in der Kabarett-Nummern-Folge bleibt gleich das Eingangs-Solo in Erinnerung: Schmidinger als nach Tokio emigrierte österreichische Wirtschaftsflüchtlingsfrau, die mit den rassistischen Vorurteilen der Einheimischen leben muss und ihre Ressentiments gegen die neu ankommenden österreichischen Asylanten hegt. Ein sehr genaues Spiegelbild der Fremden-Phobie allerorten, also auch hierzulande. Natürlich pflegt die Frau auch im feindlichen Ausland Kärntner Bräuche. Jetzt hat sie wieder ihr Kripperl aufgestellt: "mit dem liaben Jörgl-Kind, und rund um die Krippe die Koalitions-Partner Ochs und Esel . . .".
Neben der ins Gespenstische gesteigerten Inkarnation einer entfesselten Ausbilderin, die Elite-Frauen im Bundesheer begrüßt, gelingen der Schmidinger vor allem in den Songs entlarvende Mitteilungen aus der miefigen Kleinbürger-Welt: Vor dem Frauenhaus heult und knirscht der prügelnde Gatte sein drohendes "Ich hab' dich lieb"; und ein Klon, der als Materiallager für seinen rauflustigen Zwillingsbruder herhalten muss und nur mehr vier Finger hat, rächt sich bitterlich.
Die dramaturgische (und titelgebende) Klammer des Programms bildet die im Internet ihrem untreuen Gatten hinterherchattende Gemahlin. Die Botschaft, die die zahlreichen betrogenen, verletzten, dem Gespött preisgegebenen und von der Kabarettistin liebevoll nuancenreich ausgestalteten Frauentypen transportieren, lautet in etwa: Jede ist ihres Glückes Schmidinger . . .
GÜNTER VERDIN
Kultur / 05.12.2000 / Print
Hape, GAK und Augenthaler Den Namen Hape Kerkeling verbindet man mit dem Mitklatschlied "Das ganze Leben ist ein Quiz" und seinem bereits legendären Auftritt als Königin Beatrix. Danach hat der lausbübische Komiker jede Menge Flops gelandet.
Sein Problem ist, daß sein enormes parodistisches Talent jedes Sendungsformat sprengt. Nun hat Kerkeling vom nur netten Fritz Egner die Hoppala-Abendshow "Darüber lacht die Welt" auf Sat 1 (Montag) übernommen. Die mit offener und versteckter Kamera produzierten medialen Pannen sind leidlich komisch, und das ist auch Hape Kerkeling als Conferencier vor wie stets enthusiastischem Saalpublikum.
Wenn Hape aber in seinem ureigensten komödiantischen Terrain, der Parodie, ackern darf, dann ist er brillant, darstellerisch exakt und unschlagbar grotesk - etwa als aalglatter, die Zähne bleckender Moderator von "Nur die Liebe zählt". Und als litauischer Trainer des GAK - der Rücktritt von Trainer Klaus Augenthaler wird ewig zoologisches Musterbeispiel für eine multimediale Ente bleiben - outrierte Hape so schamlos, daß zwar die eifrigen, zur Pressekonferenz einberufenen Sportreporter nichts merkten, aber die vor Schrecken starren GAK-Spieler ihm das Götz-Zitat ins Gesicht schleuderten.
Die nächste Ausgabe von "Darüber lacht die Welt" wird - laut Kerkeling bei Harald Schmidt - erst im Herbst zu se- hen sein. Wer nicht so lange warten will: der Spaßvogel wütet am nächsten Montag im 3. WDR-Programm. Günter Verdin
Kultur / 05.05.1999 / Print
Die Abenteuer im Kopf
"Karrieren oder Das letzte Drittel entscheidet" von Werner Schneyder im Verlag Kremayr & Scheriau
GÜNTER VERDIN
Erste Stufe der Lektüre: Erwartungen. Schneyder schätzt man als Satiriker, als Dramatiker (i c h mag sein Stück "Till bevor er hing") und als Sport-Feuilletonisten (Kommentator wäre eine Untertreibung). Und nun die Begegnung mit dem jüngsten Buch von Schneyder.
Zweite Stufe der Lektüre: Enttäuschung. Warum soll ich für alle diese namenlosen, also zum Typus erklärten Figuren der Seitenblicke-Gesellschaft, die an meist unbenannten Orten (etwa einer Mittelstadt, oder Hauptstadt, je nachdem) ihren Frustrationen nachhängen, Interesse heucheln? Was geht mich das zugekokste Model an, dieses "deklinierbare Nicht-Individuum, das sich nicht zwischen (Land-)Doktor und urbanem Werbe-Manager entscheiden will?
Und all diese lesbischen Verlegerinnen, Radiologen, in ödipalen Konflikten verstrickten Dirigenten und Klavierspieler: sie sind permanent in Gefahr, mir völlig gleichgültig zu sein. Und: Wo bitte bleibt das Satirische, Herr Schneyder? Dritte Stufe der Lektüre, Lesepause: Warum gehen mir diese Geschichten nicht aus dem Kopf? Vor allem die des Cellisten im Orchester eines Theaters (in einer Mittelstadt, natürlich). Der Mann ist ein Ohrenmensch, der eine enorme Abneigung gegen jede Form der Hobby-Fotografie hat und - sozusagen aus Notwehr - sich selbst obsessiv der Apparate-Kunst ausliefert. Die Erkenntnis ist bitter: "Ich hole die Nuancen aus den geheimnisvollen und unendlichen Möglichkeiten des Instrumentes nicht heraus. Ich spiele auf einem alten italienischen Cello ,Hänschen klein'." Die Konsequenz dieser Geschichte um den Konflikt des künstlerischen Wollens und Scheiterns: Der Cellist hört Bach, während er den exklusiven Foto-Apparat im See versenkt, und lässt "die Bilder leben".
Vierte Stufe der Lektüre: Erkenntnis. Natürlich gehen uns diese Karriere-Typen auf die Nerven und etwas an! Sie ertappen sich und uns bei der Frage, die wir uns früher oder später (also im "Letzten Drittel") alle stellen, nämlich ob wir alles richtig gemacht haben im Leben und ob es das dann schon gewesen ist. Schneyder beobachtet sie wie im Versuchs-Labor und begleitet sie mit knappen, lapidaren Sätzen. Und irritiert mit Sätzen wie: "Er (der Cellist, Anm.) war seinem Professor auch einer der liebsten Schüler."
Einmal lesen reicht bei Schneyder nicht aus
Die Formulierung lässt darauf schließen, dass der Cellist, eine Art Musterschüler, aktiv um die Gunst des Lehrers warb. Indes: "Was allerdings auch an den blonden Locken gelegen haben mag." Noch eine Stilprobe (ebenfalls aus "Der Fotograf"): "Auch sonst lief das Leben des Cellisten in besten Bahnen: Zwei Schwestern waren Erbinnen eines großen Modehauses . . ." Die Verknappung führt in die Irre. Dann erfahren wir: eine der Schwestern hat sich in den blondgelockten Cellisten verliebt. Schneyder trickst perfekt: Der schlaue Erzähler schlägt Haken, um vor dem flüchtigen Leser da zu sein.
Fünfte Stufe der Lektüre: Die beiden letzten Geschichten des Bandes wirken - in Zusammenhang mit den anderen - wie die deutlich gesellschaftskritische Pflichtübung des Kabarettisten Schneyder. Da haben wir den Schneyder, den wir kennen und schätzen! "Hass zum Quadrat + Sprache zum Quadrat = Totalitarismus zum Quadrat. Für Letzteren setze ich gerne den philosophischen Begriff Faschismus ein." Und während wir noch überlegen, ob die Erzählung "Die Ableitung" auch etwas Programmatisches über die Dramaturgie der übrigen Novellen aussagt, ertappen wir uns dabei:
Sechste Stufe der Lektüre: Von vorne anfangen und wieder lesen.
Werner Schneyder: "Karrieren oder Das letzte Drittel entscheidet". Geb., 172 S., S 246,- (Kremayer & Scheriau, Wien 2000)
Wochenende / 25.11.2000 / Print
Vom Taubenvergifter zum Grabsänger des Kabaretts
Eine Institution: Georg Kreisler wird heute 75
Ein Song hat den Kabarettisten Georg Kreisler, gebürtiger Wiener mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, schlagartig berühmt gemacht. Dabei ist "Gehn ma Tauben vergiften im Park", das Lied, das in die Abgründe des goldenen Wienerherzens leuchtet, gar kein waschechter Kreisler: Der Satiriker, der seine Erfahrungen in der Emigration im amerikanischen Show-Biz gesammelt hatte, adaptierte, nach Wien zurückgekehrt, den Song "Poisening Pidgeons in The Park" von dem singenden Mathematikprofessor Tom Lehrer mit Erfolg. Der Ruch des singenden Makabarettisten hat Kreisler seitdem freilich immer angehaftet.
Georg Kreisler hat die sogenannte "goldene Zeit" des Wiener Kabaretts entscheidend mitgeprägt. 1956 lernte er in der legendären "Marietta"-Bar in der Wiener Innenstadt Gerhard Bronner und Peter Wehle kennen. Im Sommer desselben Jahres eröffneten die Herren das "Intime Theater" mit dem Kabarettprogramm "Blattl vorm Mund". Helmut Qualtinger sang den "G'schupften Ferdl", Louise Martini präsentierte "Busen, die die Welt bedeuten", Georg Kreisler brillierte in einer Karajan-Parodie, und das Team Kreisler/Bronner brachte eine Parodie auf den Hollywood-Film zur Musik von Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt". Ein Jahr später schied Kreisler aus der Direktion des "Intimen Theaters" aus, wirkte aber noch als Autor und Komponist mit. Vor allem stieg Georg Kreisler mit seinen Solo-Abenden zum auch in Deutschland gefragten Star auf. Seine populärsten Chansons, philosophisch geprägt von der Hoffnungslosigkeit des Existentialismus, literarisch zu Hause bei Ringelnatz und Morgenstern, erzählen von der Einsamkeit und Erfolglosigkeit des Triangelspielers und der Verlorenheit zweier um Mitternacht Tango tanzender Tanten. Der Umzug nach Berlin, der gleichzeitig eine radikale Abkehr vom literarischen Chanson hin zum politisch Partei ergreifenden Lied bedeutete - Kreisler war so etwas wie der musikalische Begleiter der Studentenbewegung -, war ein Aufbruch, zugleich aber auch ein Schritt in die Heimatlosigkeit. Das Medium Fernsehen, das mittlerweile auch das Kabarett entdeckt hatte, hatte für den Schwierigen, der sich stets weigerte, den Erwartungen der Produzenten und des Publikums zu entsprechen und dem Erfolgsdruck nachzugeben, kaum Sende-Platz. Georg Kreisler hat sich rar gemacht. Bei seinen wenigen Auftritten kommt er selten umhin, nicht auch im Park Tauben zu vergiften. Das Kabarett hat der Zyniker schon längst für tot erklärt. Es klingt, als hätte Kreisler schon damals den Comedy-Boom vorhergesehen: "Das Kabarett ist tot./Es gibt schon was Heiteres./Das Kabarett ist tot/und bleibt's bis auf weiteres . . . Günter Verdin
Kultur / 18.07.1997 / Print