5. Februar 2014 Hinterlasse einen Kommentar
Anwender im „Beast mode“: Wenn uns die Technik auf die Palme bringt, dann wird es gefährlich für sie. Affekthandlungen, die sich durch verbale und tätliche Gewalt gegen Soft- und Hardware entladen, sind ein noch immer gern verschwiegener Fakt unseres menschlichen Frustverhaltens.
Haben Sie schon mal die Maus Ihres PCs bewusst fester als normal auf den Schreibtisch aufgedotzt, weil sie nicht mehr so wie erwartet reagiert hat? Sie grob gepackt, umgedreht und an ihrem Bauch rumgeknubbelt, weil dort eventuell ein Staubfluff etwas verstopfen könnte? Ach so, Sie verwenden keine Maus mehr. Haben Sie schon mal fester als normal auf dem Trackpad des Laptops gedrückt, mit spitzem steifem Zeigefinger mehrmals hintereinander darauf eingestochen?
Heute geht es um genau solche Momente: Diese unangenehmen Momente, bei denen wir als Nutzer die Kontrolle über die Technik verlieren. Wir fangen dann an, auf unsere menschliche Art und Weise mit der Technik zu reden, zu agieren, zu beten und zu fluchen – in der Hoffnung, dass sie (verdammt noch mal) endlich das macht, was sie machen soll.
Das wird auch gern als Affekthandlung bezeichnet, bei der wir die Kontrolle über unser Handeln und Denken verlieren und spontan irgendwas tun, wie beispielsweise das Smartphone heftig schütteln, damit eine Aktion wieder rückgängig gemacht wird.
Sogar wir Fachleute, die wissen, dass so ein Verhalten nicht viel bringt – und mitunter sogar eher Schaden beim dem Gerät anrichtet – bleiben vor diesem sehr menschlichen Frustverhalten nicht verschont.
Sehen wir also der Tatsache ins Auge: Ob technisch versiert oder ganz gewöhnlicher Kunde. Im Alltag bringt uns die Technik schnell an eine Frustgrenze. Um die Frustgrenzen zu wissen, ist für uns Produktentwickler enorm wichtig.
…so brauch ich Gewalt!
Wissen Sie überhaupt, was Ihre Kunden im Affekt mit Ihrem Produkt machen, wenn es nicht funktioniert? Sie hauen, treten, verfluchen, beschimpfen, beschwören, verwünschen und bestechen es. Und wenn das alles nicht hilft, schmeißen sie es resigniert oder zornig aus dem Fenster – im übertragenen Sinne, wenn die Software einfach deinstalliert wird oder buchstäblich, wenn das Ding zu ebay oder in die Mülltonne wandert.
Danach machen sie vor allem ganz gern eines: Sie ziehen los und besorgen sich einfach ein “besseres” – und zwar das von der Konkurrenz!
- “ICH habe DIR doch gesagt… !”
- Als Anwender neigen wir dazu, unseren Handlungen Nachdruck zu verleihen.
Der Auslöser für solch ein destruktives Verhalten ist immer mindestens eine negative Erfahrung, die wir mit dem Produkt machen. Dabei müssen es nicht immer große oder dramatische Aktionen sein, die uns frustrieren. Bereits ein paar kleine Störer hintereinander hinterlassen in Summe ein ungutes Gefühl, das als Konsequenz, zum Beispiel:
- wenn man ein neues Geräte gekauft hat und nach dem Auspacken gleich noch mal zum Elektronikmarkt muss, um das fehlende wichtige Kabel zu besorgen, da es nicht in der Verpackung mit dabei war und dessen Notwendigkeit nirgends erwähnt wurde. Natürlich hätte man sich vorher mal im Internet gründlich informieren können …
- wenn bei einem Gerät, dass an einen PC angeschlossen werden soll, die Kontrolllichter in unterschiedlichen Frequenzen, Reihenfolgen und Farben blinken. Das Blinken sieht auch anders aus, als es in der Bedienungsanleitung abgebildet ist. Natürlich könnte man die Service Hotline anrufen …
- wenn man einen Installationsprozess durchläuft und nun seit gefühlten Minuten einen drehenden Kreis auf dem Monitor anstarrt. Oder einen Statusbalken, der einfach nicht von 99,9% auf 100% wachsen möchte. Sicher könnte man den Prozess nochmal starten …
- wenn man eine App aktualisieren muss und das bestimmte Freigaben mit einschließt. Keiner weiß immer 100%ig, was es heißt, bestimmte Sachen freizugeben und wie sich das auswirkt. Natürlich könnte man sich den kilometerlangen Infotext dazu durchlesen …
- wenn man einen langen Text in einem Hilfeforum schreibt und dann die Website abstürzt oder wie auch immer “hängen bleibt”. Man ruft die Site erneut auf und selbst nach Refresh des Browser oder Klicken des Back Button ist das Formular vor allem eines: leer. Natürlich könnte man den Text noch mal eintippen …
- wenn man online etwas kauft und im Nachhinein Kosten untergejubelt werden. Der Klassiker im Bestellprozess, bei dem erst nach dem Klick des “Jetzt kaufen” Buttons die Kosten für z. B. die Zahlmethode hinzugefügt werden oder für die Reiserücktrittsversicherung, die irgendwann im Prozess wie von Geisterhand hinzugefügt wurden. Natürlich könnte man vorher genau die in Juristensprache verklausulieren Geschäftsbedingungen lesen …
Die Liste lässt sich beliebig lang erweitern. Solche kleinen Störer gibt es also zur Genüge und wir alle kennen sie. Das heißt aber nicht, dass wir als Produktentwickler immer die Nutzerperspektive einnehmen.
Perspektivenwechsel erwünscht
Innerhalb der Produktentwicklung versetzen wir uns idealerweise in die künftigen Nutzer, wir betreiben intensiv Marktforschung und führen dabei hoffentlich verschiedene Produkttests mit künftigen Kunden durch, wie z. B. einen Nutzerworkshop.
Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass wir Fachleute immer sehr viel näher an unseren Produkten sind und im Laufe der Weiterentwicklung dazu neigen, blind gegenüber der Realität zu werden. Kein Wunder, denn wir:
… kennen das Produkt sehr bald in- und auswendig mit all seinen Wehwechen.
… sind vertraut mit den Funktionen, Kniffen zur Nutzung und dem “wie wir uns das gedacht haben”.
… bauen zudem immer auf unserem umfangreichen Fachwissen auf.
Daraus können wir gar nicht mehr so leicht ausbrechen! Genau hier steckt der wichtigste Knackpunkt für eine gute User Experience, um die Art und Weise zu wissen, wie die Kunden das Produkt benutzen und damit umgehen. Das schließt nicht nur die Profis ein, sondern auch die Laien, die Risikofreudigen, die Unsicheren, die Reinfuchser, die Ungeduldigen und und und.
- “BITTE, mach DAS doch einfach!”
- Verzweiflung wegen der Gestensteuerung. Auch neue Gesten müssen von den Anwendern erst erlernt werden.
Um die Stellen vorauszusehen, wann es innerhalb der Produktnutzung zu einem Gefühl der Hilflosigkeit kommen kann, also ab wann etwas nicht mehr greifbar für einen Nutzer ist, brauchen wir erst in zweiter Linie den Fach-Blick.
An erster Stelle müssen wir die Produktentwicklerbrille bewusst abnehmen, d. h. unser Fachwissen “parken”, die vielen Filter unternehmensinterner Prozesse oder Budgetrestriktionen beiseite legen und verstehen, wo die Frustgrenzen liegen.
Frustgrenzen erkennen
Übrigens: Je mehr die Technik kann, desto komplizierter wird es aus Nutzersicht. Da, wo unser Entwicklerherz aufgeregt klopft, weil wir die Dinge als “jetzt noch einfacher” empfinden, machen alleine die erweiterten Möglichkeiten das Problem für die Nutzer erst mal größer. Nehmen wir beispielsweise die erweiterten Möglichkeiten der Sprach- und Gestensteuerung, die zusätzlich zur Tastatur hinzugekommen sind. Bei einem Problem stehen viele Anwender jetzt erst mal ratlos vor dem Gerät und überlegen, welche Interaktionsform oder Geste sie zur Problemlösung verwenden sollen.
Was wir in der Produktentwicklung meist vernachlässigen ist die Tatsache, dass auch Anwender neue Formen der Interaktion und Kommunikation mit den Geräten und Software erst erlernen müssen – so intuitiv und logisch sie manch einem Produktentwickler auch erscheinen.
Ansichtssache: 7 Gesichter negativer User Experience
An erster Stelle steht das Bewusstsein dafür, welche Arten negativer User Experience es gibt und wie sie sich auf die Nutzer eines (virtuellen oder technischen) Produktes auswirken. Dabei spielt der Kontext, in dem ein Produkt verwendet wird eine große Rolle und wie sich dieser auf die Gefühle auswirkt. Es gibt sehr viele positive wie negative emotionale Reaktionen von Nutzern, die wir auch während UX-Tests und Befragungen mitbekommen. Darunter zählen auch folgende sieben negative Reaktionen:
1. Unwissenheit
2. Sinnlosigkeit
3. Ohnmacht
4. Ratlosigkeit
5. Willkür
6. Hilflosigkeit
7. Wut
Diese Gefühle und emotionale Reaktionen treffen uns alle: ob Mann oder Frau, studiert oder nicht, Techniker oder Laie, … sie machen vor keiner Segmentierung oder Zielgruppe Halt.
Wichtig zu merken ist zudem, dass sich bei diesen Gefühlen die Kosten-Nutzen-Bilanz der Kunden empfindlich verschiebt, da sie mehr Zeit, Nerven und auch Geld investieren müssen als geplant. Das heißt in der Praxis beispielsweise, sie rufen die Service Hotline an, gehen noch mal in das Geschäft zurück, um die Ware umzutauschen, deinstallieren die App uvm.
Talk to me like Lovers do*
Anwender, Nutzer, Kunden etc. sind in erster Linie Menschen. Jeder weiß, dass mal etwas nicht sofort funktionieren kann oder dass man mal was „nicht blickt“, aber wir wollen das Vertrauen in das Gerät und die Software haben. Es ist mehr als der Versuch von uns Menschen, die Technik, die “Black Boxen”, des Alltags, der coolen digitalen Welt mit ihren vielen Gadgets und Wearabels zu verstehen. Es ist der Wunsch seitens Nutzer nach Sinnhaftigkeit!
Digitale und technische Produkte werden nicht von uns gekauft, um endlich einmal im Leben Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Sinnlosigkeit zu erfahren. Sie sollen eine sinnvolle Ergänzung in unserem Leben darstellen.
Damit wird es auch für Sie besonders interessant. Denn natürlich erzähle ich Ihnen nichts Neues! Theoretisch ist das alles klar wie Kloßbrühe und die meisten von uns schreiben sich das Ziel einer positiven User Experience inklusive Perspektivenwechsel auf die Fahnen.
Doch interessant ist nicht, was wir wissen, sondern wie gut wir es TUN
Speziell am TUN hindert uns in der Produktentwicklung einiges! Doch bei allen Budgetrestriktionen, technischen Bedingungen, Strategiewechseln oder Zeitdruck dürfen wir das oberste Ziel nie aus den Augen lassen:
Für eine durchgehend positive User Experience zu sorgen!
Verständlich in DIN Normen ausgedrückt heißt das, wir müssen Transparenz, Einfachheit, Schnelligkeit, Voraussehbarkeit, Erlernbarkeit, Sicherheit und ganz viel Komfort – um nur einige zu nennen, in die Entwicklung reinpacken. Erst recht, je komplexer die Anwendungen und interaktiven Geräte werden und je stärker das Internet mit den verknüpften Technologien in unserem Leben integriert ist.
Seien wir ehrlich: Wir möchten doch alle gern betüddelt und verwöhnt werden, als schlaue Füchse dargestellt werden. Wir möchten, dass die Technik uns mit Nachsicht behandelt und liebevoll fehlertolerant ist.
Gute innovative Produkte, die uns gute Erfahrungen und Gefühle bescheren sollen, gegen unser gutes Geld und unsere Lebenszeit. Walk with me like Lovers do* …. und wir bleiben Markentreu. So ist der Deal!
* Aus “Here comes the Rain again”, Song von Eurythmics