Unblutige Befriedung

Unblutige BefriedungHaben sie ihn nun gezwungen? Gedungen? Oder ist er wirklich freiwillig freiwillig gegangen? Nach zwei Wochen, in denen der Streit um Thilo Sarrazin Deutschland beschäftigt hat, als habe es gar keine Probleme, ist die Frage nach den genauen Umständen des eben noch kampfentschlossenen Sozialdemokraten mit den "kruden Thesen" vielleicht noch für die geschichtliche Wahrheitsfindung wichtig. Für die Beurteilung der Affäre selbst hingegen darf die Frage offen bleiben.
Auch so hat die "Debatte um Sarrazin" (dpa) ein Land gezeigt, dass viele seiner Bewohner bis dahin nicht kannten. Wie ein Gewitterblitz erleuchteten Diskussionsbeiträge höchster Staatsorgane, wieviel des Weges vom freiheitlichen Rechtsstaat, zu dem Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hatte werden wollen, zurück zur Meinungsdiktatur einer "ganz kleinen Clique" (Adolf Hitler) bereits zurückgelegt ist. Nur vordergründig ging es bei Sarrazin um die Frage, in welcher Tonlage Kritik an Bevölkerungsgruppen vorgetragen werden darf. Dur? Moll Schrill? Inweit sind Verallgemeinerungen notwendig, inweit Selbstverantwortung muss einklagbar sein? Sarrazin, das gestehen nach einem halben Monat Talkshow-Geheuchel und Leitartikel-Bombardement selbst die meisten derer zu, die sein Buch anfangs verteufelten, ohne es gelesen zu haben, hat meistenteils Recht, er hetzt keineswegs über 464 Seiten und auch seine Verallgemeinerungen sind durchweg von Zahlen und Statistiken diktiert, nicht von Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit.
Längst aber spielt das keine Rolle mehr. Was den Fall Sarrazin zur Staatsaffäre macht, ist der Versuch eines Kartells aus Medienkonzernen und Inhabern höchster Parteiämter quer durch das politische Spektrum, einen Buchautoren zu instrumentalisieren, um den Korridor zu verengen, innerhalb dessen sich Meinungsäußerungen bewegen müssen, um "zulässig" zu sein. Gestalten wie der TV-Moraltheoretiker Michel Friedman, bekannt geworden als Liebhaber ukrainischer Nymphen, aber mittlerweile zurück im Scharfmacher- und Scharfichtergewerbe, exekutieren den Täter öffentlich und mit einem Eifer, der nur durch ihre eigene Geschichte erklärlich ist: Können dessen Sünden als schwer gebrandmarkt werden, erscheinen die eigenen gleich viel weniger verwerflich.
Der Plan aber, der durch das Gewirr an Geschwätz schimmert, ist ein größerer. Es geht einmal darum, denen, die dem unbotmäßigen Ex-Senator, Ex-Bundesbanker und bald auch Ex-Genossen folgen könnten, am Leib eines Lebenden klar zu machen, was ihnen droht, verstoßen sie gegen dieselben ungeschriebenen Gesetze politischer Korrektheit. Sarrazin ist nicht der erste Fall von Einhegung, wohl aber der, in dem mit den brachialsten Mitteln, mit den schärfsten Waffen und den harschesten Vorwürfen gearbeitet wurde. Was, wenn der kantige, oft unbeholfen wirkende und durch freie Reden holpernde Sarrazin psychisch anfällig gewesen wäre? Was, wenn er dem Druck nicht standgehalten hätte? An wessen Händen klebte sein Blut dann jetzt? Am Bundespräsiddentendarsteller Wulff, der Überparteilichkeit als allen zu Willen sein übersetzt? Am liberalen Außenminister Westerwelle, der glaubt, höchstmögliche Biegsamkeit im Charakter forme den Grashalm zur Eiche. Oder an der Kanzlerin, die einen deutschen Provokateur verteufelt. Und einen dänischen ehrt, weil er nicht sie provoziert?
Natürlich, historische Vergleiche verbieten sich, weil sie die ersten waren, die hierzulande unter Strafe der öffentlichen Verdammnis gestellt wurden. Doch wie war das mit Robert Havemann und Rudolf Bahro damals in der DDR? Sind die Parallelen paralleler oder die Unerschiede größer? Zählt es mehr, dass Thilo Sarrazin für die Veröffentlichung eines Buches nur seinen Job verlor und weder ins Gefängnis musste noch mit Hausarrest belegt wurde? Oder gleicht die Ausrufung des 65-Jährigen zum Staatsfeind Nummer 1 am Ende in recht vielen Einzelheiten - vom Versuch der Mahnung über die Aufforderung zum Widerruf bis zur Abstrafung auf Partei- und Berufsebene - nicht doch dem, an das sich ältere Ostgeborene wie Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnern sollten?
Die FDJlerin Merkel war schließlich damals bei Havemann zur Hauswache eingeteilt. Später holte der Stasimann Wolfgang Schnur sie, die Tochter eines Freundes, in seine neugegründete Partei Demokratischer Aufbruch, von der heute nicht mehr geblieben ist als der Name und die Kanzlerin: Zwei Dinge, die nie zusammengepasst haben.
Denn Merkel, das hat sie in den letzten Wochen deutlicher als je zuvor gezeigt, ist nicht nur in der DDR aufgewachsen, sie hat auch von den Mächtigen dort gelernt, dass Meinungsfreiheit in einem befriedeten Gemeinwesen nur für Meinungen gelten darf, die den eigenen wenigstens in groben Zügen entsprechen. Für alle anderen gilt: Man ruft lasut nach ihnen, man mahnt, erinnert an Fäle wie Klier und Krawczyk. Und tarnt damit doch nur das Bemühen, die eigenen Regimekritiker, Dissidenten und Querköpfe mundtot zu machen.
Die Ansicht, man könne und solle das Grundgesetz an und abschalten können wie einen Glühbirne, je nach dem, wessen Grundrechte es gerade schützen oder nicht schützen soll, war bisher vor allem unter grünen Radikaldemokraten wie Claudia Roth, Notvorständen der politischen Linken wie Gabriel und Ernst und bei rechtsextremen Heimatschützern wie dem NPD-Mann Holger Apfel verbreitet. Mit Sarrazin aber, dessen endgültige Hinrichtung allein die Tatsache verhindert hat, dass große Teile der Bevölkerung den platten Parolen aus den Parteizentralen erstmals die Gefolgschaft verweigerten, greift dieser Glaube auf die selbsternannten Lordsiegelbewahrer der Grundrechte über. Die CDU, die Bahro und Havemann bis heute als "kritische Geister" feiern würde, weckte man sie morgens halb drei auf und riefe die Namen, feuert Mitglieder, weil sie illegale Kontakte zu niederländischen Rechtspopulisten pflegen. Sie kreischt Vorständler nieder, die an historische Wahrheiten aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg erinnern, als ein geflügeltes Wort in Polen "Nach Berlin!" hieß, und sie verweigert jedes Eintreten für einen, der nichts weiter getan hat, als sein Grundrecht zu nutzen, seine Meinung öffentlich zu machen. Wo in den Sätzen derer, die zum Abschuss freigegeben sind, nichts zu finden ist, das gegen sie anwendbar ist, das hat der frühere Freidemokrat Westerwelle eben vorexerziert, lässt sich aus dem Tonfall allemal lesen, was benötigt wird: "Zweideutigkeiten" seien schädlich hat, Westerwelle gesagt. Der Mann würde auch ein vergessenes Komma als Mordaufruf werten, passte es ihm in den Kram: "Komm Opa essen".
Aus dem Abstand einiger Jahre gesehen, wird der Punkt, an dem die lange belächelte political correctness zum Sprengstoffgürtel an der Hüfte der Demokratie wurde, von der Zeitleiste der deutscher Politik verschwunden sein. Er markiert keine große Wende, keinen Geschichtsbruch, keine neue Qualität, nichts, was nicht schon im Fall Hohmann, bei Herman oder Clement zu erkennen gewesen wäre. Nur ein kleines Schrittchen weiter weg von einem Land, in dem jeder alles denken, sagen und schreiben durfte, was nicht gegen Gesetze verstieß, nur ein kleines Schrittchen wurde in diesen drei Wochen anno 2010 gegangen, wie selbst die undemokratischer Regungen im Augenblick noch gänzlich unverdächtige FAZ bemerkt. Sie mahnt, dass "die für die Demokratie konstitutive Meinungsfreiheit nicht nur für Meinungen gilt, die von der Kanzlerin als hilfreich und von besonders klugen Kolumnisten als diskussionswürdig und dem gerade geltenden Stand der Wissenschaft entsprechend angesehen werden". Sondern eben auch "für falsche, verwerfliche und abwertende Äußerungen". Es nutze der Demokratie nicht, wenn der Raum, in dem sie leben dürfe, in ihrem Namen immer weiter verkleinert werde. Nein, im Gegenteil. "Es schadet ihr." (FAZ)
Gestern eine Selbstverständlichkeit, mit der kein Kommentator seine Leser hätte langweilen dürfen. Heute schon ein Satz, der irgendwie mutig klingt.


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