In der Welt gibt einen Artikel über gestresste Eltern, dessen Inhalte mir nicht neu waren:
Eltern haben überzogene perfektionistische Ansprüche an sich in ihren verschiedenen Rollen. Sie wollen perfekte Eltern, Frauen, Männer und Partner sein. Und natürlich perfekt im Job glänzen.
Es gehe um Entscheidungen vom bestmöglichen Kinderwagen bis zur Frage, ob das Kind in der KiTa Chinesisch lernen soll. Letzteres und eigentlich auch Ersteres kommt mir ein bisschen wie Realsatire vor. Aber gut – das mag daran liegen, dass wir Mehrfach-mehrfach-Eltern etwas abstumpfen mit der Zeit :D Wir kaufen halt den Wagen, der uns gefällt und unsere Ansprüchen entgegenkommt. Bei Kind Nummer 1 hatten wir noch einen ohne schwenkbare Räder …
Ein Satz fiel mir besonders auf – daneben, dass die Hälfte der Eltern es anscheinend als ihre Aufgabe empfindet für den Kontakt zu gleichaltrigen Kindern zu sorgen: “Sohn oder Tochter sollten das Gefühl haben, das Wichtigste auf der Welt zu sein.”
Wow. Das Wichtigste auf der Welt. Ich habe dann vier Mal das Wichtigste hier.
Ich mag es, wenn Kinder sich als unglaublich wertvolle Bestanteile einer Gemeinschaft empfinden, die es ohne sie gar nicht gäbe – der Familie. Hier sollten sie geliebte und respektierte Mitglieder sein, aber nicht der Mittelpunkt. Die Verschiebung des Kindes von einer Art naturgegebenem Anhängsel (meine Kindheit) zum Dreh- und Angelpunkt der (elterlichen) Welt halte ich für nicht gut.
Wir haben hier in manchen Artikeln Ähnliches festgehalten: Kinder sind für viele Eltern zu einem Projekt geworden. Allein der Aufwand für einen Kindergeburtstag lässt darauf schließen: Es werden kleine Kunstwerke als Einladungen erstellt, es werden Hunderte Euro investiert und neben dem Tag der Vorbereitungen und dem Nachmittag der Bastelarbeiten dann noch der Tag selber. Den man irgendwo in Versailles zu verbringen pflegt. Eigens mit rosa Helikoptern eingeflogen tanzen die Kinder in frisch genähten Kostümen zur für diesen Anlass komponierten Ballmusik. Fotografen kommen, Livrierte stehen bereit und am Ende bekommen die kleinen Prinzen und Prinzessinnen ein Körbchen voller kleiner Präsente, die dem Wert des mitgebrachten Geschenkes gefährlich nahe kommen. Letzteres angelte man aus einem Korb, in den das Geburtstagskind es zuvor hineinlegte und trug es zur Kasse, um es ganz persönlich von einer Fremden verpacken zu lassen. Und das, während es immer heißt “Sie haben schon viel zu viel Zeug – es belastet sie schon.”
Warum ist das so? Haben Eltern das Gefühl, den Kindern könnte etwas entgehen? Sollen sie die zauberhafteste Kindheit der Welt erleben? Ist es eine Wiedergutmachung für das ewige schlechte Gewissen? Hat sich das so hochgeschraubt, weil die Eltern immer schönere und bessere Geburtstage veranstalteten und dies die eigenen Erwartungen steigerte?
Warum auch immer: Es geschieht natürlich überwiegend aus Liebe und ist nichts Schlechtes. Aber die einmal von mir in einem Artikel über die Kindheit in den 80er Jahren erwähnte Mandarinen-Sahne-Torte hatte meine Mutter damals auch mit Liebe gebacken. (Ich habe die Torte übrigens nun auf einem alten Foto wiederentdeckt: Es war mein fünfter Geburtstag – ich weiß noch heute wie toll süß-sauer die Mandarinen schmeckten …)
Wie viel Aufmerksamkeit ist möglich, nötig und gut? Es darf zumindest nicht so weit gehen, dass immer mehr Mütter Burn-Out-Symptome haben. Dann läuft doch etwas schief, oder nicht?
Ich will nun nicht das polemische Fass “Hatten wir alles auch nicht und hat uns nicht geschadet” öffnen. Ich ziehe meine Kindheit lediglich als Vergleich heran. Meine individuelle Kindheit kann ich ohnehin nicht als Beispiel für alle nehmen, dafür war sie zu speziell. Aber ich erinnere mich ja an den Stellenwert der Kinder damals. Wir wurden geliebt und beachtet und bekamen, was wir brauchten. Es gab Geschenke an den Feiertagen und wenn man etwas gespart oder von der Tante zugesteckt bekam, dann kaufte man sich auch mal was Größeres zwischendurch. Meine Hausaufgaben erledigte ich bis auf Ausnahmen alleine, ich konnte mich mit zwei Jahren alleine an und ausziehen. Und das war nichts Besonderes. Es war selbstverständlich, dass ich meine Schultasche nicht mitten in den Flur werfe und mein Meerschweinchen selber fütterte. Ausgezogene Kleidung kam in den Wäschekorb, mein Zimmer räumte ich selber auf. Ich fuhr mit dem Fahrrad und dem Bus zu meinen Freunden. Ich sehe nicht, was daran falsch oder schlecht war. Ich war stolz, ganz alleine klarzukommen, als ich auszog. Da konnte ich streichen und tapezieren und vieles mehr. Fand ich klasse! Und werde ich meinen Kindern auch gerne alles vermitteln.
Aber:
Trotz des Wissens, dass manche Dinge heute eigentlich nicht ganz optimal verlaufen, traue ich mich nicht immer, es anders zu machen.
Ich muss eh schon öfter mal mit mir ringen, weil unsere Kinder sich eine Menge Aufmerksamkeit teilen müssen. Ich sage mir dann immer tapfer, dass eine größere Geschwisterzahl als 0 und 1 nichts Unnatürliches ist. Sondern sehr artgerecht. Und es macht selbstständig und so. Aber das hilft nicht immer. Umgeben von Eltern, die ihre Kinder nachmittags ohne Murren herumkutschieren, ihre Schultaschen bis zur Schultür tragen, ihnen die Jacken ausziehen bis sie Zwölf sind und ihre Zimmer aufräumen, habe ich es schwer mit meinen eigenen rebellischen Ansprüchen. Ich möchte Bügeln, Nummer 1 und 2 müssen auf Nummer 4 aufpassen – manchmal bemitleide ich sie dann. Verrückt, oder? Dabei hatten sie davor und haben danach massig Freizeit. Und machen es gerne.
Vielleicht liegt da eines der Probleme. Manches würde man vielleicht gerne anders machen, herunterschrauben und ganz bleiben lassen – aber wie stünde man dann da? Man hätte vermutlich mal wieder das typische schlechte Gewissen.
Elternsein war definitiv immer anstrengend – aber nie so komplex und vielschichtig wie heute, da bin ich mir sicher.