Hat Amerikas langer Abschied von Irak tatsächlich begonnen? Nähert sich der Krieg, der bisher an die $ 700 Milliarden verschlungen hat, seinem Ende?
Präsident Barack Obama hat sein Versprechen erneuert, alle Kampftruppen der Vereinigten Staaten von Amerika per August 2010 aus dem Irak abzuziehen, die verbleibende Besatzung per Ende 2011. In seinem Wahlkampf hatte Obama versprochen, alle Truppen 2010 abzuziehen, aber das Pentagon setzte sich durch bei der Verlängerung der Frist.
Werden also alle Truppen nachhause kommen? Hoffentlich, aber wetten Sie nicht darauf. Denken Sie daran, dass Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika sechs Jahrzehnte nach dem Koreakrieg in Südkorea stationiert sind.
Die 50.000 bis 2011 verbleibenden Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika sollen angeblich „beraten und helfen“ und „Antiterror“-Missionen und –Ausbildung durchführen. Für mich als alten Kriegskorrespondenten und Militärhistoriker klingt das ganz nach dem Einsatz einheimischer Truppen unter weißen Offizieren unter dem britischen Imperium.
Diese umgetauften „Ausbildungs”-Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika werden voraussichtlich sechs schwer bewaffnete Kampfbrigaden umfassen, unterstützt von Kampfflugzeugen auf den Luftstützpunkten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Golfregion. Eine von Irak abgezogene Brigade der Vereinigten Staaten von Amerika wird ins benachbarte Kuwait verlegt. Der größte Teil des Restes wird nach Afghanistan verlegt.
Über das Schicksal der 85.000 von den Vereinigten Staaten von Amerika bezahlten Söldner (vulgo „Vertragspartner“) war kein Wort zu hören.
Unter dem bestehenden Militärabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Irak behalten die Vereinigten Staaten von Amerika alle Flugrechte über dem Irak. Wie lange das anhalten wird, ist ungewiss. Es wird jedoch ein wichtiger Indikator betreffend Washingtons Absichten sein, nachdem die Luftüberlegenheit der Schlüssel zur militärischen Macht der Vereinigten Staaten von Amerika rund um den Erdkreis ist. Jeder israelische Angriff auf den Iran würde mit größter Wahrscheinlichkeit durch irakischen Luftraum geführt werden.
Wie es heißt, besteht Amerikas Dreifaltigkeit aus „Gott, Kanonen und Erdöl.” Die irakischen Erdölreserven werden auf 112 Milliarden Barrel geschätzt, die zweitgrößten der Erde nach Saudiarabien. Kanada folgt an dritter Stelle. Irak verfügt auch über riesige Reserven an Erdgas, einen zunehmend wichtigen Treibstoff und Rohstoff. Die erdölhungrigen Länder Indien und China schielen bereits auf den Irak.
Amerikas einst mächtige Erdölkonzerne, die „Sieben Schwestern,” wurden von den meisten Erdölfeldern der Welt hinausgedrängt von nationalistischen Regierungen und durch staatliche Erdölfirmen ersetzt. Der irakische Herrscher Saddam Hussein warf die amerikanischen, britischen und französischen Erdölkonzerne aus dem Irak hinaus und besiegelte damit sein Schicksal.
Das Große Öl kam 2003 zurück in den Irak im Gefolge der Invasionstruppen der Vereinigten Staaten von Amerika und übernimmt Ölproduktion und -Export des Irak.
Die Vereinigten Staaten von Amerika brauchen selbst das irakische Erdöl noch nicht, aber die Kontrolle darüber verleiht ihnen mächtigen Einfluss über dessen Importeure, wie China, Indien, Japan und Europa. Die Kontrolle über das Erdöl im Mittleren Osten bleibt weiterhin ein Pfeiler der Weltherrschaft der Vereinigten Staaten von Amerika.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Vereinigten Staaten von Amerika den Irak ganz von der Leine lassen. Washington scheint sich an das Modell zu halten, das vom britischen Imperium in den 1920er Jahren errichtet wurde, um sich Mesopotamiens Erdöl zu sichern. Das sieht so aus: installiere einen Marionettenherrscher, richte eine einheimische Armee zu seinem Schutz ein, behalte in Stützpunkten in der Wüste einige britische Truppen und starke RAF-Einheiten,um die Bösewichter zu bombardieren, die die Pax Britannica stören – und um das billige Erdöl fließen zu lassen.
Washington baut in Bagdad um $ 740 Millionen eine neue Botschaft für 800 Angestellte, ebenso riesige neue befestigte Botschaften in Kabul und Islamabad, Pakistan (Kosten $ 1 Milliarde), die Platz für 1.000 „Diplomaten“ bieten. Osama bin Laden bezeichnet sie als „Kreuzfahrerfestungen.“
Die Vereinigten Staaten von Amerika hoffen, dass das schiitische Maliki-Regime, das sie in Bagdad installiert haben, den Deckel auf dem Irak haltenwird, während es ermöglicht, dass das fast unabhängige Kurdistan ein Protektorat der Vereinigten Staaten von Amerika in der Art von Kuwait bleiben wird. Geht man allerdings von der zerklüfteten irakischen Geschichte aus, scheint das unwahrscheinlich zu sein.
Die amerikanische „Befreiung“ hinterließ den Irak politisch, wirtschaftlich und sozial zerbrochen, „getötet“ in den Worten des ehemaligen Außenministers Tariq Aziz. Die Republikaner in den Vereinigten Staaten von Amerika frohlocken über den Sieg im Irak dank der berühmten von John McCain befürworteten militärischen „Ausweitung.“ Hinter diesem falschen Gerücht verbirgt sich allerdings die grauenvolle Wahrheit.
Seriöse Studien schätzen die Zahl der Getöteten im Irak auf mehrere Hunderttausend bis zu einer Million, wobei die Angaben von UNO-Beobachtern, dass 500.000 irakische Kinder, die durch Krankheiten infolge des von den Vereinigten Staaten von Amerika angeführten Embargos vor 2003 getötet worden sind, nicht mit einbezogen sind.
Vier Millionen sunnitische Iraker bleiben Flüchtlinge, die Hälfte davon im Ausland, als Opfer der ethnischen Säuberungen der Schiiten. Todesschwadrone suchen das Land heim. Washington gibt nicht genannte Millionenbeträge aus, um sunnitische Kämpfer zu bestechen, ihre Waffen niederzulegen.
Eine große Anzahl von irakischen Ärzten und Wissenschaftern wurde ermordet – viele Iraker glauben, ohne konkrete Beweise zu haben, vom israelischen Mossad. Labyrinthe aus Betonmauern, die die Vereinigten Staaten von Amerika errichtet haben, zerteilen und kontrollieren die größeren Städte. Bei 40°C Hitze gibt es nur ein paar Stunden am Tag elektrischen Strom. Durch die von den Vereinigten Staaten von Amerika verwendete DU-Artilleriemunition werden Krebserkrankungen so epidemisch wie in Afghanistan.
„Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden,” sagte Tacitus seinerzeit über die Endlösungen Roms.
Aus Angst vor einem Angriff durch die Vereinigten Staaten von Amerika spielte auch der Iran eine wichtige Rolle bei der Abschwächung des Widerstands gegen die Okkupation der Vereinigten Staaten von Amerika durch Anweisungen an die irakische schiitische Miliz, die Mehdi-Armee, das Feuer einzustellen und zeitweise mit dem Maliki-Regime zu kooperieren.
Wenn alle Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika abgezogen werden, besteht für das Maliki-Marionettenregime das Risiko, schnell beseitigt zu werden. Eine wirklich nationalistische irakische Regierung würde wahrscheinlich das Erdöl wieder verstaatlichen, wieder aufrüsten, die ruinierte Nation wieder aufbauen und wieder dem arabischen Kampf gegen Israel beitreten. Oder der Iran wird eines Tages einen großen Teil des erdölreichen schiitischen Irak beherrschen. Es ist nicht anzunehmen, dass Washington eines dieser Ergebnisse akzeptieren wird.
Der bewafnete irakische Widerstand gegen die fremde Okkupation wurde schwächer, je näher das Abzugsdatum kommt. Die Zahl der Opfer der Vereinigten Staaten von Amerika ist stark zurückgegangen, weil die amerikanischen Truppen in ihren Stützpunkten gehalten werden. Aber das könnte sich schnell ändern.
Der höchstrangige überlebende Parteiführer der Ba´ath-Partei Izzat Ibrahim al-Duri hat gerade einen neuen Schlag angekündigt gegen die Okkupanten und ihre schiitischen Alliierten.
Die Aussichten für den Irak sind wahrscheinlich mehr Gewalt und Aufruhr. Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika werden bleiben müssen, um die amerikanischen Erdölkonzerne zu beschützen und den Irak vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Als Vorwand wird natürlich der „Kampf gegen den Terrorismus“ herhalten müssen, aber der wirkliche Grund, wie auch in Afghanistan, wird das Erdöl sein, das, wie wir wissen, gleich nach Gott kommt.
Den zerschlagenen Irak zu erobern war leicht. Aber hinauszukommen wird sich wahrscheinlich als viel schwieriger herausstellen. Das allerdings könnte sich natürlich auch als Teil von Washingtons langfristiger Planung herausstellen, ein Reich im Mittleren Osten zu errichten.
erschienen am 10. August 2010 auf > HUFFINGTON POST