Umerzieher am Werk: Die Gefahr der neuen „Tugendhaftigkeit“

Von Peymani @Ramin_Peymani

Für alle mit zu tiefem Blutdruck gab es in dieser Woche bei der Nachrichten-Lektüre wieder reichlich Gelegenheit, den Kreislauf auch ohne ärztliche Hilfe in Schwung zu bringen. Zu den größten medialen Aufregern zählte zwar Peer Steinbrücks gewohnt herzhafte Kommentierung der Wahlen in Italien, doch ließen auch die Grünen wieder Millionen von Halsschlagadern anschwellen. Die „Partei der 100 Verbote“ machte erneut unmissverständlich klar, dass sie im Falle der Regierungsübernahme ein striktes Tempolimit einführen werde – maximal 30 km/h in geschlossenen Ortschaften, höchsten 120 km/h auf Autobahnen. Dabei gerierte sich ausgerechnet die abgebrochene Theologie-Studentin Katrin Göring-Eckardt als Expertin für Chaosforschung. Keine Begründung scheint abenteuerlich genug, wenn es darum geht, der Gesellschaft die eigene Ideologie aufzuzwingen. Wieder ein Vorstoß, der zeigt, dass wir auf der Hut sein müssen, damit sich eine kleine Minderheit radikaler Besserwisser nicht endgültig unserer Demokratie bemächtigt. Wohin Naivität gegenüber radikaler Gesinnung führen kann, wissen gerade wir Deutsche nur zu gut. Wachsam sollten wir alle auch mit Blick auf eine Organisation sein, die sich mit einem ebenso grotesken wie erschreckenden Vorschlag zu Wort gemeldet hat und dafür den „Klodeckel des Tages“ erhält. Die sogenannte Nationale Armutskonferenz – ein Zusammenschluss der obersten Vertreter all jener Gutmenschen-Organisationen, die das öffentliche Leben im Würgegriff halten – trieb die bereits vor Wochen von mir „prämierte“ Säuberungsaktion eines Verlages mit Forderungen auf die Spitze, die deutschen Sprache von „sozialen Unwörtern“ zu befreien. Auf dem Weg zur Errichtung ihrer Sprach-Diktatur hat das Bündnis eine Sammlung von 23 „irreführenden, abwertenden oder diskriminierenden“ Begriffen erstellt, die aus dem Sprachschatz zu tilgen seien. Der 1. April ist noch fern, und doch hofft man auf einen verfrühten Aprilscherz, weil die Vorstellung, das Vorhaben könne auch nur im Ansatz auf fruchtbaren Boden fallen, böse Erinnerungen weckt. Perfide ist, dass hier mit der Diskriminierungskeule jedweder Kritik der Wind aus den Segeln genommen werden soll, doch vergessen wir nicht: Der Teufel ist am teuflischsten im ehrbaren Gewand. Es ist nicht das erste Mal, dass ich die scheinbar gut meinenden Verfechter der Political Correctness aufs Korn nehme, doch selten in der Vergangenheit ging ein Vorstoß der Bessermenschen so weit und war derart von Unterdrückung, Zensur und Radikalität geprägt. Nach Ansicht der Sprachwächter sind selbst die Attribute „arbeitslos“, „alleinerziehend“ oder „bildungsfern“ problematisch, obwohl sie ebenso treffliche Zustandsbeschreibungen sind wie „schwanger“, „verliebt“ oder „pitschnass“. Und sogar der von ihnen selbst eingeführte „Migrationshintergrund“ ist den Gutmenschen nicht mehr gut genug. Denn, so beklagt sich NAK-Sprecher Thomas Beyer (SPD), „Sprache ist nicht neutral, Sprache bewertet“. Genau, Herr Beyer! Dazu ist Sprache da: Um dem Einzelnen vielfältige Möglichkeiten an die Hand zu geben, sich in seinen eigenen Worten zu artikulieren und die Welt subjektiv zu beschreiben. Und da liegt das Problem: Mit dem Anspruch der einzigen Wahrhaftigkeit wird stattdessen die Entrechtung des Individuums, die Gleichschaltung der Sprache und die Ausschaltung des Pluralismus voran getrieben – fehlt nur noch die Bücherverbrennung…


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