Um sie – und nur um sie - muss sich Politik kümmern...

 

Die Genossen sind eine kritische Masse. Das glauben sie jedenfalls selbst von sich. Man hat nicht erwartet, dass der Freund kostenintensiven Weines scheitern würde. Dass es aber dann 93 Prozent würden, konnte man ja nicht ahnen. Was haben sie noch gewettert, ausgerechnet dieser Mann, diese Bossegenosse, dieser Honorist und Agendist, dieser Pekingese des Schröder und des Müntefering. Tja, da dachte man noch, sie machen es sich schwer mit diesem Mann, der von der Parteispitze vorschlagend beschlossen wurde.
Vielleicht haben sie es sich ja auch schwer gemacht. Wer weiß schon etwas über die Gemütslage der Genossen? Gut möglich, dass sie innerlich zerrüttet sind, dass sie mit schwerfälligem Gewissen mit Ja votierten. Da hat der kleine Leib- und Magenkoalitionspartner bereits abgefärbt. Die Realos, früher auch Grüne genannt, haben sich irgendwann mal den hübschen rhetorischen Gewissensbiss und -kniff ausgedacht, der da heißt "mit Bauchschmerzen". Der geht so: Kriegseinsatz? Ja, aber mit Bauchschmerzen! Sozialabbau? Eigentlich wollen wir nicht, aber mit Bauchschmerzen: Ja! Wer sagt denn, dass der Mann nicht einfach nur ein Bauchschmerzkandidat ist? Vielleicht waren es Bauchschmerzen, die das fulminante Ja für ihn ermöglichten. Hoffentlich handelte es sich bei diesem Bauchweh nicht um sich ankündigenden Stuhlgang. Dann wäre der Kerl ja aus falschen Motiven Kandidat.

Und hat er nicht eine schöne, eine wirklich erhebende Rede gehalten? Wenn die Sozis regieren, geht es dem Land besser. Hurra! Haltung und Werte für die Politik. Vivat! Kein klassistisches Gesundheitssystem für Deutschland. Hosianna! Gerechte Löhne für alle. Wacht auf, verdammte dieser Erde...! Der soziale Wohlfahrtsstaat ist das große Projekt der deutschen Sozialdemokratie. Die Partei, die Partei, die hat immer...!
Ist das Lug und Trug oder einfach nur Verblendung? Wo hat dieser Mann seit Schröders Antritt gelebt? Und leiden die Genossen allesamt an Demenz? Vielleicht ist diese Vergesslichkeit der Delegierten ja nichts weiter als ein Anzeichen der Alterung unserer Gesellschaft. Waren all die jungen Menschen, die man auf dem Sonderparteitag sah, nur die Buftis, die die Stimmberechtigten zur Urne schoben?
Persönlich nehme ich es diesem Menschen übel, dass er auf dem Rücken der Armen einen Wahlkampf gestalten und gewinnen will, die ihm später relativ gleichgültig sein werden. Seine Aussage zur hypothetischen Erhöhung des Kindergeldes sagte ja alles. Der Mann, der in etwa so sehr für die Agenda 2010 steht, wie Schröder und Clement und Müntefering selbst, ausgerechnet dieser Kerl will die soziale Gerechtigkeit zu seinem Thema machen. Weshalb ernennt er nicht gleich den Ex-Senator und Ex-Bänker mit dem Bestseller in der Tasche zum Entwicklungsminister? Das passt in etwa so gut, wie er als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Neulich meint er noch, mehr Geld für Arme bringe nichts ein, weil es vielleicht wo landet, wo man es nicht haben will. Und jetzt gibt er den rhetorischen Tribun der Elenden.
Ich weiß, dass er beim Interview mit Cicero nicht die Armen sagte, als er Angst um das Geld hatte. Aber er meinte sie? Wen sonst? Seinesgleichen? Und er sagte auch nichts, wohin das Geld geht. Aber er meinte sicherlich nicht auf das Sparbuch von kleinen Scheißern etwaiger Mittelstandspaare. Zigaretten und Alkohol natürlich. Und die Playstation. Die Vorurteile sind hinlänglich bekannt. Der Mann sagte zu Zeiten, da er noch ministerieller Erfüllungsgehilfe der Agendapolitik war, auch etwas zur sozialen Gerechtigkeit. Ich habe mir das Zitat archiviert. Hier ist es, damit wir gleich mal wissen, wie er soziale Gerechtigkeit definiert: "Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um sie – und nur um sie - muss sich Politik kümmern." Wer ist da wohl nicht inklusive?
Dreiundneunzig Komma fünfundvierzig Prozent für diese soziale Gerechtigkeit als Wahlkampfthema! Ein klares Bekenntnis von den Sozialdemokraten, wie ich finde. Und er scheint auch die Basis getroffen zu haben, drüben bei Facebook überschlagen sie sich gerade vor Freude. Endlich ein Kandidat mit Format, klare Versprechen, Politikwechsel. Ich scheiß' gleich in die Hose vor Lachen. Entschuldigung, ich kann es nicht feiner schreiben. Und jetzt kommt der Clou obendrauf: Man kann nichts machen, um diesen Mann zu verhindern, weil man damit nämlich die Frau ermöglicht. Aber abwinken und sagen Alles Scheiße!, das macht man nicht, lehrt und der demokratische Kodex. Er zeigt aber auch nicht auf, was man tut, wenn wirklich alles Scheiße ist. Lachen über gruppenspezifische Dummheit ist ja auch keine Lösung.


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