Ulrich Tukurs Verwirr-Tatort kommt nicht gut an. Schade, aber der Sonntagskrimi ist wohl nichts für künstlerische Selbstironie
Der Tatort ist eine der beliebtesten deutschen Fernsehformate. Ulrich Tukur ist einer der beliebtesten deutschen Schauspieler. Wenn Tukur als Wiesbadener Kommissar Murot ermittelt, kann also eigentlich nichts schiefgehen. Trotzdem kommt Fernsehdeutschland mit der neuesten Folge "Wer bin ich?" nicht zurecht. Das unaufgelöste Verwirrspiel um den doppelten Ulrich Tukur, der Murot und sich selbst spielt, dazu die überzeichnete Selbstironie von mehreren Fernsehkommissaren und er ganzen Tatort-Crew hat mit einem klassischen Sonntagabendkrimi wenig zu tun - das war eher Tatort-Satire als Tatort. Und das sagt manches über das Format, über Ulrich Tukur und über das Pulikum. Im Sonntagskrimi ist offenbar kein Platz für künstlerische Selbstreflexion und Selbstironie - selbst wenn sie hervorragend gemacht ist.
Der durchschnittliche Fernsehzuschauer scheint sich am Sonntagabend auf einen durchschnittlichen Krimi mit klarer Rollenverteilung zu freuen: Totes Opfer, böser Täter, guter Polizist. Dazu ein allzu menschliches Motiv - Habgier, Eifersucht oder Rache - und am Ende der 90 Krimi-Minuten eine Aufklärung, die alle Fragen beantwortet und die alle Schurken hinter Schloss und Riegel bringt. Ulrich Tukur hält sich nicht nicht an diese Gelinggarantie. Möglicherweise hat man ihn genau deshalb als Tatort-Ermittler engagiert. Denn die Drehbuchautoren und Produzenten des Krimi-Klassikers experimentieren glücklicherweise gerne mal mit neuen Ideen. Das ist typisch Tatort. Deshalb gibt es ihn auch schon so lange. Dieses Format hat gelernt, mit der Zeit zu gehen. Ulrich Tukur dagegen ist seiner Zeit gleichzeitig weit voraus und weit hinterher. Der 1957 geborene Musiker und Schauspieler tritt jedenfalls gerne als Gegenspieler des Zeitgeistes in Erscheinung: Sein Auftreten, seine Kleidung und seine schauspielerischen Fertigkeiten erinnern oft an einen Varietékünstler aus längst vergangenen Tagen, der auf der Bühne rezitiert, singt und sich dabei selbst am Klavier begleitet. Tukur ist ein geheimnisvoller Tasendsassa und ein begnadeter Vollblutkünstler, der sich am liebsten (und am besten) selbst spielt. Genau das wird im Tatort zum Problem: Dort geraten klare Erwartungen an einen ernsten Sonntagskrimi aneinander mit seiner selbstironischen, nachdenklichen (und ein wenig selbstverliebten) Künstlernatur auf der ewigen Suche nach dem Sinn des Seins. Tukur ist ein Charakterdarsteller, der sich nicht an seine Rollen und Figuren herantastet. Im Gegenteil: Er zwingt seine Rollen, sich an ihn heranzutasten. Und damit kokettiert der Künstler Ulrich Tukur geradezu brillant. "Wer bin ich?" ist jedenfalls ein Meisterstück dieser Kunst: Der LKA-Ermittler Felix Murot (die Figur, der sich Tukur aufgedrängt hat), geht stiften, fällt sozusagen völlig aus der Rolle und lässt einen halben Tukur zurück, der sich aber kaum noch mit einem Tatort vereinbaren lässt: Der souveräne Darsteller, zugleich der Star am Set, als hilfloser Selbstzweifler? Der Schauspieler als begnadeter Selbstdarsteller, der den einen geplatzten Tatort als autobiografische Bühne nutzt? Der Entertainer, der sich und seine ganze Branche ungeniert auf die Schippe nimmt? Die Entzauberung eines Fernsehdrehs? Die Entlarvung des Films als Fiktion? Das scheint nicht ins deutsche Sonntagabend-Programm zu passen, in dem die Guten nach fest definierten Mustern das Böse besiegen müssen. Die Tukur-Show am Sonntag war großartig als Krimi und als Kunst (das geht ja leider nicht häugig zusammen) - aber vielleicht hätte man sie nicht zwingend unter dem Tatort-Label laufen lassen müssen...