Daß es sich bei diesem Buch um einen Kriminalroman handelt, darauf soll gleich zu Beginn ausdrücklich hingewiesen werden. Denn Böhm hat keinen 08/15-Krimi „von der Stange” geschrieben. Davon gibt es hierzulande sowohl gedruckt als auch im Medium Fernsehen viel zu viele. Also steht hier auch kein Ermittler im Mittelpunkt, auch nicht die leider üblichen privaten Probleme der Ermittler, die sich in solchen mittelmäßigen Produkten auch in sexuelle Eskapaden mit Verdächtigen oder Hauptzeugen einlassen.
Michael Böhms (Kriminal-)Roman kann, das Fazit sei ausnahmsweise schon mal vorweggenommen, ohne Wenn und Aber als Beispiel für wirklich niveauvolle Unterhaltungsliteratur genannt werden – und entspricht damit dem selbst gewählten Anspruch des Münchner Bookspot-Verlags und seiner „Edition 211″. Natürlich gibt es auch in diesem Buch eine Ermittlerin, die eher beiläufig und am Rande eingeführt wird, die zunächst nicht mal als solche erkennbar ist. Und es gibt selbstverständlich amouröse Beziehungen – seitens des Protagonisten. Eine zu einer wesentlich jüngeren Ärztin, die von ihm seit ihrer Kindheit gefördert worden ist. Und schließlich sogar zu einer Nachbarin mit dem sprechenden Namen „Magdalena Liebe”. Beide Freundschafts- und schließlich Liebes-Beziehungen ist aber kein modisches Zugeständnis an Schlüsselloch-Bedürfnisse jieperiger Leser, sondern sie tragen zur komplexen Darstellung der Persönlichkeit des Dr. Petermann bei.
Petermann stammt aus einer Akademiker-Familie, hat aber als Professoren-Sohn nie familiäre Wärme kennengelernt – abgesehen von seiner fürsorglichen Kinderschwester, dafür jedoch eine ausgezeichnete Ausbildung als Mathematiker/Informatiker genossen. Und so wurden Beruf und das eigene überaus erfolgreiches Unternehmen für Jahrzehnte seine Familie. Obwohl er auch eine Vernunftehe inclusive Stiefsohn eingegangen war. Als er sich schließlich als Witwer und überaus vermögender Mann aus diesem Konzern zurückzieht, beginnt sein zweites Leben. Hier kann er seinen ästhetischen Neigungen nachgehen, als Kunstsammler und Kunstverständiger für afrikanische Kunst; als – wider Erwarten – erfolgreicher Schriftsteller von Romanen zu diesem Thema. Und er lebt nun nicht mehr in der hektischen Großstadt, sondern auf einem Bauerngehöft in einem winzigen Dorf. Das Haus hatte er zufällig entdeckt und zu seinem Refugium umgestaltet.
Der Ex-Manager, der zuvor nur mit den Größen aus Wirtschaft und Politik verkehrte, gewöhnt sich rasch ans ländliche Leben, schließt gute Bekanntschaften, gar Freundschaften, mit seinen Nachbarn. Natürlich pflegt er auch noch alte Kontakte – gerade letzteres Netzwerk soll für den kriminellen Teil des Geschehens noch große Bedeutung bekommen.
Eines Tages stirbt ein Nachbar und aus ist es mit der Idylle, die friedliche und ruhige Welt Petermanns (und der anderen Nachbarn) gerät aus den Fugen: Denn auf dem Nachbarhof übernimmt nun der Enkel des Verstorbenen das Regiment. Lautstarke Orgien von jugendlichen Motorrad-Rockern kulminieren in einem endlosen Dauerlärm. Gute Worte, auch nicht Beschwerden oder gar Geld schaffen Abhilfe.
Und so reift Petermanns Plan für eine absolute Lösung. Die da dann nur noch heißen kann: Der Ruhestörer muß weg, muß sterben. Wie er plant und wie er vorgeht, das läßt den Mathematiker/Programmierer erkennen. Leider gibt es letztlich noch ein kleines Problem (Petermann könnte gesehen worden sein) und so greift ein spontaner Plan B. Hier kommt das alte Netzwerk ins Spiel. Das Opfer bleibt verschwunden, es wurden sogar falsche Spuren gelegt, alle Ermittlungen verlaufen im Sande, das erfährt der Leser beiläufig. Irgendwann dann taucht die bereits erwähnte Ermittlerin im Dorfe auch, will den Fall neu aufrollen aufgrund neuer Verdachtsmomente. Sie kommt dabei instinktiv Herrn Petermann sehr nahe, doch auch sie kann nichts beweisen. Es könnte also wieder Ruhe und Ordnung im Hause Petermann einziehen.
Aber wie es so spielt im Leben, es gab tatsächlich seinerzeit einen Beobachter der Mordtat – und daher gibt es in diesem Buch einen zweiten Teil. Man vermutet es ja gleich, es muß noch einen zweiten Mord geben. Allerdings tun sich hier zunächst zwei Handlungsstränge auf, die Petermann zunächst nicht miteinander in Verbindung bringen kann. Hier kommt dann auch die bereits erwähnte Magdalena Liebe ins Spiel. Auch sie, ebenfalls außerberuflich kreativ tätige Programmiererin, erkennt das Vorgefallene. Sie kann Petermann durchaus verstehen, wird daher aus ehrlichem Herzen seine Komplizin. Wer wie und warum die Ruhe des Dr. Petermann erneut störte, das soll hier nicht verraten werden. Auch nicht, wie dieser den erneuten Angriff auf diese Ruhe parierte. Jedenfalls gibt es ein Happy End, allerdings nicht für unliebsame Ruhestörer.
Und so kann der letzte Satz dieses Romans nur lauten: „Und alles ist wunderbar in Ordnung.” (S. 169)
Der Leser kann eigentlich gar nicht böse sein, daß der Mörder ungeschoren davon kommt. Man kann Herrn Petermann eigentlich sogar problemlos verstehen. Das mag biedere Gemüter verwirren, kann das Gerechtigkeitsgefühl braver Bürger verletzen. Böhm fällt kein Urteil über den zweifachen Mörder und wohl die meisten Leser werden das wohl auch akzeptieren. Denn hier spricht eher das Herz als der Verstand. Obwohl – Herz UND Verstand spielen im Roman und in der Zeichnung der Persönlichkeit des Dr. Petermann eine nicht unwesentliche Rolle.
Hervorzuheben ist die durchaus gelungene Zeichnung der handelnden Charaktere in all ihrer Vielschichtigkeit. Böhm verfügt über großes Erzähltalent, kann gut mit Sprache arbeiten und schafft es so, Spannung aufzubauen, Spannung zu halten, obwohl der Leser eigentlich ja alles von Anfang an weiß.
Der Autor bedient sich einer Schreibweise, die zwar von vielen Germanisten/Literaturwissenschaftlern bekrittelt wird: Wenn es um die Mordtaten selbst geht, wechselt er die Erzählperspektiven: Aus dem Ich-Erzähler wird dann der nüchterne Beobachter des Geschehens.
Es gefällt, daß Böhm die Handlung gekonnt verbindet mit Beschreibungen von Gefühlen, Landschaften, Orten und dem Wetter. Und nicht zuletzt kommen philosophische Betrachtungen und Betrachtungen zur heutigen Gesellschaft, zur menschlichen Existenz aus der Sicht des Ich-Erzählers zum Ausdruck. Sie runden den Roman ab. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen:
„MdL Landes gehört zu den konservativen Politikern, die fest davon überzeugt sind, die Richtung vorzugeben, die richtige selbstverständlich, die meinen, zum Besten des Volkes zu handeln, es im Griff zu haben, und gerade darum unfähig sind zu bemerken, dass das Volk längst nicht mehr mitspielt.” (S. 33) – Sind solche Politiker nicht eigentlich krimineller als der Mörder aus Not Petermann?
„Vor mir in der ersten Reihe haben die kirchlichen Würdenträger und die bei solchen Anlässen unvermeidlichen Politiker ihre Plätze, vom Bürgermeister angefangen über den Landrat, die MdL und MdB aller Parteien. Keiner fehlt, natürlich nicht.” (S. 85) – Hier spricht der Agnostiker/Atheist Dr. Leo Petermann ein leidiges Problem in bundesdeutschen Landen sehr direkt an.
Abschließend soll nur gesagt werden, es handelt sich bei diesem Roman aus der Feder von Michael Böhm um ein wirklich faszinierendes Buch, das der Rezensent in kürzester Zeit „verschlungen” hat – mit vielen Anmerkungen zum Weiterdenken.
Michael Böhm, 1947 geboren, war Schriftsetzer-Meister und danach jahrelang in der Datenverarbeitung von Großunternehmen tätig. Und er schreibt seit seiner Schulzeit. Vor diesem aktuellen Buch hat er u.a. bereits zwei andere Kriminalromane veröffentlicht. Man darf auf weitere sehr gespannt sein.
Siegfried R. Krebs
Michael Böhm: Herrn Petermanns unbedingter Wunsch nach Ruhe. Roman. 176 S. Hardcover m. Schutzumschl. Edition 211 im Bookspot-Verlag. München 2013. 14,80 Euro. ISBN 978-3-937357-80-5