Und alles ist wieder wunderbar in Ordnung und in Ruhe.

Von Nicsbloghaus @_nbh

Michael Böhms Roman gibt bereits mit dem aller­ers­ten Satz den Mörder bekannt: „Morgens beim Rasieren sieht Dr. Leo Petermann in das lie­bens­wert lächelnde Gesicht eines Mörders.“ (S. 11) Und nur zwei Seiten wei­ter wird dem Leser auch das Mordmotiv des Ich-Erzählers zur Kenntnis gege­ben: „Ruhe ist ein unschätz­ba­res Gut. Ich werde jeden­falls alles unter­neh­men, um mein klei­nes Reich, mei­nen Garten Eden, gegen mut­wil­lige Störungen zu ver­tei­di­gen. Wenn ich alles schreibe, dann meine ich auch alles.“ (S. 13) Und damit erklärt sich zugleich der Titel die­ses Kriminalromans „Herrn Petermanns unbe­ding­ter Wunsch nach Ruhe“.

Daß es sich bei die­sem Buch um einen Kriminalroman han­delt, dar­auf soll gleich zu Beginn aus­drück­lich hin­ge­wie­sen wer­den. Denn Böhm hat kei­nen 08/15-Krimi „von der Stange” geschrie­ben. Davon gibt es hier­zu­lande sowohl gedruckt als auch im Medium Fernsehen viel zu viele. Also steht hier auch kein Ermittler im Mittelpunkt, auch nicht die lei­der übli­chen pri­va­ten Probleme der Ermittler, die sich in sol­chen mit­tel­mä­ßi­gen Produkten auch in sexu­elle Eskapaden mit Verdächtigen oder Hauptzeugen ein­las­sen.

Michael Böhms (Kriminal-)Roman kann, das Fazit sei aus­nahms­weise schon mal vor­weg­ge­nom­men, ohne Wenn und Aber als Beispiel für wirk­lich niveau­volle Unterhaltungsliteratur genannt wer­den – und ent­spricht damit dem selbst gewähl­ten Anspruch des Münchner Bookspot-Verlags und sei­ner „Edition 211″. Natürlich gibt es auch in die­sem Buch eine Ermittlerin, die eher bei­läu­fig und am Rande ein­ge­führt wird, die zunächst nicht mal als sol­che erkenn­bar ist. Und es gibt selbst­ver­ständ­lich amou­röse Beziehungen – sei­tens des Protagonisten. Eine zu einer wesent­lich jün­ge­ren Ärz­tin, die von ihm seit ihrer Kindheit geför­dert wor­den ist. Und schließ­lich sogar zu einer Nachbarin mit dem spre­chen­den Namen „Magdalena Liebe”. Beide Freundschafts- und schließ­lich Liebes-Beziehungen ist aber kein modi­sches Zugeständnis an Schlüsselloch-Bedürfnisse jie­pe­ri­ger Leser, son­dern sie tra­gen zur kom­ple­xen Darstellung der Persönlichkeit des Dr. Petermann bei.

Petermann stammt aus einer Akademiker-Familie, hat aber als Professoren-Sohn nie fami­liäre Wärme ken­nen­ge­lernt – abge­se­hen von sei­ner für­sorg­li­chen Kinderschwester, dafür jedoch eine aus­ge­zeich­nete Ausbildung als Mathematiker/Informatiker genos­sen. Und so wur­den Beruf und das eigene über­aus erfolg­rei­ches Unternehmen für Jahrzehnte seine Familie. Obwohl er auch eine Vernunftehe inclu­sive Stiefsohn ein­ge­gan­gen war. Als er sich schließ­lich als Witwer und über­aus ver­mö­gen­der Mann aus die­sem Konzern zurück­zieht, beginnt sein zwei­tes Leben. Hier kann er sei­nen ästhe­ti­schen Neigungen nach­ge­hen, als Kunstsammler und Kunstverständiger für afri­ka­ni­sche Kunst; als – wider Erwarten – erfolg­rei­cher Schriftsteller von Romanen zu die­sem Thema. Und er lebt nun nicht mehr in der hek­ti­schen Großstadt, son­dern auf einem Bauerngehöft in einem win­zi­gen Dorf. Das Haus hatte er zufäl­lig ent­deckt und zu sei­nem Refugium umge­stal­tet.

Der Ex-Manager, der zuvor nur mit den Größen aus Wirtschaft und Politik ver­kehrte, gewöhnt sich rasch ans länd­li­che Leben, schließt gute Bekanntschaften, gar Freundschaften, mit sei­nen Nachbarn. Natürlich pflegt er auch noch alte Kontakte – gerade letz­te­res Netzwerk soll für den kri­mi­nel­len Teil des Geschehens noch große Bedeutung bekom­men.

Eines Tages stirbt ein Nachbar und aus ist es mit der Idylle, die fried­li­che und ruhige Welt Petermanns (und der ande­ren Nachbarn) gerät aus den Fugen: Denn auf dem Nachbarhof über­nimmt nun der Enkel des Verstorbenen das Regiment. Lautstarke Orgien von jugend­li­chen Motorrad-Rockern kul­mi­nie­ren in einem end­lo­sen Dauerlärm. Gute Worte, auch nicht Beschwerden oder gar Geld schaf­fen Abhilfe.

Und so reift Petermanns Plan für eine abso­lute Lösung. Die da dann nur noch hei­ßen kann: Der Ruhestörer muß weg, muß ster­ben. Wie er plant und wie er vor­geht, das läßt den Mathematiker/Programmierer erken­nen. Leider gibt es letzt­lich noch ein klei­nes Problem (Petermann könnte gese­hen wor­den sein) und so greift ein spon­ta­ner Plan B. Hier kommt das alte Netzwerk ins Spiel. Das Opfer bleibt ver­schwun­den, es wur­den sogar fal­sche Spuren gelegt, alle Ermittlungen ver­lau­fen im Sande, das erfährt der Leser bei­läu­fig. Irgendwann dann taucht die bereits erwähnte Ermittlerin im Dorfe auch, will den Fall neu auf­rol­len auf­grund neuer Verdachtsmomente. Sie kommt dabei instink­tiv Herrn Petermann sehr nahe, doch auch sie kann nichts bewei­sen. Es könnte also wie­der Ruhe und Ordnung im Hause Petermann ein­zie­hen.

Aber wie es so spielt im Leben, es gab tat­säch­lich sei­ner­zeit einen Beobachter der Mordtat – und daher gibt es in die­sem Buch einen zwei­ten Teil. Man ver­mu­tet es ja gleich, es muß noch einen zwei­ten Mord geben. Allerdings tun sich hier zunächst zwei Handlungsstränge auf, die Petermann zunächst nicht mit­ein­an­der in Verbindung brin­gen kann. Hier kommt dann auch die bereits erwähnte Magdalena Liebe ins Spiel. Auch sie, eben­falls außer­be­ruf­lich krea­tiv tätige Programmiererin, erkennt das Vorgefallene. Sie kann Petermann durch­aus ver­ste­hen, wird daher aus ehr­li­chem Herzen seine Komplizin. Wer wie und warum die Ruhe des Dr. Petermann erneut störte, das soll hier nicht ver­ra­ten wer­den. Auch nicht, wie die­ser den erneu­ten Angriff auf diese Ruhe parierte. Jedenfalls gibt es ein Happy End, aller­dings nicht für unlieb­same Ruhestörer.

Und so kann der letzte Satz die­ses Romans nur lau­ten: „Und alles ist wun­der­bar in Ordnung.” (S. 169)

Der Leser kann eigent­lich gar nicht böse sein, daß der Mörder unge­scho­ren davon kommt. Man kann Herrn Petermann eigent­lich sogar pro­blem­los ver­ste­hen. Das mag bie­dere Gemüter ver­wir­ren, kann das Gerechtigkeitsgefühl bra­ver Bürger ver­let­zen. Böhm fällt kein Urteil über den zwei­fa­chen Mörder und wohl die meis­ten Leser wer­den das wohl auch akzep­tie­ren. Denn hier spricht eher das Herz als der Verstand. Obwohl – Herz UND Verstand spie­len im Roman und in der Zeichnung der Persönlichkeit des Dr. Petermann eine nicht unwe­sent­li­che Rolle.

Hervorzuheben ist die durch­aus gelun­gene Zeichnung der han­deln­den Charaktere in all ihrer Vielschichtigkeit. Böhm ver­fügt über gro­ßes Erzähltalent, kann gut mit Sprache arbei­ten und schafft es so, Spannung auf­zu­bauen, Spannung zu hal­ten, obwohl der Leser eigent­lich ja alles von Anfang an weiß.

Der Autor bedient sich einer Schreibweise, die zwar von vie­len Germanisten/Literaturwissenschaftlern bekrit­telt wird: Wenn es um die Mordtaten selbst geht, wech­selt er die Erzählperspektiven: Aus dem Ich-Erzähler wird dann der nüch­terne Beobachter des Geschehens.

Es gefällt, daß Böhm die Handlung gekonnt ver­bin­det mit Beschreibungen von Gefühlen, Landschaften, Orten und dem Wetter. Und nicht zuletzt kom­men phi­lo­so­phi­sche Betrachtungen und Betrachtungen zur heu­ti­gen Gesellschaft, zur mensch­li­chen Existenz aus der Sicht des Ich-Erzählers zum Ausdruck. Sie run­den den Roman ab. Zwei Beispiele mögen dies ver­deut­li­chen:

„MdL Landes gehört zu den kon­ser­va­ti­ven Politikern, die fest davon über­zeugt sind, die Richtung vor­zu­ge­ben, die rich­tige selbst­ver­ständ­lich, die mei­nen, zum Besten des Volkes zu han­deln, es im Griff zu haben, und gerade darum unfä­hig sind zu bemer­ken, dass das Volk längst nicht mehr mit­spielt.” (S. 33) – Sind sol­che Politiker nicht eigent­lich kri­mi­nel­ler als der Mörder aus Not Petermann?

„Vor mir in der ers­ten Reihe haben die kirch­li­chen Würdenträger und die bei sol­chen Anlässen unver­meid­li­chen Politiker ihre Plätze, vom Bürgermeister ange­fan­gen über den Landrat, die MdL und MdB aller Parteien. Keiner fehlt, natür­lich nicht.” (S. 85) – Hier spricht der Agnostiker/Atheist Dr. Leo Petermann ein lei­di­ges Problem in bun­des­deut­schen Landen sehr direkt an.

Abschließend soll nur gesagt wer­den, es han­delt sich bei die­sem Roman aus der Feder von Michael Böhm um ein wirk­lich fas­zi­nie­ren­des Buch, das der Rezensent in kür­zes­ter Zeit „ver­schlun­gen” hat – mit vie­len Anmerkungen zum Weiterdenken.

Michael Böhm, 1947 gebo­ren, war Schriftsetzer-Meister und danach jah­re­lang in der Datenverarbeitung von Großunternehmen tätig. Und er schreibt seit sei­ner Schulzeit. Vor die­sem aktu­el­len Buch hat er u.a. bereits zwei andere Kriminalromane ver­öf­fent­licht. Man darf auf wei­tere sehr gespannt sein.

Siegfried R. Krebs

Michael Böhm: Herrn Petermanns unbedingter Wunsch nach Ruhe. Roman. 176 S. Hardcover m. Schutzumschl. Edition 211 im Bookspot-Verlag. München 2013. 14,80 Euro. ISBN 978-3-937357-80-5

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